Warteschlange vor dem Berliner Technoclub Berghain. Dort ist es zu Spiking-Attacken gekommen.

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Was Alison Lewis nach einem Besuch im berühmten Berliner Technoclub Berghain auf Instagram schreibt, klingt nicht nach lockerer Party. "Auf der Tanzfläche hatte ich sehr plötzlich Atemprobleme und bin schließlich zusammengebrochen", berichtet die 32-Jährige, die unter dem Künstlernamen Zoé Zanias Musik macht. Taubheit, eine vorübergehende Amnesie, trockenen Mund und Halsschmerzen habe sie dann nach der Wiederbelebung durch das medizinische Personal erlebt. Später habe ein Arzt einen Nadelstich bestätigt. Das Ganze sei ein "psychedelischer Horrortrip" gewesen. Und sie appelliert an andere Partypeople: "Wenn euch das passiert, geht sofort in Spital zum Drogentest und macht auch eine HIV-Postexpositionsprophylaxe."

Lewis' Post hat in Berlin für großes Aufsehen gesorgt, zumal sie nicht die Einzige ist, der derlei widerfahren ist. Laut dem "Tagesspiegel" gibt es mehrere Fälle. Auf Twitter hat jemand nach einem Besuch im Berghain folgende Beschreibung über einen Spiking-Vorfall veröffentlicht: "Der Typ stand mittig auf dem Berghain-Dancefloor, hat meine Hand gepackt und angefangen, sie zu küssen. Gleichzeitig hat er mir die andere Hand auf den Bauch gelegt, die Nadel muss zwischen den Fingern gewesen sein." Gefasst sei er nicht worden. Am Schluss heißt es in der Mitteilung: "Hoffe, der Irrsinn nimmt irgendwie bald ein Ende. Mir geht's so weit gut."

Noch keine Anzeigen

Noch gibt es bei der Berliner Polizei keine Anzeigen. Doch das Thema bewegt die Szene. "Wir nehmen diese Berichte sehr ernst und stehen in Kontakt mit verschiedenen Expert:innen und Organisationen. Statt potenziellen Opfern zu erklären, wie sie sich vor Spiking schützen, müssen wir alles dafür tun, diese Taten zu verhindern und Täter aus unseren Orten auszuschließen", heißt es bei der Berliner Clubcommission, dem Verband der Clubszene.

"Besonders besorgniserregend" sei, dass es bisher kaum gesicherte Erkenntnisse über die verwendeten Substanzen, über die Täter und ihre Motive gibt. Für den 16. Juni hat die Clubcommission eine Informationsveranstaltung mit Expertinnen und Experten angesetzt.
Andrea Piest, die in Berlin das 2018 gestartete Nightlife- und Präventionsprojekt Sonar betreut, sagt in der "Berliner Zeitung", es müsse sich um einen Stoff handeln, "der in einer geringen Dosis wirkt". GHB, das oft in sogenannten K.-o.-Tropfen enthaltene Betäubungsmittel, hält sie deshalb für unwahrscheinlich.

Ein Gefühl von Macht

"Narkosemittel wie Ketamin oder Opiate könnten eher Kandidaten sein", sagt Piest. Zu möglichen Motiven der Angreifer meint sie: "Es müssen Menschen sein, die sich genau auskennen. Wer andere wehrlos machen will, kann sexuelle oder kriminelle Beweggründe haben. Aber es kann auch darum gehen, ein Gefühl von Macht über andere auszuleben."

Berichte über "Spiking" oder "Needle-Spiking" gibt es auch aus Großbritannien und Frankreich, wo das Phänomen schon länger zu beobachten ist. Im südfranzösischen Toulon soll ein 20-Jähriger bei einem Konzert am Strand mit einer Nadel oder Spritze Besucher gestochen haben. In Vic-Fezensac im Südwesten des Landes wird einem Mann ein ähnlicher Angriff auf Festivalbesucher zur Last gelegt. Beide Männer wurden festgenommen.

Spiking auch bei Fußballspiel

In Belgien hat die Polizei im Mai bestätigt, dass es bei einem Spiel der Fußballliga zwischen KV Mechelen und KRC Genk zu zahlreichen Spiking-Fällen gekommen ist. Laut der Tageszeitung "Het Laatste Nieuws" sind bei 14 Anhängern des KV Mechelen am Samstag Verletzungen durch Nadelinjektionen festgestellt worden. Die Betroffenen hatten zuvor über Übelkeit geklagt. Auch von der Belgian Pride Parade in Brüssel wurden der Polizei zwei Spiking-Fälle gemeldet. (Birgit Baumann aus Berlin, 9.6.2022)