"Willkommen beim ersten Kanal in Europa, der mit Spycams arbeitet: ein Maxi-Archiv mit Bildern von Überwachungskameras, wo du einzigartiges Material findest: Videos aus Privatwohnungen, von Nudistenstränden, Hotels, Fitnesscentern, Schwimmbädern, Nightclubs, Toiletten."

Foto: Ed JONES / AFP

Mit derartigen ziemlich expliziten Werbespots lockten italienische Hacker Kunden auf Telegram und die russische Plattform VK. Ein Abonnement kostete 20 Euro; für das Doppelte konnte man auch einen "Premium"-Dienst buchen, der es den Internetvoyeuren erlaubte, die gehackten Kameras vom eigenen Handy aus anzusteuern und "das Leben der anderen" wie im gleichnamigen Film nach eigenen Vorlieben auszuspionieren – 24 Stunden am Tag.

Allein auf Telegram ist der Dienst nach Angaben der italienischen Polizei mindestens 2.000-mal gebucht worden. Die Zahlungen konnten über Paypal oder Kryptowährungen abgewickelt werden.

Völlig ahnungslose Opfer

Die Opfer, deren intime Bilder alsbald massenhaft im Netz zirkulierten, waren völlig ahnungslos: Bei vielen der angezapften Kameras handelte es sich um Komponenten von Videoüberwachungssystemen, die sie selber in ihrer Wohnung (und oft auch in den Schlaf- und Badezimmern) hatten installieren lassen und die sie aus der Ferne über ihr Mobiltelefon steuern und kontrollieren konnten. Aber eben nicht nur sie.

Die Ermittler in Mailand betonten, dass die Opfer es den Tätern es sehr leicht gemacht hätten: Bei den angezapften Videosystemen habe es sich um Billigprodukte gehandelt, die meist noch mit dem vom Hersteller voreingestellten, leicht knackbaren Passwort versehen gewesen seien. Oft seien auch spätere Sicherheits- und Firmware-Updates nicht installiert worden.

Bei Hausdurchsuchungen in ganz Italien stellten die Ermittler mehrere Computersysteme, Server und rund 50 Terabyte an Bild- und Videomaterial sicher. Insgesamt machte die Polizei elf mutmaßliche Täter dingfest, die unabhängig voneinander in zwei Gruppen agiert hatten; unter den Verdächtigen befindet sich auch ein 17-Jähriger. Gegen sie wird wegen unbefugten Eindringens in Computersysteme und wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Weil auf den sichergestellten Bildern und Videos auch Kinder zu sehen sind, erwägt die Mailänder Staatsanwalt auch eine Anklage wegen Pornografie mit Minderjährigen.

Warnung vor Billigsystemen

Auch die bisher noch anonymen tausenden Kunden des illegalen Dienstes müssen mit einer Anzeige rechnen, wenn ihre Identität einmal feststehen wird. "Wir stehen vor einem beunruhigenden Phänomen, das außerdem ziemlich weit verbreitet ist", sagt der Mailänder Staatsanwalt Eugenio Fusco. Bestätigt wird er in seiner Einschätzung von Alessio Aceti, Geschäftsführer des auf Datensicherheit spezialisierten Unternehmens Sababa Security. Aceti betont, dass unzulänglich geschützte, mit dem Internet verbundene Geräte – und damit auch Überwachungskameras – für Internetkriminelle leicht ausfindig zu machen seien: Es gebe dafür sogar eigens eine Suchmaschine (namens Shodan).

Staatsanwalt Fusco und Experte Aceti raten deshalb allen Privaten, die die Anschaffung einer Überwachungsanlage erwägen, moderne und sichere Systeme zu kaufen und diese von einer Fachperson installieren zu lassen. Nur so könne man einigermaßen sicher sein, dass man nicht in den eigenen vier Wänden heimlich durch das Auge der Videokameras beobachtet wird: von tausenden Cybervoyeuren. (Dominik Straub, 10.6.2022)