Noch gibt es keine Fortschritte bei den türkischen Vermittlungen zwischen Russland und der Ukraine zur Freigabe von Getreide für die Weltmärkte.

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Mehr als drei Monate nach Kriegsbeginn in der Ukraine spricht Russland noch immer von einer "Spezialoperation" – und will auch nichts mit deren globalen Folgen, etwa der Nahrungsmittelkrise, zu tun haben. Probleme beim Export von ukrainischem Weizen, die vom Westen als "universelle Katastrophe" eingestuft würden, seien in Wirklichkeit "Problemchen", sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow am Mittwoch in Ankara.

Anlass für den Besuch bei seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu waren aktuelle Pläne für einen Getreide-Seekorridor aus der ukrainischen Schwarzmeerstadt Odessa, über den die Türkei wachen soll. Diese hat sich dazu grundsätzlich bereiterklärt – sollte auch Kiew einwilligen, wie es ein UN-Plan vorsieht. Dazu bedarf es laut Çavuşoğlu aber weiterer Gespräche.

Russland, dessen Marine die ukrainischen Schwarzmeerhäfen seit Februar faktisch blockiert, sieht keine Schuld bei sich: Es sei die Ukraine, die sich weigere, ihre Häfen zu entminen oder die Durchfahrt von Schiffen zu gewährleisten, so Lawrow. Der Konter aus der Ukraine ließ nicht lange auf sich warten: Lawrows Versprechen, wonach Russland die Sicherheit der Schiffe gewährleisten und keinen strategischen Vorteil daraus ziehen werde, seien "leere Worte", erklärt das ukrainische Außenministerium. Aus Angst vor russischen Angriffen sei man nicht bereit, den Hafen zu entminen, sagten die Behörden in Odessa. Einen entsprechenden Korridor könnten aus Sicht der ukrainischen Getreidehandelsunion nur die USA, Frankreich und Großbritannien gewährleisten.

Drittel der Weizenexporte

Laut Schätzungen stecken in Odessa derzeit 20 Millionen Tonnen Weizen fest. Hauptabnehmer sind normalerweise Staaten des Nahen Ostens und des nördlichen Afrika. Die generell prekäre Nahrungsmittelsituation dort verschlimmert sich derzeit durch das Ausbleiben der Lieferungen. Auf Russland und die Ukraine entfällt fast ein Drittel der weltweiten Weizenlieferungen. Wegen des Krieges kann die Ukraine nach eigenen Angaben nur ein Drittel der sonstigen Getreidemengen – zwei statt sechs Millionen Tonnen monatlich – ausführen. Moskau hat erklärt, Russland werde den Weltmarkt erst wieder mit Getreide beliefern, wenn die westlichen Sanktionen aufgehoben würden. "Lebensmittel sind nun zu einem Teil des Terrorarsenals des Kreml geworden", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch.

Nicht nur im Krieg um den Weizen scheint ein Frieden fern, auch an der Front: Die massiv umkämpfte Stadt Sjewjerodonezk werde von den russischen Truppen "rund um die Uhr bombardiert", sagte der Gouverneur der fast vollständig besetzten Region Luhansk, Serhij Hajdaj, am Mittwoch. Die Verteidigung der Stadt gleiche einer "Mission Impossible". Auf den Osten konzentriert Russland seit Wochen seine militärische Offensive.

Nach russischen Angaben wurden indes mehr als 1.000 gefangen genommene ukrainische Soldaten für Ermittlungen nach Russland gebracht. Es soll sich um Soldaten handeln, die nach wochenlangen Kämpfen in Mariupol ihre Waffen niedergelegt hatten. (Flora Mory, 8.6.2022)