"Yes, I am! Schattenbilder des Männlichen": Der starke Mann stellt sich heute auch selbst infrage.

Foto: Imago / Westend61 / Gustafsson
Well my pad is very messy
And there’s whiskers on my chin
And I’m all hung up on music
And I always play to win
I ain’t got no time for lovin’
Cause my time is all used up
Just to sit around creatin’
All that groovy kind of stuff
(But) I’m a man
Yes I am
And I can’t help
But love you so.

(Stevie Winwood / Spencer Davis Group I’m a Man, 1967)

Es ist verblüffend schwierig geworden zu schreiben, was ein Mann ist. Aus der Innensicht wie aus der Außenperspektive. Wie viele verschiedene Typen verbergen sich hinter diesem großen Abstraktum "Der Mann"? Neurotische Schüchterne wie bei Kafka, Bösewichter wie bei Shakespeare, Zarte und Grobiane, glatte Stutzer aus der Werbung und Männer, die aussehen, als wären sie der Welt der Propheten entsprungen.

Machistische Auslaufmodelle und Frauenversteher, eiskalte Tyrannen und freundliche Mediengesichter. Dem Abstraktum Mann entsteigen so viele verschiedene Wesen, die nur eines gemeinsam zu haben scheinen, nämlich dass sie humane Lebewesen mit einer bestimmten biologischen Ausstattung und einem unbestimmten Habitus sind.

Wenn wir über Männer und Frauen sprechen, dann sprechen wir über die Bilder, die von ihnen in Umlauf sind, Selbstansichten, Fremdansichten. Viel wichtiger wäre indes die Frage, was für ein Mann jemand sein will und welche Sorte von Männern von ihnen, den Frauen, gefragt ist. Und wie scheinbar chaotisch sich Männer- und Frauenbilder überlagern.

Verwirrende Ansichten

Die Ansichten der Männer, die fremden und die eigenen, sind einigermaßen verwirrend, sonderlich gefragt sind sie nicht; in Zeiten, wo es darauf ankommt, ein Loblied auf die starke Frau anzuheben, ist das Ansehen alles Männlichen dramatisch, aber nachvollziehbar im Kurs gesunken, selbst dann, wenn sich zeigen ließe, dass manche dieser gepriesenen Stärken – plakativ waren hier die weiblichen Western-Helden à la Sharon Stone (Schneller als der Tod, 1995) – durchaus "männlich" konnotiert sind.

Überhaupt wäre es interessant, wie viele weibliche Stärkemomente sich dem mimetischen Begehren verdanken, auch so sein zu können wie Mann. Wie ein Seitenblick auf populäre Formate zeigt, befindet sich das Männliche nicht erst seit #MeToo und so spektakulären wie peinlichen Promi-Prozessen – man denke an jenen des Schauspieler-Duos Depp-Heard – im freien Fall.

Scheitern im Privaten

Man braucht sich nur die vielen beliebten Krimiserien in deutschsprachigen Sendern anzuschauen, um zu konstatieren, dass die Männer in einem komischen Verhältnis zur heutigen Lebensrealität stehen.

Es sind Männer, die im Umgang mit ihren Töchtern kläglich versagen oder vor lauter kriminalistischer Tätigkeit keine Zeit für "sie" – Frau, Familie, Kinder – haben, die in verkorksten Verhältnissen leben. Sofern sie ihren Job nicht an die vielen Chefkommissarinnen abgegeben haben, steht ihr beruflicher Erfolg in einem krassen Missverhältnis zu ihrem Scheitern in privaten Beziehungen.

Mann sein, das bedeutet, von den Ausnahmen, die den Befund erst richtig bestätigen, soziale und emotional defizitär und defekt zu sein. Deshalb scheitert die bunte Schar männlicher Kommissare an all den Tatorten von Wien über Münster bis zum Bodensee nicht selten an jenen Kleinigkeiten und Nichtigkeiten, die Hegels Ästhetik als bestimmend für das Traurig-Komische angesehen hat, das er vom Lustigen unterschieden hat.

Enden wollender Erfolg

Da hatte es Stevie Winwoods lyrisches Ich, das seinem weiblichen Gegenüber stolz seine männliche Unabhängigkeit hinwirft, noch ungleich einfacher. Ja, ich bin ungepflegt, mit Bartstoppeln, ich bin einer, der sein Spiel spielt, und hab eigentlich nur meine Musik im Sinn. Wenn du mich haben willst, dann musst du mich eben nehmen, wie ich bin. I’m a man, yes I am.

