"Oft lassen sich mit Kleinigkeiten Probleme schnell beheben. Es gibt aber natürlich auch Belastendes", erzählt Kassenarzt Thomas Rodler.

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Von Bindehautentzündung bis zum Nagelpilz, von Blutzuckerentgleisung bis zum grippalen Infekt, vom akuten Herzinfarkt bis zur Depression ist alles in einer allgemeinmedizinischen Kassenordination zu finden. Einmal pro Woche hat Thomas Rodler die Rettung vor Ort in seiner Ordination nahe dem grünen Prater im zweiten Wiener Bezirk, um einen akuten Patienten ins Krankenhaus zu bringen.

Somit braucht ein solcher Allgemeinmediziner auch das Gespür, die Erfahrung und die Bereitschaft, den Patienten zuzuhören, um akute Krankheitsbilder zu erkennen und in der Masse der Patienten den Akutfall nicht zu übersehen – ohne technische Unterstützung wie Labor, Röntgen, CT oder Ultraschall, die im Krankenhaus zur Diagnosefindung unmittelbar zur Verfügung stehen. "Ich habe meine Entscheidung für die freie Wildbahn nie bereut", sagt der 51-jährige gebürtige Kärntner, der nach dem Bundesheer in Wien geblieben ist.

Dieser Text ist am 18. Juni 2022 in unserem Magazin "Gesunde Arbeit" erschienen.
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Er liebt seinen Beruf sichtlich und sagt, er gehe abends einfach zufrieden nach Hause. Oft sei mit Kleinigkeiten so viel zu bewirken: "Wenn du die Leute kennst, ist ein Problem oft schnell behoben." Und das unternehmerische Risiko mit der Ordination und drei Assistentinnen? "Die Kredite laufen noch", grinst der Mediziner, aber er habe diese Wahl auch nicht getroffen, um recht viel Geld zu verdienen. Nach dem Studium hat er als Vertretung eine Praxis übernommen und dort "von der Pike auf" gelernt. Rodler lobt seine Assistentinnen und versichert: "Ohne den Rückhalt und das Verständnis meiner Frau wäre all dies nicht möglich gewesen."

Seit 2014 hat er die eigene Ordination. Das wirft sofort die Frage auf: Warum Kassenarzt? Wahlärzte im allgemeinen Bereich, erklärt Thomas Rodler, bieten zumeist Zusatzbehandlungen an und haben sich auf gewisse Gebiete spezialisiert (Akupunktur oder Homöopathie). "Somit behandelt man als Wahlarzt ein selektives Patientengut. Dabei geht allerdings die Buntheit und Abwechslung der kassenärztlichen Allgemeinmedizin verloren. Somit meine Botschaft an die jungen Kollegen: Lasst euch nicht abschrecken, als Allgemeinmediziner einen Kassenvertrag anzunehmen!"

Täglicher Ordi-Betrieb, dann Hausbesuche – wie viele Stunden kommen da zusammen? "Ich rechne nicht so", kommt die prompte Antwort. Arbeitsfrei sind allerdings die Wochenenden. Dann sehen die spazierenden Patienten im Prater den Arzt gelegentlich mit seiner Frau, den beiden Buben und Hund Floh. In Wien übernimmt der Ärztefunkdienst die Wochenenddienste. Ein kompletter Rollenwechsel ins Private gelingt dabei nicht: Seine Frage "Wie geht’s?" verlangt immer nach einer konkreten Antwort und bleibt keine nette Höflichkeit. Fast ein bisschen wie damals daheim auf dem Land.

Seit 2014 hat Rodler seine eigene Ordination nahe dem grünen Prater im zweiten Wiener Bezirk.
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Der Tagesablauf

7.00 Uhr, Ordination

In einer Stunde öffnet die Ordination. Jetzt ruft Thomas Rodler gemeinsam mit den Ordinationsassistentinnen die Laborbefunde vom Vortag ab und ordnet sie den erwarteten Patientinnen und Patienten zu. Zwei der drei Assistentinnen haben Dienst. Die online gebuchten zehnminütigen Kurztermine und Mails werden gecheckt. Das Telefon beginnt in immer kürzeren Abständen zu läuten, bis es fast durchgängig bimmelt. Die drei verstehen sich sichtlich gut, sind perfekt eingespielt. Keine Hektik, aber extrem flottes Tempo.

8.00 Uhr, Vorraum

Händewaschen, dann zur Aufnahme. Drei ältere Herren lassen sich in der kleinen Warteschlange nicht davon abhalten, zu plaudern. Es geht recht gut gelaunt um Privates. Manuela händigt Verschreibungen für die Mutter aus. Harn- und Stuhlprobe wird abgegeben. Sechs Stühle im Warteraum sind mittlerweile auch besetzt. Ein Image-Spot für Anästhesisten mit dem Kabarettisten und Arzt Omar Sarsam läuft auf dem Schirm: "Jetzt zwickt’s ein bissl", sagt dieser, während er scheint’s ohne Narkose einen Bauch zunäht. Dann Werbung für die FSME-Impfung. Zwei werden gleichzeitig reingerufen – eine junge Dame zum Impfen, eine ältere zur Behandlung.

14.00 Uhr, Ordination

121 Patienten waren heute draußen bei den Assistentinnen, 60 drinnen beim Arzt. Thomas Rodler wirkt jetzt – minimal – gehetzt. Auf seinem Plan: ums Eck nach Hause Mittagessen. Dann Hausbesuche. Die Assistentinnen kümmern sich jetzt um Rückrufe, fixieren telefonisch Termine und ordnen für den nächsten Tag.

15.00 Uhr, Hausbesuche

Thomas Rodler ist jetzt am Schüttel und bis hinauf in den dritten Wiener Gemeindebezirk unterwegs. Die Hausbesuche sind oft Sozialarbeit, sagt er, und keine medizinische Visite im engen Sinn. Der wöchentliche Besuch des Arztes ist für viele alte Menschen der Fixpunkt. Sonst wird Blutdruck gemessen, werden Wunden versorgt, wird die Wirkung der Medikation besprochen. Wie lange dauern diese Nachmittage? "Ich fange da nicht in Stunden zu rechnen an." (Karin Bauer, 1.7.2022)