Beim Auftritt mit dem Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo, Félix Tshisekedi, gab König Philippe offiziell eine Suku-Maske zurück.

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Auf die zwei Jahre kam es dann auch nicht mehr an. Eigentlich waren Belgiens König Philippe und seine Frau Mathilde schon im März 2020 erwartet worden, aber dann kam zunächst die Covid-Pandemie und schließlich der russische Überfall auf die Ukraine dazwischen. Am Dienstag war es dann endlich so weit: Das Monarchenpaar traf in Kinshasa, der Hauptstadt der heutigen Demokratischen Republik Kongo, ein – zu seinem ersten Besuch in der belgischen Ex-Kolonie.

Ein "historisches Ereignis", titelt die belgische Presse, Kongos Öffentlichkeit zeigt sich dagegen weniger begeistert. "Das Geld für diesen Besuch wäre besser für Schulen ausgegeben worden", sagt ein junger Kongolese in Kinshasa zur Nachrichtenagentur Reuters.

Zehn Millionen Tote

Am Mittwochnachmittag stand noch nicht fest, ob es zu dem Punkt kommen wird, der Philippes Besuch wirklich historisch machen würde: dass sich der Monarch öffentlich für das Unheil entschuldigt, das sein Volk über die Kongolesinnen und Kongolesen gebracht hat – vor allem aber seine Vorgänger auf dem belgischen Thron.

Rund zehn Millionen Menschen sollen der belgischen Fremdherrschaft zum Opfer gefallen sein: Die königlichen Beamten der "Force Publique" hackten unzähligen Afrikanern die Hand ab, wenn sie zu wenig Kautschuk ablieferten, und sperrten ihre Frauen in Internierungslager ein, damit ihre Männer nicht flohen.

Vor zwei Jahren schrieb Philippe anlässlich des 60. Unabhängigkeitstags dem kongolesischen Präsidenten Félix Tshisekedi einen Brief, in dem er sein "tiefstes Bedauern" über die im Kongo verübten "Gewalttaten und Grausamkeiten" zum Ausdruck brachte: Dass der Monarch dieses Bedauern nun auch öffentlich zur Sprache bringe, wurde von vielen erwartet.

"Paternalistisches Leben"

Tatsächlich äußerte Philippe dann am Mittwoch vor dem Parlament in Kinshasa sein "tiefes Bedauern" über die Leiden der Kolonialzeit. Die Kolonialherrschaft sei auf "Ausbeutung" und "Vorherrschaft" ausgerichtet gewesen, sie habe den Kongolesen eine "ungerechtfertigte und paternalistische, von Diskriminierung und Rassismus" geprägte Lebensform aufgezwungen. Der Monarch vermied es jedoch, sich für die Kolonialzeit zu entschuldigen.

Davor hatte der belgische König beim Besuch des Nationalmuseums in Kinshasa eine Holzmaske des Suku-Volks überreicht, die von Belgiern vor mehr als hundert Jahren geraubt worden war. Ein erster symbolischer Akt: Belgiens Regierungschef Alexander De Croo, der den König auf seiner Reise begleitet, kündigte bereits im Februar die Rückgabe von 84.000 Kunstwerken an – zumindest solle darüber "diskutiert" werden.

Der Kongo hat die wohl schrecklichste Kolonialzeit aller afrikanischen Länder hinter sich. Als junge europäische Nation mischte Belgien erst spät im Kolonialismus mit: Philippes Ur-Ur-Großonkel Leopold II. riss sich die von anderen europäischen Mächten gemiedene Urwaldregion 1885 als Privatbesitz unter den Nagel – offiziell, um sie vor der Sklaverei zu schützen.

Grausame Herrschaft

In Wahrheit ließ er den Kongo, den er nie besuchte, ausräubern: Sein Königreich, das fast 90-mal kleiner als die Ex-Kolonie ist, bereicherte sich an Elfenbein, Gold und vor allem Gummi. Als Leopolds grausame Herrschaft weltweit Aufsehen erregte, sah sich der Monarch 1908 gezwungen, seinen Privatbesitz der belgischen Regierung zu übergeben.

Auch dieser war an der Entwicklung des Landes nicht wirklich gelegen: Bei seiner Unabhängigkeit verfügte der Kongo über zwei Dutzend afrikanische Universitätsabgänger. Als Philippes Großonkel Baudouin bei den Feiern zur Unabhängigkeit 1960 in Kinshasa die Errungenschaften der belgischen Kolonialmacht pries, kam es zum Eklat: Vor den Kameras der Weltpresse warf der frisch gewählte Regierungschef Patrice Lumumba dem Monarchen an den Kopf, dass die Kongolesen ihre Freiheit von der belgischen Herrschaft mit ihrem Blut erkämpfen mussten.

Premier ermordet

Ein halbes Jahr später wurde Lumumba auf Betreiben des belgischen und amerikanischen Geheimdiensts umgebracht, sein Leichnam in Säure aufgelöst.

Der belgische Polizist Gérard Soete sicherte sich allerdings einen Zahn Lumumbas, den er fast 40 Jahre später einem TV-Team der BBC präsentierte. Nach Soetes Tod ging der mit einer Goldkrone überzogene Zahn in den Besitz der belgischen Staatsanwaltschaft über.

Seit Jahren bemühen sich die Kinder Lumumbas bereits um die Rückgabe des Zahns: Das soll noch in diesem Monat tatsächlich geschehen. Allerdings erst nach dem königlichen Besuch: Philippe sollte der unkomfortable Akt offenbar erspart bleiben. (Johannes Dieterich, 9.6.2022)