Nahezu die Hälfte der Österreicher schränkt sich Umfragen zufolge derzeit finanziell stark ein.

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Wien – Mehr als 14 Prozent der Österreicher leisten sich derzeit nur noch lebensnotwendige Güter. Zwei Drittel kaufen nur günstige Lebensmittel. Nahezu die Hälfte schränkt sich finanziell stark ein, erhob eine Umfrage von Mindtake Research im Auftrag des Handelsverbands. Ein Ende der Teuerung ist vorerst nicht in Sicht. Die Großhandelspreise, ein Frühindikator für die weitere Preisentwicklung, zogen im Mai um mehr als 25 Prozent an.

"Inflation ist ein Schlagwort für Verunsicherung und ein Konsumkiller", sagt Handelsverbandspräsident Stephan Mayer-Heinisch. Ihre Folgen wirkten bis tief in die Mittelschicht hinein. Politiker wie Konsumenten durften 40 Jahre lang ohne sie leben. Den Umgang mit ihr hätten weder die Schule über Finanzbildung noch das reale Leben gelehrt.

Die Reaktion der Regierung reduziere sich jedoch auf Einmalzahlungen und Anpassungen, sagt Mayer-Heinisch im STANDARD-Gespräch – er macht Schönwetterpiloten am Steuer aus. "Beim Geldverteilen ist Österreich schnell. Wann denkt die Politik daran, Kosten zu senken, die der Staat produziert?" Föderalismus verschlinge Geld. Es fehle Transparenz bei Subventionen. Keiner rede ernsthaft darüber, wie sich Energie sparen ließe. Jeder vernünftige Betrieb durchforste in der Krise seine Kosten. "Was macht der Staat?"

"Toxische Mischung"

Mayer-Heinisch sieht den Handel als zweitgrößten Arbeitgeber einer toxischen Mischung ausgesetzt, die "nicht zu Weihnachten vorbei ist". Konsumenten werde bewusst, dass sie nicht das zehnte T-Shirt und den dritten Wochenendurlaub brauchten. Das Wachstum des Onlinehandels flache sich ab. Vor allem Textilhändler stünden unter Druck. Viele Betriebe seien nicht in der Lage, Personal- und Mietkosten zu stemmen. Eine Auslese zeichne sich ab. Nötig sei eine neue Generation an Managern, die multiple Krisen meistere.

Wie viel Spekulation steckt hinter der starken Teuerung? Spitzbuben, die den Windschatten ausnutzten, gebe es überall, meint der Handelsexperte. Letztlich schlugen hohe Preise aber aufs Einkaufsverhalten durch. "Keiner wird sich gezielt aus dem Markt hinauskalkulieren."

Unter "extrem schwierigen Vorzeichen" stünden die Kollektivvertragsverhandlungen, betont Mayer-Heinisch. Die Linie zwischen zu viel und zu wenig Lohnerhöhung sei äußerst dünn. "Nun rächen sich die alten Sünden, dass sich der Staat über Lohnkosten finanziert." Am Sockel von 200.000 Arbeitslosen werde sich nichts ändern, solange der Unterschied zwischen Brutto- und Nettoverdienst nicht kleiner werde.

Österreichs Handel fehlen mittlerweile 45.000 Arbeitskräfte. Mayer-Heinisch ortet eine quer durch die Wirtschaft sinkende Produktivität, die den Lockdowns der Pandemie geschuldet sei. "Der Schlabberlook feiert fröhliche Urständ. Die Mode ist immer auch Spiegel der Gesellschaft." Darüber hinaus belegten Studien, dass die Leistungsfähigkeit nach den ersten drei Wochen Lockdown in vielen Dienstleistungsbranchen abgenommen habe. "Homeoffice ist Gift für die Produktivität." (Verena Kainrath, 9.6.2022)