Max Perutz vor dem dreidimensionalen Modell von Hämoglobin, das wegen seines Eisenanteils für die rote Färbung des Blutes sorgt. Die Analyse dieses "Moleküls des Lebens" trug dem Biochemiker 1962 den Nobelpreis ein.

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Kennen Sie Fifi Gessner? Vermutlich schon – allerdings unter einem anderen Namen: nämlich als Joy Adamson, die unter andere damit weltberühmt wurde, dass sie in Kenia eine Löwin namens Elsa aufzog. In Wien hatte Gessner, die 1937 wegen des drohenden Nationalsozialismus Wien verließ, bloß einen Dackel besessen. Ähnlich dramatisch sei seine eigene Verwandlung gewesen, nachdem er Wien kurz vor Gessner verlassen hatte, schrieb Max Perutz im Rückblick über sein Leben.

Was für Fifi Gessner Kenia war, war für den Biochemiker eine englische Universität: "Cambridge hat mich zu dem gemacht, was ich bin, nicht Wien." Während seines Chemiestudiums in Wien habe er nämlich keine Ahnung gehabt, dass es Wissenschafter vom Format eines J. D. Bernal, W. L. Bragg oder einer Dorothy Hodgkin geben könnte. "Wie konnte ich also auch nur versuchen, ihnen nachzueifern?"

Für Max F. Perutz, der 1914 in eine wohlhabende Wiener Textilindustriellenfamilie jüdischer Herkunft geboren wurde, war die Übersiedlung an die Uni Cambridge im Jahr 1936 rückblickend die beste Entscheidung seines Lebens. In diesem immens inspirierenden Umfeld gelangen ihm jene Forschungen, die 1962 mit dem Nobelpreis gekrönt werden sollten. Und hier wurde er als Leiter des Laboratory for Molecular Biology (LMB), das er von dessen Anfängen im Jahr 1947 an begleitet hatte, zum wichtigen Wegbereiter des Siegeszugs der Molekularbiologie.

Schwierige Anfänge

In Wien hatte der junge Mann zwar Chemie bis auf die Abschlussarbeit fertigstudiert, aber sich eher als Skifahrer und Bergsteiger einen Namen sowie Freunde gemacht. Zudem kräftigte der Alpinismus seine eher schmächtige und kränkliche Konstitution.

Die Anfänge in England waren für Perutz dann aber alles andere als einfach, wie in der gerade erschienenen deutschen Übersetzung der Perutz-Biografie von Georgina Ferry nachzulesen ist, die Max Perutz kurz vor seinem Tod selbst noch zu einer solchen überredete.

Georgina Ferry, "Max Perutz und das Geheimnis des Lebens". € 29,– / 464 Seiten. Braumüller, Wien 2022 (Orig. 2007)

Zwar hatte der Biochemiker schon sehr bald nach seiner Übersiedlung das Thema für seine Doktorarbeit und sein weiteres Forscherleben gefunden, nämlich die Analyse von Hämoglobin, des roten Blutfarbstoffs, das etwa 90 Prozent unserer roten Blutkörperchen ausmacht. Doch bald kam der Krieg dazwischen: Perutz wurde, da aus Österreich eingewandert, als Feind betrachtet, interniert (zum Teil mit Nazis) und entsprechend miserabel behandelt.

Robin Perutz, der Sohn des Biochemikers, spricht über die frühen Jahre seines Vaters in Cambridge.
Trinity College, Cambridge

Da der junge Chemiker aber auch erfahrener Alpinist und Nebenbei-Glaziologe war, durfte er in Kanada am Projekt Habbakuk mitarbeiten. Dabei sollte im Nordatlantik eine Art schwimmender Flugzeugträger aus Eis und Sägespänen gebaut werden.

Steiler Karriereweg

Aus dem obskuren Unterfangen wurde zwar nichts, doch es trug Perutz die britische Staatsbürgerschaft und die Möglichkeit ein, seine Karriere in England fortzusetzen. Und die sollte – selbst für Cambridge-Verhältnisse – eine der besonders erfolgreichen werden: 1959 erstellte er das erste dreidimensionale Hämoglobin-Modell, wofür er 1962 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde. Im gleichen Jahr erhielten James Watson, Francis Crick und Maurice Wilkins – allesamt Cambridge-Forschende – den Medizin-Nobelpreis.

1962 wurde auch das neue LMB-Gebäude eröffnet – mit Max F. Perutz als Direktor, der das Institut bis zu seiner Emeritierung 1979 leiten sollte. In dieser Zeit war das LMB das erfolgreichste Forschungsinstitut der Welt, zumindest gemessen an der Zahl der Nobelpreisträger. Die Gründe dieses einzigartigen Erfolgs – und Perutz’ Rolle dabei – zu rekonstruieren ist eine der zahlreichen Verdienste von Ferrys rundum gelungener Biografie, die en passant auch anschaulich macht, was Spitzenforschung auszeichnet.

Bergsteigen als Metapher

Eine Kürzestfassung davon gibt es auch in Form einer Perutz-Ausstellung im Arkadenhof der Uni Wien unter dem Titel "Breathing at High Altitude". Die kleine Schau, die von Georgina Ferry und Alwin Köhler, dem Direktor der Max Perutz Labs in Wien konzipiert wurde, verwendet dabei die Metapher einer Bergbesteigung, um die Karriere von Perutz, sein Lieblingshobby und die Rolle von Hämoglobin als Sauerstofftransportvehikel auf originelle Weise zusammenzubringen.

Ferrys Biografie, deren kürzlich erschienene deutsche Übersetzung an sprachlicher Eleganz und Akkuratesse leider nicht mit dem englischen Original mithalten kann, schildert zudem mit viel Empathie und im Detail die zahlreichen Facetten der komplexen und mitunter widersprüchlichen Persönlichkeit des Biochemikers, der nach seiner Emeritierung nebenbei noch eine zweite Karriere begann.

Spätes schreiberisches Talent

Perutz schrieb nämlich im fortgeschrittenen Alter als Essayist für renommierte Zeitschriften über wissenschaftliche Themen. 1997 erhielt er dafür den Lewis Thomas Prize, was ihm eine späte Genugtuung war: In seiner Jugend in Wien hatte er sich auch schon literarisch versucht. Doch der berühmte Schriftsteller Leo Perutz, ein Cousin des Vaters, hatte ihm ausdrücklich kein literarisches Talent bestätigt, nachdem er frühe Texte von Max gelesen hatte. (Klaus Taschwer, 10.6.2022)