Seit 2005 gibt es den Straftatbestand "Eingehen und Vermittlung von Aufenthaltsehen" – vergangenes Jahr kam es zu 14 Verurteilungen.

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Es wurde der Verdacht des Eingehens einer Zweckehe erweckt, denn nur mit der Aufenthaltskarte könnte Frau B. legal bei ihrem Kind bleiben. "Wir bitten daher um Überprüfung", schrieb 2020 die für Einwanderung zuständige Wiener Behörde MA 35 an die Fremdenpolizei. Ein Jahr zuvor hatten Noah und Lisha B.* in Ottakring geheiratet. Während die Polizei ihre Ermittlungen aufnahm, wähnte sich das Paar in Sorglosigkeit. Endlich sollte Ruhe in ihr Leben und ihre Beziehung einkehren, wie Noah sagt. Sie sollten sich täuschen.

Kennengelernt haben sich die beiden 2017 über Bekannte. Sie, Ghanaerin mit italienischem Aufenthaltstitel und Mutter. Er, Deutscher, der seit vielen Jahren in Wien lebt und arbeitet. In welch rechtlicher Misslage sich Lisha befand, wusste Noah zu Beginn nicht, sagt er.

Mutter einer Österreicherin

Diese geht auf Österreichs nicht zimperlichen Umgang mit Angehörigen von Staatsbürgern zurück: Aus ihrer ehemaligen Beziehung hat sie eine Tochter, die österreichische Staatsbürgerin ist. Weil sie bei ihr in Wien bleiben wollte, stellte sie den Antrag auf den Aufenthaltstitel "Familienangehörige". Der Antrag wurde aber abgelehnt.

Lisha – nun in Beziehung mit Noah und mit alleinigem Sorgerecht für ihre Tochter – kehrte nach Italien zurück und kam als Touristin immer wieder legal für ein paar Tage nach Wien, etwa für Kinderarztbesuche. "Auf Dauer war das unbefriedigend", sagt Noah. Lisha sei zunehmend unsicherer geworden, nach Österreich zu reisen. "Wir hätten uns lieber mehr gesehen." Der einzige Ausweg für ein binationales Paar wie sie: die Hochzeit.

Verdächtige Ruhe

Darauf geschah aber lange Zeit nichts. "Ich dachte zuerst, es würden uns noch Dokumente fehlen", sagt Noah. Die MA 35 machte sich nach der Eheschließung rar, in E-Mails hieß es lediglich, der Antrag sei in Bearbeitung. Kurz zuvor zog Lisha mit ihrer Tochter in Noahs WG. Erst ein Jahr später wurden die Behörden aktiv, wie aus den Dokumenten, die dem STANDARD vorliegen, hervorgeht. Der Grundtenor der Korrespondenz: Für die Mutter sei es wichtig, bei ihrer Tochter in Österreich zu bleiben. Und jetzt heirate sie. Es werde sich wohl um eine Scheinehe handeln.

Von diesen Verdachtsmomenten gibt es pro Jahr unzählige: Allein im Jahr 2021 wurden in Wien 2940 Anträge auf Familienaufenthaltstitel gestellt. Auf Nachfrage heißt es vonseiten der MA 35, dass in "fünf bis acht Prozent der Fälle" die Landespolizeidirektion eingeschaltet werde. Wann aber kommt ein Verdacht auf? "Das kann ein anonymer Hinweis sein oder wenn der Ablauf des Aufenthaltstitels kurz vor Eheschließung drohte", sagt die Sprecherin. Es müsse im Einzelfall betrachtet werden.

Was darauf folgt, sind Polizeibesuche, die "unter strenger Beachtung menschenrechtlicher Aspekte stattfinden", sagt das Innenministerium dazu. Auf "Uhrzeit und sensible Orte im privaten Wohnraum wird nach Möglichkeit immer Rücksicht genommen", auch seien die Bediensteten dafür geschult. Im Jahr 2021 kam es jedenfalls zu 276 Anzeigen.

