Für ihre Installation in Krems verwendete Chiharu Shiota typische Donauzillen aus der Wachau – die nach dem Abbau wieder zurück ins Wasser kommen.
Foto: Kunstmeile Krems / Christian Redtenbacher

Ein roter Himmel stülpt sich über das eigene Haupt. Unzählige Äderchen verwachsen zu einem Gewölbe aus Wolle: Knoten, Verknüpfungen und Netze werden zum wandelbaren Spinnennetz, das durch den gesamten Raum wuchert. Hindurchgehen darf man durch dieses faszinierende Kunstwerk – muss man! Erstmals hat die bekannte Künstlerin Chiharu Shiota eine Arbeit dieser Dimension in Österreich gestaltet, die ortsspezifischen Luftskulpturen aus kilometerlangen Fäden – schwarz, weiß oder rot – gelten als Markenzeichen des Kunststars aus Japan.

Dies als imposante Installation in die durch die großzügigen Glasscheiben auch von außen einsehbare Halle gleich im Erdgeschoss der Landesgalerie Niederösterreich in Krems zu setzen ist in vielerlei Hinsicht ein Highlight. Spätestens seit ihrem vielfach beachteten Beitrag im japanischen Pavillon in Venedig 2015 werden die Werke der Installationskünstlerin auf Biennalen und in Ausstellungen auf der ganzen Welt gezeigt. Mit der Einladung Shiotas landet die seit Anfang des Jahres amtierende Direktorin Gerda Ridler jedenfalls einen Coup.

In den roten Wollfäden flattern historische Landkarten der Donau. Für Shiota ein Symbol der grenzüberschreitenden Verbindung.
Foto: Kunstmeile Krems / Christian Redtenbacher

Fenster zur Welt

Aber halt – eine internationale Künstlerin in der sonst auf österreichische Kunst fokussierten Landesgalerie? Ein Novum unter der neuen Leitung. Wobei hier keineswegs der vis-à-vis gelegenen Kunsthalle, die sich dem zeitgenössischen Internationalen verschrieben hat, Konkurrenz gemacht werden solle, beteuert Ridler. Man möchte lediglich ein Fenster öffnen und immer wieder partizipative und installative Projekte von internationalen Künstlerinnen zeigen. Diese werden stets konkrete Bezüge zu Krems, der Wachau oder der speziellen Architektur der Landesgalerie herstellen.

So hat der gedrehte, mit verglasten Seitenbögen versehene Raum die Künstlerin schließlich überzeugt, eine ihrer aufwendigen Installationen in Krems zu verwirklichen, als sie Anfang des Jahres zur Besichtigung anreiste. Normalerweise spinnt Shiota, die 1972 in Osaka geboren wurde und seit den 1990er-Jahren in Berlin lebt, ihre raumfüllenden Arbeiten in geschlossenen Räumen, oft verwebt sie darin Erinnerungsstücke und Alltagsobjekte wie Koffer, Kleider oder Schlüssel zu andächtigen Werken mit überskulpturalem Anspruch.

Die 1972 in Osaka geborene Künstlerin lebt seit den 90ern in Berlin.
Foto: Sunhi Mang

Blutgefäße und Metaphern

In Krems setzt sie ihr Geflecht nun erstmals in einen von der Straße einsehbaren Raum und lässt dieses nicht wie sonst oft aus selbst entworfenen Booten, sondern aus hölzernen Donauzillen bis an die Decke wachsen. Fünf der typischen Wasserfahrzeuge wurden von der Freiwilligen Feuerwehr Krems und dem Verein Zille Wachau zur Verfügung gestellt – und kehren nach der Ausstellung zurück ins Wasser. "Meine Idee war, Krems mit der Welt zu verbinden", sagt Shiota.

Den Booten als Symbol der Reise und des Unbestimmten fügt sie Kopien historischer Landkarten der Donau, die in dem dichten Netz wie von Windböen aufgetrieben zu flattern scheinen, als Zeichen der grenzüberschreitenden Verbundenheit hinzu. Die Verzweigungen des Flusses werden wiederum von dem roten Fadenwerk reflektiert, das sich tatsächlich auf Blutgefäße und eine einer japanischen Legende entsprechende metaphorische Verbindung zwischen allen Menschen über alle Kulturen hinweg bezieht.

Die Idee, mit Fäden zu arbeiten und Malerei so quasi in den Raum zu holen, kam der Künstlerin im Traum.
Foto: Kunstmeile Krems / Christian Redtenbacher

Andächtig, kitschig, deep

Neben diesen vielleicht etwas kitschigen Interpretationen und teils tiefgründigen Bedeutungszuschreibungen – die Boote erinnern immer auch an Flucht und Vertreibung – funktioniert Shiotas Kunst auf vielen Ebenen, allen voran auf der ästhetischen: Wer schon eine von ihren Installationen live durchwandelt hat, weiß, wie einnehmend diese sein können. Kaum vorstellbar, dass die Künstlerin, die Ende der 90er-Jahre bei Marina Abramović herself studierte, manche dieser auch mit Performances bespielt. In früheren Arbeit verwob sie Betten aus einer psychiatrischen Klinik mit schwarzen Fäden oder Pflanzen und schlief selbst darin. Tatsächlich soll ihr die Idee zur Arbeit mit den Fäden und somit dem Übertritt der Malerei in den Raum im Traum erschienen sein.

Von ihren unverkennbaren Installationen werden heute zugleich Fans des Handwerks, Anhängerinnen der performativen Installationskunst bis hin zu Jägern Instagram-tauglicher Fotos angesprochen. Die schiere Fülle an Material kann aber auch überfordern, immerhin besteht der Kremser Fadendschungel aus stolzen 700 Kilometer Wolle, die von zwei Assistentinnen Shiotas sowie acht Mitarbeitern der Landesgalerie nach Skizzen der Künstlerin zwei Wochen lange verknüpft wurden.

Bewahrt oder gesammelt werden können Shiotas Arbeiten in diesem Zustand jedoch nicht, der temporäre Charakter ist den Werken inhärent. Bis Mitte Jänner wird die Präsentation zu sehen sein. Dann demontieren die Scheren und setzen dem temporären Zauber ein Ende. (Katharina Rustler, 10.6.2022)

Shiotas Beitrag auf der Biennale in Venedig 2015 verhalf ihr zum internationalen Durchbruch.
International Art magazine