Die US-Band Fanny Anfang der 1970er: Damals wurde sie bloß als Novelty-Act wahrgenommen, jetzt widerfährt ihr Gerechtigkeit für ihre Pionierrolle.

Foto: Reprise

Der Bandname war eine Ansage. Fanny ist ein englisches Slangwort für den Popo, und als vier junge Frauen 1970 unter diesem Namen ihr gleichnamiges Debütalbum veröffentlichten, sorgte das schon deshalb für Gesprächsstoff. Weniger war daran gedacht worden, was der Begriff in Großbritannien für eine Bedeutung hat: als umgangssprachliches Wort für das weibliche Geschlecht – noch mehr Gesprächsstoff!

Doch auch abseits der Namensgebung waren Fanny bemerkenswert. Die Gruppe bestand aus Jean und June Millington, Alice de Buhr und Nickey Barclay. Die Millingtons kamen mit ihren Eltern als Einwanderer von den Philippinen in die USA, June und Alice sind lesbisch – das war insgesamt viel Problemstoff für das damalige Rock-Business.

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In dem waren die Rollen klar verteilt: Die Männer hielten die Gitarre im Schritt nach oben und machten jaulend einen auf Weltunterwerfung, Frauen hingegen waren sensible Wesen nahe dem Wasser, über die Ausnahmen wurde gestaunt. Und dann waren da Fanny. Die spielten grandios, veröffentlichten als eine der ersten Frauenbands bei einem Major Label und hätten das Zeug dazu gehabt, richtig groß zu werden. Aber es sollte anders kommen.

Portion Frust

Nach ein paar Chartsplatzierungen auf den hinteren Rängen, fünf Alben, Umbesetzungen und einer ziemlichen Portion Frust war Mitte der 1970er-Jahre wieder Schluss; bald legte sich der Mantel des Vergessens über die Band. In den letzten Jahren jedoch, unter dem Eindruck eines anderen Bewusstseins solchen Geschichten gegenüber, erlebte der Mythos Fanny eine Renaissance.

Beat-Club

Diese gipfelt im Moment in der aktuellen Doku Fanny: The Right to Rock! von Regisseurin Bobbi Jo Hart. Schon davor zeichnete sich ein Revival ab: Plötzlich gab es eine Fanny-Homepage mit Reissues und der Historie der Band. In der populären Netflix-Animationsserie F is for Family – angesiedelt in den 1970ern – taucht die Band prominent als Cartoon-Charakter auf, und der Sohn der Family, Kevin Murphy, hat ein Fanny-Poster an der Wand, deren Musik genauso gut in Richard Linklaters Coming-of-Age-Film Dazed and Confused gepasst hätte: Glockenhosen und Gras, yeah! Aber nicht.

Die weiblichen Beatles

Die Doku erzählt eine letztlich frustrierende Geschichte. Angestoßen wurde sie vom heute 79-jährigen Musikproduzenten Richard Perry. Der imaginierte Ende der 1960er so etwas wie die weiblichen Beatles. Als ihm eines Tages eine Mitarbeiterin von einer Girlie-Rockband erzählte, war er ganz Ohr, überzeugte sich, dann die Plattenfirma Reprise und brachte Fanny auf Schiene.

Beat-Club

Perry war einer der berühmtesten Produzenten der 1970er, doch Fanny wurden nicht richtig ernst genommen. Zwar waren sie Teil der Szene in Los Angeles, waren mit Typen wie David Bowie intim bekannt und von der Kollegenschaft geschätzt. Vermarktet und wahrgenommen wurden sie aber bloß als Novelty-Act, als Seltsamkeit. Das führte dazu, dass sie Nebenjobs annahmen oder Sessions spielten, etwa für Barbra Streisand.

Ein rares Vorbild

Dabei waren Alben wie Fanny (1970), Charity Ball (1971) oder Fanny Hill (1972) Arbeiten auf Höhe der Zeit – und sind zeitlos gut. Doch Fanny wollten in Interviews über ihre Musik sprechen, nicht über Boyfriends, die sie nicht hatten, oder ihr Aussehen. Als Perry die vier zwecks besserer Vermarktung in Glitzer-Outfits stecken wollte, war es zu viel: Fanny lösten sich nach dem eher ambitionslosen Rock and Roll Survivors (1974) auf.

Film Movement

Ihre Alben kosten heute viel Geld, selbst die wenigen Wiederveröffentlichungen schlagen zu Buche, aber im aktuellen Boom kommen wohl bald Neuauflagen. Heute weiß man, dass nachfolgende und vergleichbare Gruppen wie The Bangles, die Go-Go’s oder The Runaways in Fanny ein rares Vorbild sahen. 2018 kam es gar zu einer Reunion und dem Album Fanny Walked the Earth. Bis auf die Keyboarderin Nickey Barclay stehen alle Frauen stolz hinter ihrer Geschichte und erfreuen sich an der späten Anerkennung. Zeit war's. (Karl Fluch, 10.9.2022)