Schlüpft in die Rolle der Irma Vep: Alicia Vikander.

Foto: Home Box Office, Inc.
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Kleider machen Filmfiguren und Filmstars. Im sportlich-coolen Outfit steigt Hollywoodstar Mira in Paris aus dem Flugzeug, im schneeweißen Superheldinnen-Outfit posiert sie für die Premiere eines Blockbusters. Im leger-eleganten Ensemble pariert sie Journalistenfragen nach ihren politischen Ansichten, im kurzen Designerkleid geht es zum nächsten Promotion-Termin. Als sie sich am nächsten Tag in Jeans und Flanellhemd am Set eines französischen Serienprojekts einfindet, wird sie zunächst kaum wahrgenommen.

Es dauert jedoch nicht lange, bis sich am Rande des Filmsets eine magisch wirkende Verwandlung vollzieht: Als Mira erstmals in den Catsuit schlüpft, den sie für ein Remake von Louis Feuillades 1915 gedrehter Stummfilmserie Les Vampires über eine Pariser Verbrecherbande tragen soll, erkennt sie sich im Spiegel als katzenhafte Diebin Irma Vep wieder. Mit grazilen Bewegungen schleicht sie über Stiegen, öffnet fremde Taschen, wie es ihre Figur tun würde, um rechtzeitig vor fremden Augen zu verschwinden.

Tour de Force

Die Tour de Force, die Alcia Vikander als Orientierung suchende Schauspielerin Mira Harberg am Beginn von Olivier Assayas’ Miniserie Irma Vep durchläuft, spricht bereits Bände über den Filmzirkus, seine Attraktionen und Bedingungen. Etliche der dabei ausgelegten Fäden werden später weitergesponnen. Die Verwandlung einer Schauspielerin in Irma Vep war schon eine der aufregendsten Szenen von Assayas’ 1996 gedrehtem Kinofilm. Damals war es die sich selbst spielende Maggie Cheung, die in ein Latexkostüm schlüpfte und die Launen eines von Nouvelle-Vague-Ikone Jean-Pierre Léaud mit nervöser Gravitas verkörperten "Auteurs" über sich ergehen lassen musste. Assayas’ mit der Energie des Punk realisierte Selbstreflexion über die Illusionsmaschine Kino war nicht zuletzt ein Liebesbrief an den Reichtum des asiatischen Kinos und Cheung, mit der Assayas später mehrere Jahre verheiratet war.

Alte und neue Figuren

In der achtteiligen Serien-Neuadaption, die jetzt im Original auf Sky zu sehen ist, werden manche Erzählstränge und Figuren des Kinofilms wiederaufgenommen, andere vernachlässigt und neue hinzugefügt. Dass nicht wieder Cheung die Rolle der Irma Vep übernommen hat, erklärt der nicht mehr von Léaud, sondern vom wunderbaren Komödianten Vincent Macaigne gespielte Regisseur in einer von vielen selbstironischen Volten mit einer gescheiterten Beziehung zum Hongkong-Star.

Auch die neue Miniserie huldigt einer außergewöhnlichen Schauspielerin. Bereits Alicia Vikanders 2010 von Landsfrau Lisa Langseth inszeniertes Spielfilmdebüt Die innere Schönheit des Universums stand ganz im Zeichen des Charismas der Schwedin. Seitdem hat die 33-Jährige einen Nebendarstellerinnen-Oscar für The Danish Girl kassiert und im Tomb Raider-Reboot die Superheldin Lara Croft gespielt. In Irma Vep vermittelt sie den Eindruck größter Natürlichkeit, um dann mit der Grazie einer Tänzerin über die Dächer von Paris zu schweifen. Ihr samtener Catsuit würdigt auch Musidora, die legendäre Originaldarstellerin der Irma Vep in Les Vampires und erste Catwoman.

Trailer zur Miniserie "Irma Vep".
HBO

Assayas, immer schon gleichermaßen Pulp- und Hochkulturfan, serviert seine vielen cinephilen Anspielungen leichtfüßig mit größtmöglicher Beiläufigkeit, mit viel Humor und völlig frei von Snobismus. Die noch bis in die Nebenrollen formidabel besetzte Neuadaption von Irma Vep ist vieles zugleich: Hommage und Selbstreflexion, melancholische Meditation und gut gelauntes Schelmenstück im Spannungsfeld von Fiktion und Leben, Kunst und Kommerz, Liebe und Freundschaft.

Die Männer, darunter Lars Eidinger als cracksüchtige Schauspielerkarikatur, erscheinen vor allem als narzisstische Wracks. Seinen Regisseur unterzieht Assayas, den Schalk im Nacken, einer Psychoanalyse und verschont ihn auch vor Fragen nach seiner Obsession für Catsuits nicht. Die Antwort, die sich der stammelnde Filmemacher schließlich abringen lässt, hat natürlich mit einer britischen Serie der 1960er-Jahre und Diana Rigg zu tun. Das sollte man aber unbedingt selbst sehen. (Karl Gedlicka, 9.6.2022)