Die Anhörung des Sonderausschusses des Repräsentantenhauses zur Untersuchung des Angriffs auf das US-Kapitol am 6. Jänner unter dem Vorsitz von Bennie Thompson.

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Washington – Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Erstürmung des US-Kapitols sieht die Verantwortung für die Ereignisse des 6. Jänner 2021 bei Ex-US-Präsident Donald Trump. In einer ersten öffentlichen Anhörung hat der Ausschuss neue Erkenntnisse zu den Hintergründen der Attacke offengelegt und Trump weiter belastet. In der Sitzung am Donnerstagabend zeigte das Gremium Videomaterial und Ausschnitte aus Befragungen früherer Mitglieder der Trump-Regierung.

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So bezeichnete Ex-Justizminister William Barr die Wahlbetrugsbehauptungen Trumps als Schwachsinn ("Bullshit"). Die Ausschussmitglieder warfen Trump vor, dieser habe mit seinen Betrugsbehauptungen den wütenden Mob angetrieben. Die Vizeausschusschefin und prominente US-Republikanerin Liz Cheney appellierte eindringlich an ihre Partei, die Erstürmung klar zu verurteilen.

"Flamme dieses Angriffs entzündet"

Cheney sagte, die Erstürmung des Kapitols sei "kein spontaner Aufstand" gewesen. "Präsident Trump hat den Mob herbeigerufen, den Mob versammelt und die Flamme dieses Angriffs entzündet." Über Monate habe Trump einen ausgeklügelten Plan koordiniert, um den Ausgang der Präsidentenwahl zu kippen und die Machtübergabe an seinen Nachfolger zu verhindern.

Bennie Thompson und Liz Cheney kritisieren Donald Trump.
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"Heute Abend sage ich meinen republikanischen Kollegen, die das Unentschuldbare verteidigen: Es wird der Tag kommen, an dem Donald Trump nicht mehr da ist, aber Ihre Schande wird bleiben", erklärte Cheney. Sie spielte damit darauf an, dass sich viele Republikaner trotz des beispiellosen Gewaltausbruchs an jenem Tag nicht von Trump distanziert haben.

Cheney ist eine von nur zwei republikanischen Abgeordneten in dem neunköpfigen Gremium. Sie ist eine ausgewiesene Trump-Kritikerin. Die republikanische Abgeordnete appellierte zugleich an die Bevölkerung, daran zu denken, was auf dem Spiel stehe. "Als Amerikaner haben wir alle die Pflicht, dafür zu sorgen, dass sich das, was am 6. Jänner geschah, nie wiederholen wird", sagte Cheney.

"Anstachelung"

Der Ausschussvorsitzende Bennie Thompson hatte zuvor bei der Vorstellung der ersten Ermittlungsergebnisse am Donnerstag gemeint, Trump habe die Demonstranten zu den Ausschreitungen "angestachelt". Die Kapitol-Erstürmung sei "der Höhepunkt eines Putschversuchs" gewesen.

Trump warf dem Ausschuss am Freitag dagegen Voreingenommenheit vor. "Eine einseitige, völlig parteiische, politische Hexenjagd!", schrieb er auf der von ihm mitbegründeten Online-Plattform Truth Social. Trump griff auch seinen früheren Justizminister an. "Barr war ein Feigling", schrieb er. "Er war dumm." Trump wiederholte seine widerlegte Behauptung, dass die Präsidentenwahl 2020 "gefälscht und gestohlen" wurde. Zum Angriff seiner Anhänger auf das Kapitol äußerte er sich nicht.

Ex-Justizminister Barr erklärte, er habe nach der Präsidentenwahl im November 2020 mehrere Gespräche mit Trump zu dem Thema gehabt: "Ich habe deutlich gemacht, dass ich nicht damit einverstanden bin, dass behauptet wird, die Wahl sei gestohlen worden, und dass dieses Zeug verbreitet wird, von dem ich dem Präsidenten gesagt habe, dass es Schwachsinn ist."

William Barr bezeichnete die Behauptungen über einen Wahlbetrug als "Bullshit".
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Keine Hinweise auf Wahlbetrug

Er habe dem Präsidenten mehrfach unmissverständlich gesagt, dass er keinerlei Hinweise auf Wahlbetrug sehe, sagte Barr. Auch eineinhalb Jahre später sehe er nichts, was seine Meinung ändere. Behauptungen dieser Art nannte er "verrückt". Der Ausschuss zeigte auch den Videomitschnitt einer Befragung von Trumps Tochter Ivanka. Gefragt nach Barrs Aussagen sagte sie, dessen Einschätzung habe durchaus Auswirkungen auf ihre Sichtweise gehabt. Sie respektiere Barr. "Also akzeptierte ich, was er sagte."