Die Erfolgsaussichten solcher Männlichkeit sind heutzutage enden wollend. So wie auch die selbstherrliche Subjektivität aus der Welt der amerikanischen Western und ihres merkwürdigen Fortlebens im Italowestern, aber auch in feministischen Umkehrungen heute nur noch als Parodien von Männlichkeit genießbar sind. Jene Männlichkeit, die ihr weibliches Gegenüber durch Entzug in Schach hält: I ain’ t got no time for lovin’, kräht Winwood übermütig.

Die harten Riffs der elektronischen Gitarre sollen diese Botschaft unmissverständlich unterstreichen. Der Liebesentzug schließt Sprachverweigerung, Distanz und Abwesenheit, innere wie äußere mit ein und konstituiert das Geheimnis des Männlichen, das sich zumal im Western mit Trauma, Verrat und Tod verbindet.

Schleichende Erosion

Die rhetorische Frage ‚Du liebst mich doch trotzdem?‘ zieht nicht mehr, so wie das in so vielen amerikanischen Liebesfilmen vorgeführt wird, etwa wenn sich in Joseph L. Mankiewiczs Film The Ghost and Mrs. Muir (1947) eine sich emanzipierende junge Witwe (Gene Tierney) in das Gemälde eines von ihr zum Leben erweckte Gespenst eines verstorbenen Kapitäns (Rex Harrison), des Vorbesitzers des Hauses, verliebt, eben weil er ein Mann mit harter Schale und einem weichen, sentimentalen, verletzten Seelchen ist.

Ein Klassiker, eine überaus erfolgreiche narrative Matrix in Zeiten einer schleichenden Erosion traditioneller Geschlechterbeziehungen, die dem magischen und symbolischen Wendejahr von 1968 vorausgeht.

Zehn Jahre nach dem Hitparadenerfolg von I’am a Man ist der trotzig-siegessichere Nachklapp "Yes, I am" storniert. Den feministischen Gesprächskreisen folgen Gruppen von jungen Männern, die darüber grübeln, wie "Mann" heute sein kann und soll. Die Reformtheologie entdeckt das Thema des neuen Mannes und stellt sich die Frage, ob nicht ein antipatriarchaler Jesus Christus als ein neuer Prototyp, als Role-Model eines sanft gewordenen Mannes taugen könnte.

Hilflose Suchbewegungen

Dieser kurzen und etwas hilflosen Suchbewegung war weder viel Aufmerksamkeit noch sonderlicher Erfolg beschieden. Unter der Oberfläche der neuen Männer kommen die Konturen der alten zum Vorschein. Jedenfalls sind die Bücher darüber, was Frau ist und was in Sachbüchern, Psychoanalyse, autobiografisch orientierten Texten unermüdlich abgehandelt wird, inflationär geworden.

Man kann die selbstherrlichen alten und die ramponierten neuen Männerbilder übereinanderlegen und stößt dabei auf ein Phänomen, das Gregory Bateson in seinem bis heute lesenswerten Buch Die Ökologie des Geistes als einen Schizophrenie fördernden Double Bind beschrieben hat.

Die komplizierte Situation dieser Kommunikationsfalle ergibt sich daraus, dass zwei Botschaften, die eine Person in einem Atemzug aussendet, einander widersprechen. In Batesons eigenem Beispiel besteht die Falle darin, dass die Mutter das Kind einlädt, in ihre Arme zu kommen, während ihre Körpersprache das genaue Gegenteil verrät.

Double Bind

Aktuell ist das einstmals stolze männliche Geschlecht der Adressat inkompatibler Mitteilungen und Ansagen. Man kann sogar so weit gehen und argwöhnen, dass dieser Double Bind mittlerweile die heutigen Beziehungen der Geschlechter systematisch prägt.

Die Frau, die programmatisch den sanften, zurückhaltenden und zurücksteckenden Partner schätzt, der ihr Platz für die eigene Karriere schafft, findet womöglich den selbstbewussten "autonomen" Mann, dessen Platz sie ja gerne selbst einnehmen möchte, womöglich attraktiver als das fürsorgliche, beruflich erfolglose Weichei, das das Haus hütet und an die alte weibliche Position erinnert.

