Der Mensch am Radweg eskaliert für gewöhnlich schneller als sein Schatten.

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Der Radweg ist ein geschütztes Biotop, auf dem Radlerinnen und Radler in Ruhe ihrer Mobilität frönen und in der Stadt erstaunlich schnell von A nach B kommen. Das ist die Idealvorstellung – die mit der Realität leider nicht viel zu tun hat. Sogar der Radfahrer selbst ist eines der zehn ärgsten Ärgernisse auf dem Radweg.

1. Der Radweg selbst

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Haben Sie schon vom theologischen Konzept der Creatio ex nihilo, der Erschaffung aus dem Nichts, gehört? Der Radweg ist letztlich genau das. Zum einen wird er in der Regel genau dort gebaut, wo nichts ist, nämlich vor allem kein Platz für ihn. Zum anderen erweist er sich dann bald als eine Aneinanderreihung von nichts, nämlich Löchern, die zusammen etwas hervorbringen sollen, nämlich eine Fahrbahn. Man füge dem Ganzen hinzu: Wurzelwerk, Scherben, Streusalz, Rollsplitt, fehlende Beschilderungen und, ganz wichtig: ein abruptes Ende an einer sechsspurigen Straßenkreuzung. Und siehe: Es war sehr gut! Man nimmt schließlich, was man kriegt.

2. Die Radfahrer

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Homo homini lupus, wusste schon der römische Dichter Plautus: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Und der Radfahrer ist auf seinem Weg zum Ziel der größte Feind der Radfahrerin und vice versa. Auf dem Radweg treffen einander Pendlerinnen, Kaffeefahrer, Essenszustellerinnen, Weltreisende, Rennradler, Triathletinnen, E-Bikerinnen, Lastenradler, Handbiker, Fahrraddiebe, Fahrradpolizistinnen und Leute, die ihr Fahrrad schieben, nicht weil sie es lieben, sondern weil sie einen Patschen haben. Es gibt noch viele andere Subspezies. Sie koexistieren. Mehr nicht. Aber was sie eint, ist ein gemeinsamer Feind. Es ist:

3. Der Autofahrer

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Was soll er aber auch machen, wenn die Garagenausfahrt für seinen Hybrid-SUV geradewegs über den Radweg läuft? Eben. Er muss da fahren. Oder er muss da parken. Oder zumindest schnell halten und einen Lottoschein aufgeben. Oder überholen. Eigentlich macht der Autofahrer ziemlich viel auf dem Radweg oder Fahrradstreifen, was er nicht tun sollte. Aber er will, weil er kann, was er nicht darf. Und daher tut er es auch. Mit großem Genuss.

4. Die Ampel

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Wo der Autofahrer ist, da ist die Ampel nicht weit. Und die Ampel hält immer zum Autofahrer. Denn die SUV-Besitzerin hat in der Rotphase gerade einmal Zeit genug, die Start-Stopp-Automatik auf ihre Funktionstüchtigkeit zu testen. Wenn der Radfahrer hingegen seine zehn Sekunden Grün versäumt, kann er sich eigentlich gleich umschauen, ob nicht irgendwo ein Supermarkt in der Nähe ist, weil sich bis zur nächsten Grünphase der Wochenendeinkauf eh leicht ausgeht. Andere nutzen die Zeit, um eine Folge der Lieblingsserie zu streamen (siehe dazu auch Punkt 10). Rennradfahrer sind an der Ampel übrigens besonders gefährdet: Wer nicht rechtzeitig aus den Pedalen kommt, der liegt. Schmerzhafter als der Asphalt ist in diesem Fall nur die ewige Schmach angesichts der öffentlichen Demütigung.

5. Eltern (mit Kindern)

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Ist es eine gute Idee, seinem Kind am ersten sonnigen Frühlingssonntag gegen 11 Uhr auf dem Donauradweg das Radfahren beizubringen? Nein, ist es nicht. Aber auch die Erfindung des Schwarzpulvers war, a posteriori betrachtet, keine gute Idee. Das Gemisch von tausenden Radfahrern und einer Handvoll Eltern ist nicht weniger explosiv. Und, nun ja, gegen Letztere sitzen Sie immer auf dem kürzeren Ast, moralisch betrachtet. Also: Ausschau halten, bremsen, ausweichen und darüber freuen, dass hier ein neues Menschenwesen in die Freuden des Radfahrens eingeweiht wird.