Der Untersuchungsausschuss hatte über zehn Monate hinter verschlossenen Türen hunderte Zeugen befragt. In der öffentlichen Sitzung wurden erstmals Ausschnitte der Befragungen gezeigt. Trump behauptet bis heute ohne Belege, er sei durch Wahlbetrug um den Sieg bei der Präsidentenwahl 2020 gebracht worden. Über Wochen versuchte er damals mit fragwürdigsten Methoden, den Wahlsieg des Demokraten Joe Biden nachträglich zu kippen. Der Widerstand gegen den Wahlausgang gipfelte in der Attacke auf das Kapitol.

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Drohungen gegen Ex-Vizepräsident Pence

Das Gremium legte offen, dass Trump sich während des Sturms auf das Kapitol positiv über Drohungen seiner Anhänger gegen Vizepräsident Mike Pence geäußert habe. Cheney sagte unter Berufung auf Erkenntnisse des Gremiums, Trump habe von den Drohungen gewusst und dazu gesagt: "Vielleicht haben unsere Anhänger die richtige Idee." Pence verdiene es, zitierte Cheney Trump. Pence hatte am 6. Jänner 2021 in seiner Rolle als Vizepräsident die Kongresssitzung geleitet, bei der Bidens Wahlsieg bestätigt wurde. Trumps Anhänger suchten damals im Gebäude auch nach Pence, den sie als Verräter beschimpften und zu hängen drohten, weil er Bidens Bestätigung nicht verhinderte.

Pence war nach Erkenntnissen des Ausschusses derjenige, der am Ende die Nationalgarde zur Unterstützung anforderte, um die Lage am Kapitol unter Kontrolle zu bringen. Dies gab Generalstabschef Mark Milley in seiner Befragung an, aus der ebenfalls Ausschnitte gezeigt wurden. Das Weiße Haus habe es jedoch so darstellen wollen, als habe Trump die Entscheidung getroffen, hieß es weiter.

Seit Joe Bidens Wahlsieg ist es verhältnismäßig still um seinen Vorgänger geworden. Donald Trump arbeitet jedoch – mit teils fragwürdigen Mitteln – an seinem Comeback.


DER STANDARD

Zwei Zeugenaussagen

Bei der Ausschusssitzung sagten außerdem live zwei Zeugen aus. Eine Polizistin, die bei der Kapitol-Attacke verletzt worden war, erzählte von ihren traumatischen Erlebnissen. Und ein Dokumentarfilmer, der am Tag des Angriffs Mitglieder der rechten Miliz "Proud Boys" begleitet hatte, berichtete von seinen Erfahrungen. Die "Proud Boys" und die rechte Gruppierung "Oath Keepers" spielten nach Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses eine entscheidende Rolle bei der Attacke. Sie seien teils in voller Kampfausrüstung erschienen und hätten den Angriff koordiniert. Mitglieder beider Gruppen wurden nach der Erstürmung festgenommen und angeklagt. Die Verfahren laufen größtenteils noch.

In den kommenden Wochen sollen weitere öffentliche Anhörungen des Gremiums folgen. Die nächste Sitzung ist für Montag angesetzt.

Gewaltsame Erstürmung

Anhänger des abgewählten Präsidenten hatten am 6. Jänner 2021 gewaltsam den Parlamentssitz in der Hauptstadt Washington gestürmt. Dort war der Kongress damals zusammengekommen, um Bidens Wahlsieg zu zertifizieren. Bei den Krawallen kamen fünf Menschen ums Leben, darunter ein Polizist. Trump hatte seine Anhänger kurz zuvor bei einer Kundgebung damit aufgewiegelt, dass ihm der Wahlsieg gestohlen worden sei. Der Untersuchungsausschuss im Kongress wurde eingesetzt, um die Hintergründe des Angriffs aufzuklären.

Kurz vor Beginn der Anhörungen nahm die Bundespolizei FBI den aussichtsreichsten republikanischen Bewerber für das Gouverneursamt im Bundesstaat Michigan, Ryan Kelley, fest. Wie das Justizministerium am Donnerstag mitteilte, wird ihm vorgeworfen, an den Ausschreitungen teilgenommen zu haben. Nach Angaben des FBI wurde Kelley am Donnerstagmorgen in seinem Haus in Allendale in Michigan festgenommen. Der Gründer des rechtsextremen American Patriot Council wird den Angaben zufolge beschuldigt, illegal das Kapitol betreten und dort vorsätzlich fremdes Eigentum beschädigt zu haben. (APA, 10.6.2022)