Es muss ja nicht immer gleich ein Gauner sein wie in der Welt der Dreigroschenoper oder ein melancholischer Gewaltanbeter wie im Italowestern. Es genügt, dass er Schwäche zeigt, ohne Stärke zu provozieren. Dieser Maxime Adornos zu folgen ist heute für die männliche Seite ebenso schwer wie einen Widerspruch anzumelden, der Anerkennung und Respekt einschließt.

Androgynie

Im Falle des gegenwärtigen Geschlechter-Settings, das die Bipolarität von Mann und Frau in eine Pluralität von Identitäten und Differenzen auflöst, fällt eine zentrale Einsicht unter den Tisch, die von Spätaufklärung und Frühromantik bis zur klassischen Psychoanalyse präsent war, dass die Androgynie von Männern wie von Frauen anzutreffen ist und sich durchaus von dem sozialen Aspekt der Geschlechterrolle unterscheidet. Virginia Woolf hat in ihrem berühmten Roman Orlando Androgynie, radikalem Wechsel von männlicher und weiblicher Existenz, ein literarisches Denkmal gesetzt.

Was immer weiblich und männlich bedeuten mag, es ist nicht fein säuberlich auf die zunächst zwei Geschlechter aufgeteilt. So viele verschiedene Männer, so viele verschiedene Frauen! Die Anerkennung dieser Androgynie etwa durch den Mann bildet die Voraussetzung dafür, eine ganz simple Tatsache zur Kenntnis zu nehmen: dass Männer und Frauen vieles gemeinsam haben und dass sie einander ähnlicher sind, als es ihre privaten und politischen Konflikte suggerieren. Frauen können Männer und Männer Frauen verstehen, wenn sie sich der Mühe der damit verbundenen Übersetzungsarbeit unterziehen.

Wie patriarchal ist die Welt?

Wie patriarchal ist der westliche Mann heute? Wie patriarchal ist unsere Welt? Das "Patriarchat" funktioniert noch immer als ein rhetorischer Kampfbegriff, in dessen Namen gegen männliche Vorherrschaft jedweder Art, wirkliche und vorgebliche, gekämpft wird.

Keine Frage, es gibt Privilegien und schiefe Verteilungslagen, die Frauen in manchen Bereichen benachteiligen. Aber Hand aufs Herz: Wie viele Patriarchen gibt es unter den jüngeren Männern unseres postmodernen Zeitalters, Autoritäten der symbolischen Ordnung oder Instanzen des Über-Ich, denen sich Sohn und Tochter zu fügen haben?

Die informelle geschlechtliche Gewaltentrennung funktioniert nicht mehr.
Foto: Imago / Westend61 / Gustafsson

Nicht wenige Männer agieren viel eher als liebende Berater ihrer Frauen und Töchter. Patriarchen und Matriarchinnen haben sich in Navigatoren verwandelt, um ihrem Nachwuchs beizubringen, sich in einer komplexen Welt, die uns alle überfordert, zurechtzufinden.

Viele Männer in unserer postpatriarchalen westlichen Welt handeln in dem selbstverständlich gewordenen Wissen, welche hilfreiche Lebensmedizin jene elterliche bzw. väterliche Liebe und Anerkennung darstellt, deren Pointe darin besteht, dass sie keine Dankbarkeit erwarten darf. Verpönt ist, was noch vor nicht allzu langer Zeit, selbstverständlich war: dass, wie bei Erich Fromm, väterlicher Liebe Strenge beigemischt war.

Informelle Macht

Autoritäre Generationsmodelle und Traditionsbestände wie Patriarchat und Matriarchat sind heutzutage als systematische soziale und symbolische Ordnungsmuster unrettbar verloren. Sie beruhten – kulturübergreifend – auf der Teilung der sozialen Welt, die Außenwelt, die Polis für den Mann, die Innenwelt, der Oikos, das Haus für die Frau.

Seit der Moderne muss Frau lernen, sich in der Polis zu bewähren und durchzusetzen, während Mann sich in der Situation befindet, sich in der Welt des Oikos zu bewähren, einer Sphäre, deren heimlicher Einfluss weit unterschätzt wird.

