"Erschöpfte, durchnässte, unterkühlte und völlig aufgelöste" Schülerinnen und Schüler mussten in Sicherheit gebracht werden.

Foto: APA / LANDESPOLIZEIDIREKTION VORARLBER

Mittelberg – 99 Schülerinnen und Schüler sowie acht Lehrer aus Deutschland sind am Dienstag im Kleinwalsertal mit Hubschraubern aus Bergnot gerettet worden. Die Lehrerschaft hatte aus dem Internet eine Wanderroute ausgewählt, die weder der Bekleidung und dem Schuhwerk der Jugendgruppe noch ihrer Bergerfahrung entsprach, teilte die Polizei Vorarlberg in der Nacht auf Mittwoch mit.

Schmaler Heuberggrat

Demnach brach die Gruppe der Zwölf- bis 14-Jährigen aus Ludwigshafen gemeinsam mit ihren Lehrern gegen 15 Uhr von Schöntal in Hirschegg/Kleinwalsertal zum Walmendingerhorn nach Mittelberg auf. Die nicht beschilderte Tour führte über den schmalen Heuberggrat, der laut Polizei "Schwindelfreiheit, Trittsicherheit sowie Erfahrung im alpinen Gelände erfordert". Der Steig war zudem aufgrund der vorhergehenden Regenfälle nass und glitschig. Als sich eine Teilgruppe aufgrund der schwierigen Verhältnisse zur Umkehr entschied, rutschten zwei Schüler ab und zogen sich leichte Verletzungen zu. Daraufhin gerieten einzelne Kinder in Panik, weswegen eine Lehrperson einen Notruf absetzte.

Die gesamte Gruppe wurde mit Hubschraubern mittels Taubergung geborgen und dann mit den Fahrzeugen von Bergrettung und Feuerwehr in die Unterkunft gebracht. "Mehrere Schüler waren erschöpft, unterkühlt, durchnässt und völlig aufgelöst", beschreibt die Polizei die Situation. Der Fall werde nach Abschluss der Erhebungen der Staatsanwaltschaft Feldkirch zur strafrechtlichen Beurteilung übermittelt, hieß es.

Irreführende Internetbewertung

Vonseiten der Bergrettung hieß es, dass man sich an kein ähnliches Vorkommnis in der jüngeren Vergangenheit erinnern könne. Laut dem Pressesprecher Klaus Drexel wollten die Schulklassen aus Deutschland, die sich auf Landschulwoche befanden, eine "Feierabendtour" machen. Allerdings gebe es auf dem Heuberggrat "eine sehr anspruchsvolle Stelle, wenn es nass und rutschig ist" – was genau der Fall war. Dafür seien manche der Schüler nicht ausgerüstet gewesen. Wenn noch dazu aufgrund von Stürzen Panik ausbreche, kippe die Stimmung in einer Gruppe schnell.

"Man kann sich ausrechnen, wie oft geflogen werden musste", sagte Drexel, der erklärte, dass man die Schüler in Dreiergruppen gerettet habe. Auch seien die Wetterbedingungen bei immer wieder auftauchenden Regenzellen schwierig gewesen.

Die Lehrer hatten sich offenbar aufgrund der Beschreibung eines Users auf der Bergwanderer-Website hikr.org für die Route über den Grat entschieden. Dieser bezeichnet die Tour über den Heuberggrat als "klasse Feierabendrunde", wie auch die Polizei in ihrer Aussendung zitierte. Trotz der ausgeschilderten Warnung, nur mit Kletterausrüstung weiterzugehen, sei der Weg völlig harmlos ("schwierig ist hier nichts"), meinte der User "Andy84". Andere Wanderer hatten hingegen deutlich mehr Schwierigkeiten auf der Route: "Es war die anspruchsvollste Kletterei, die wir bisher gemacht haben", schrieb "ju_wi" nach einer Begehung bei nassen Verhältnissen.

Eine kurze Recherche zum User "Andy84" zeigt jedenfalls, dass es sich um einen ausgewiesenen Profi im Gebirge handelt. Auf seinem Profil schreibt er: "Daher bitte ich, sich nicht blind auf meinen Bericht zu verlassen, sondern sich gut auf die entsprechende Tour vorzubereiten sowie die Situation vor Ort immer kritisch zu prüfen." In 708 Tourenberichten führt der User hunderte erfolgreiche Gipfelbesteigungen an.

Plattformbetreiber bezieht Stellung

Auf STANDARD-Anfrage äußerte sich auch einer der Betreiber der Plattform hikr.org. Stanislav Chachkov hatte bereits Kenntnis von dem Vorfall im Kleinwalsertal. Er erklärte, dass die Berichte auf der Plattform keineswegs als Tipps zum Nachahmen gedacht sind, sondern "persönliche Blogs" der Mitglieder der Plattform darstellen. Diese berichten darin über ihre persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse. Der gegenständliche Bericht zur Tour über den Heuberggrat sei auf hikr.org mit dem Schwierigkeitsgrad T4 markiert, betonte Chachkov zudem. "So eine Tour unternimmt man nicht ohne entsprechende Erfahrung und das richtige Equipment", sagte Chachkov.

T4 bedeutet auf der Plattform "Alpinwandern" und wird wie folgt beschrieben: "Wegspur nicht zwingend vorhanden. An gewissen Stellen braucht es die Hände zum Vorwärtskommen. Falls markiert: Weiß-Blau-Weiß. Gelände bereits recht exponiert, heikle Grashalden, Schrofen, einfache Firnfelder und apere Gletscherpassagen. Vertrautheit mit exponiertem Gelände. Anforderungen: stabile Trekkingschuhe. Gewisse Geländebeurteilung und gutes Orientierungsvermögen. Alpine Erfahrung. Bei Wettersturz kann ein Rückzug schwierig werden."

Routenplanung über das Internet "sehr kritisch"

Drexel riet dringend davon ab – so wie es die Lehrpersonen im Kleinwalsertal getan hatten –, Routen aufgrund von Beschreibungen im Internet zu planen. "Das ist sehr, sehr kritisch zu sehen. Dort werden auch alte, ungewartete Wege beschrieben, die mittlerweile zugewachsen sind", stellte Drexel fest. So könne man leicht in eine "ungute Situation" geraten.

Um Bergtouren seriös zu planen, verwies der Bergretter auf den "PEAK Bergcheck" – P für Planung, E für Einschätzung, A für Ausrüstung und K für Kontrolle. Dabei geht es um die Klärung von Fragen wie "Was habe ich vor?", "Ist diese Wanderung für mich geeignet?", aber auch um Ausrüstungsfragen und darum, wie man sich während der Wanderung fühlt. Wenn man sich bezüglich einer Tour unsicher sei, könne man sich jederzeit beim Tourismus- oder dem Alpenverein oder der Bergrettung erkundigen. Das schaffe Sicherheit, empfahl Drexel diese Vorgangsweise. (red, APA, 8.6.2022)