Die Pandemie hat Botendienste befeuert. Die Fluktuation in der Branche liegt bei 70 Prozent.

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Wien – Ihr Arbeitsplatz ist die Straße. Ihr Job ist der tägliche Wettlauf gegen die Zeit. Das Geschäft der Zusteller und Fahrradbotendienste erlebt seit der Corona-Krise starken Rückenwind. Betreiber digitaler Plattformen wie Uber, Bolt, Mjam und Alfies versprechen Mitarbeitern die Freiheit auf zwei oder vier Rädern.

Es ist der leichte Zugang zum Arbeitsmarkt, der vor allem viele Menschen mit Migrationshintergrund in ihre Arme treibt. Was für diese nach hoher Flexibilität aussieht, ist letztlich jedoch fehlender Schutz. Wer in Österreich sein Geld mit der Lieferung von Essen und Lebensmitteln verdienen will, arbeitet mit großer Wahrscheinlichkeit prekär.

Eine aktuelle Studie von TU Wien und Uni Wien in Kooperation mit einem globalen Netzwerk an Forscherinnen und Forschern hat die Arbeitsbedingungen der rasant wachsenden Plattformökonomie detailliert unter die Lupe genommen. Der daraus entstandene erste Fairwork-Report für Österreich stellt der jungen Branche ein über weite Strecken miserables Zeugnis aus.

Armut trotz Arbeit

Die Jobs seien von geringen Löhnen und hohen wirtschaftlichen Risiken für Arbeitnehmer geprägt. Sozial- und Krankenversicherung spiele es nur selten. Die Chance, sich gewerkschaftlich organisieren zu können, sei gering, geht aus der Analyse hervor, für die Arbeitgeber ebenso befragt wurden wie Mitarbeiter.

"Es handelt sich bei Plattformarbeit in Österreich vornehmlich um prekäre Arbeitsverhältnisse", resümiert Laura Vogel von der TU Wien. Sie spricht von Working Poor, also von Menschen, die trotz Arbeit von Armut betroffen sind.

Die Forscher knöpften sich sechs Plattformanbieter vor: die Essenszusteller Mjam und Lieferando, den Lebensmittellieferanten Alfies, die Fahrdienstvermitter Uber und Bolt sowie den Reinigungsdienst Extrasauber. Was faire Entlohnung anbelangt, konnte nur ein Unternehmen nachweisen, dass seine Löhne den Kollektivverträgen entsprechen.

Allein drei Plattformen belegten, dass sie Stundenlöhne bezahlen, die zumindest über die Schwelle der Armutsgefährdung von 9,32 Euro brutto hinausgehen. Den Nachweis eines Sicherheitsnetzes über fixe Anstellungen, sprich Zugang zu bezahltem Krankenstand und Urlaub, erbrachte lediglich ein Anbieter.

Alle Plattformen boten transparente Verträge, nur bei einer fanden sich darin aber keine unfairen Klauseln. Wer mit Subfirmen kooperierte, konnte nur sehr bedingt die Einhaltung von BranchenStandards garantieren. Der Versuch der Mitarbeiter, Kundenbeschwerden anzufechten, die zu weniger Aufträgen führen, ging vielfach ins Leere.

Unterm Strich schnitt Lieferando mit acht von zehn Punkten am besten ab, Extrasauber mit fünf und Mjam mit vier Punkten lagen im Mittelfeld. Alfies und Uber erhielten zwei Punkte. Bolt rangierte mit einem Punkt auf dem letzten Platz.

Martin Gruber-Risak, Experte für Arbeits- und Sozialrecht an der Uni Wien, kritisiert, dass Österreichs Politik viel zu spät auf Missstände reagierte. "Der Ball wurde hin und her gespielt. Keine Regierung fasste ihn an. Offenbar wollte man dieses zarte Pflänzchen im digitalen Garten nicht im Keim ersticken."

Digitale Blackbox

Tatsächlich sei es durch menschliches Kapital kräftig gedüngt worden. "Und neben Blumen wuchs Unkraut." Gruber-Risak führt die in der Branche grassierende Scheinselbstständigkeit ins Treffen. Rein formal seien die meisten Beschäftigten freie Dienstnehmer oder arbeiteten auf Basis eines Werkvertrags.

De facto unterliege ihre Leistung jedoch strenger Kontrollen und Vorgaben. Da Aufträge über Apps organisiert werden, sei es fast unmöglich, persönliche Abhängigkeiten zu beweisen. "Arbeitende stehen einer digitalen Blackbox gegenüber."

Der EU sei mittlerweile die Kartoffel zu heiß geworden. Eine neue Richtlinie sieht vor, dass Beschäftigte als Arbeitnehmer gelten, solange nicht das Gegenteil bewiesen wird. Das trenne Spreu vom Weizen, sagt Gruber-Risak. Eine Regulierung der Plattformarbeit fehle aber nach wie vor. "Dass Freiheit die Aufgabe von Schutz bedeutet, ist arbeitsrechtlich falsch", betont der Experte. Mit der Studie liegen nun Qualitätskriterien vor. Konsumenten hätten es in der Hand, sich daran zu orientieren. (Verena Kainrath, 10.6.2022)