Richterin hatte keine Zweifel

Um fünf Uhr früh wurde Noah während des Lockdowns im Frühjahr 2020 von Türklopfen aus dem Schlaf gerissen. "Zwei Beamte sind in die Wohnung gekommen und haben unsere Zimmer durchforstet", erzählt er. Lisha war gerade bei einer Freundin in der Schweiz. Die Beamten forderten darauf Beziehungsbeweise. "Ich hatte damals die SIM-Karte des Handys getauscht. Unsere Chats waren dann nicht mehr drauf." All das und seine Unwissenheit über die genaue Wohnadresse der Schweizer Freundin ließen "auf kein echtes und aufrechtes Familienleben" schließen, so die Konklusion der Fremdenpolizei.

Anders sah das die Richterin, die über den Fall ein Jahr später entschied. Auf die Ermittlungen hin erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Eingehens einer Aufenthaltsehe. Seit dem Jahr 2005 gibt es diesen Straftatbestand in Österreich. Den beiden wurde zur Last gelegt, eine Ehe eingegangen zu sein, ohne ein wirkliches Familienleben zu führen. Eine Geldstrafe von bis zu 360 Tagsätzen wäre das Strafmaß. In den letzten zwei Jahren kam es laut Justizministerium in 14 von 84 Verfahren zu Verurteilungen. Für Noah und Lisha endete der Prozess mit einem Freispruch.

NGO: "Scheinehejäger" unterwegs

Härtefälle wie dieser sind Erika Eisenhut von der NGO Ehe ohne Grenzen bekannt. Was diese von Beginn an eint: "Der Verdacht steht bei all unseren Klientinnen im Raum", sagt sie. Auch den Kontrollbesuchen seien sie letztlich ausgeliefert. Dabei müssten sie die Polizei gar nicht in die Wohnung lassen, aber: "Kooperieren die Paare nicht, wird ihnen angedroht, das gegen sie zu verwenden", kritisiert Eisenhut. Klar gebe es auch vermittelte Ehen gegen Entgelt, sagt Peter Marhold von der NGO Helping Hands, diese seien aber ein Randphänomen und leicht ausfindig zu machen. Da aber alle Ehepaare unter diesem Generalverdacht stünden, komme es oft zu "absurden Fällen à la Kottan". Augenmaß gebe es da eher bei den Beamten der Fremdenpolizei, "in der MA 35 hingegen sind offenbar die Scheinehejäger unterwegs".

Die MA 35 verlängerte die Odyssee auch für Noah und Lisha nach deren Freispruch: Erst im Jänner 2022, ein halbes Jahr später, kam es zum Termin, bei dem Noah und Lisha getrennt befragt wurden – und erneut Beziehungsbeweise vorzulegen hatten. Der Sachbearbeiter habe da nach Hobbys, Tagesabläufen, Lieblingsessen, der Wohnung gefragt und Paarfotos eingefordert. Bis heute liegen diese in der Amtsstube; seither wieder Funkstille.

Endloses Prüfverfahren

Mit dem Fall konfrontiert, verweist die MA 35 auf den Spruch des Verwaltungsgerichtshofs, wonach Behörden die Ehe "selbst prüfen" und allen Hinweisen auf Vorliegen einer Aufenthaltsehe nachgehen müssten – trotz Freispruchs. Für das Paar eine "demütigende Situation". Ohne Papiere kann Lisha einerseits nicht arbeiten, auch leide ihre Beziehung stark darunter. "Lisha hat auch schon gesagt, dass sie es nicht mehr aushält", erzählt Noah, sie fühle sich völlig unwillkommen. Er glaubt, dass viele Mitarbeiter bei der MA 35 selbst überlastet seien und keine Kraft mehr hätten, den Handlungsspielraum auszuschöpfen. "Aber was haben wir denn verbrochen?" (Elisa Tomaselli, 17.6.2022)