6. Hunde ohne Leine

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Es ist seit Jahrzehnten Anlass für hitzige Diskussionen unter Radlern, ob eine Bulldogge oder ein Chihuahua gefährlicher ist. Weil: Die Bulldogge zerstört Ihnen bei einer Kollision zwar Ihre schönste Carbonfelge, dafür sehen Sie sie meist schon von Weitem. Den Chihuahua bemerken Sie frühestens, wenn's zu spät ist. In beiden Fällen geht der Appell an die Hundebesitzer: Passts bitte auf, wo die Viecherln hinrennen. Übrigens: Auch das Gackerl – mit und ohne Sackerl – sollte als freies Radikal auf dem Radweg kein Leiberl haben.

7. Hunde mit Leine

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Für den Hund ist die modische Roll- oder Schleppleine eine Hetz. Damit läuft er von Hundehaufen zu Hundehaufen, ohne in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu werden. Nur, wenn sich das Teil dann quer über den Radweg spannt, ist für die eilige Fahrradpendlerin Ende Gelände. Der Abstieg über den Lenker sollte vorab einstudiert werden. Nebenbei bemerkt: Auch der Hund holt sich bei der Begegnung einen ordentlichen Hexenschuss.

8. Touristen

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Der Duden verzichtet auf den Begriff "Schwarmunintelligenz" – aus Höflichkeit gegenüber Reisegruppen, wie anonyme Quellen sagen. Zwar bewegen sich die Mitglieder dieser Gruppen im Regelfall in dieselbe Richtung, nur ist es leider immer die falsche, und am falschen Ort. Vornehmlich auf innerstädtischen Radwegen ist die Sandalenflut ein konstantes Ärgernis und hat schon unzählige Meetings verzögert, weil die eine oder andere Teilnehmerin erst großräumig dem Inhalt eines Reisebusses ausweichen musste. Der volkswirtschaftliche Schaden konnte bislang noch nicht beziffert werden. Praxistipp: umziehen ins Südburgenland oder ins Waldviertel. Aber gibt es da Radwege?

9. Pizzaboten

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Was an ihnen vor allem nervt, ist nicht so sehr ihre Fahrweise, auch wenn sie oft ziemlich grundrauschig daherkommt. Es ist auch nicht die Farbe ihrer Dienstkluft oder die laute Musik, die durch ihre tellergroßen Kopfhörer dringt. Aber sind Sie schon einmal nach einem harten Tag in der Arbeit erschöpft und ausgezehrt ein paar Kilometer hinter vier Pizze Diavolo mit extra Knoblauch hergefahren? Da wurden Menschen schon wegen Geringerem zu Mördern. Glück für die Essenszusteller: Mit ihren E-Bikes haben sie auf der Flucht einen massiven Startvorteil. Nachsatz: E-Bike-Fahrer sind übrigens ein eigenes Kapitel für sich, das hier wohl den Rahmen sprengen würde.

10. Smartphones

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Früher standen Telefonzellen gesittet am Wegesrand. Mit der digitalen Revolution wanderten sie in die Fahrbahnmitte: Es ist ja bekanntlich das Gute am Internet, dass alle ihre Meinung frei äußern können. Und es ist das Schlechte, dass sie das auch wirklich tun. Immer. Überall. Bevorzugt dann, wenn sie sich eigentlich um den Verkehr auf dem Radweg kümmern sollten. Und auch wenn's nur darum geht, der Schwägerin im Telegram-Chat mitzuteilen, was sie heute für einen furchtbaren grantigen Text über Radwege im STANDARD gelesen haben. Das nervt zwar ungemein – aber dabei wollen wir wirklich niemanden stören. (Michael Windisch, 9.6.2022)