In Zora de Buonos wunderbarem Roman Die Marschallin ist es ein slowenisches Bauernmädchen, dem es gelingt, die links-aristokratische Familie ihres erfolgreichen Mannes mit leichter Hand zu regieren. Eine Fallstudie informeller Macht. Diese informelle geschlechtliche Gewaltenteilung funktioniert nicht mehr, an ihre Stelle tritt offener Kampf und Interessenausgleich, ein Zusammenleben, in dem auch noch Platz für Zärtlichkeit und Liebe bleiben soll.

Vaterlose Gesellschaft

Seit Freud kreuzt sich die Kritik am Patriarchat mit dem beunruhigenden Befund der vaterlosen Gesellschaft. Mit dem Verschwinden des Vaters. Freud, Sohn aus einer konservativen jüdischen Familie aus der mährischen Provinz, war mit seiner Psychoanalyse ein symbolischer Vatermörder. Dass der Ödipus-Mythos, die Ermordung des Vaters (und, damit verwandt, die Ermordung des Vaters der Urhorde), im Zentrum seiner kulturtheoretischen Überlegungen steht, ist ein Beleg für die Ambivalenz gegenüber dem Mann als Vaterfigur.

Gleichzeitig zeigt er sich besorgt über die Leerstelle, die die Abwesenheit des väterlichen Mannes hervorruft. Der Adler-Schüler Manès Sperber hat in seiner Studie über die Tyrannis moderne Diktatoren nicht als patriarchale Männerfiguren gedeutet, sondern als ein Krisenphänomen, das darauf verweist, dass der symbolischen Ordnung eine ganz wesentliche Funktion abhandengekommen ist.

Von hier bis zur Diagnose der vaterlosen Gesellschaft ist es kein weiter Weg; die vielen, oft unfreiwillig alleinerziehenden Frauen wissen davon ein Lied zu singen. Sie sehen sich nämlich über ökonomische Probleme hinaus mit einer Überforderung konfrontiert, die durch die Abwesenheit des Vaters leer gewordene Stelle zusätzlich selbst zu besetzen.

Die Diagnose Mitscherlichs hat kaum an Aktualität eingebüßt, sie kann als Symptom eines tieferliegenden Wandels verstanden werden, hat es doch den Anschein, als ob die kulturelle Evolution dazu geführt habe, dass der Mann, wenigstens im traditionellen Sinn, zu einem überflüssigen Luxus geworden sei.

Was durchaus nicht tragisch zu sein braucht. Schon vor einem Jahrhundert hat Georg Simmel die (westliche) Moderne dadurch charakterisiert, dass sie traditionell weiblichen Werten – dazu zählte er Pazifismus, Mode und soziale Fürsorge – zum Durchbruch verhilft.

Ökonomische Ich-AGs

Aber derlei Prognosen sind, wie der gegenwärtige Krieg in Europa zeigt, trügerisch. Ganz unversehens kehrt in diesem Ernstfall der Realität, durchaus positiv konnotiert, das Bild des Kämpfers, in diesem Fall des Beschützers demokratischer Werte und Unabhängigkeit, zurück.

Nichts verdeutlicht übrigens den Wandel der Männlichkeitsbilder getreulicher, als der Unterschied zwischen den beiden Präsidenten der Kriegsparteien: das ausdruckslose Gesicht des alten, einsamen Mannes und die soziale und mediale Intelligenz des anderen, von dem man weiß, dass er sich von seiner Frau beraten lässt.

Was Männer und Frauen seit zwei Generationen voneinander lernen, ist sich in den einstigen Domänen des anderen Geschlechts zu orientieren. Dabei dürften die modernen bürgerlich-westlichen Frauen, wie Krimiserien und Unterhaltungsserien demonstrieren, diesen Herausforderungen und, damit verbunden, dem Ungemach, das der Alltag für sie mit sich bringt, besser gewachsen zu sein als ihre männlichen Pendants, weil die Frauen noch immer das Gefühl haben, sich eine Welt zu erobern.

Ganz offenkundig fällt es neuen wie den alten Männern schwer, aus dieser neuen Situation Selbstbewusstsein für sich zu reklamieren. Sie können sich in der Kunst produktiver und weiser Resignation üben. Dabei hat das Lachen eine befreiende Funktion, auch im Hinblick auf jenen starren Ernst, der die gegenwärtigen Identitäts- und Geschlechterdebatten prägt.

Strohhalme im Wind

Die Männer- und Frauenbilder des letzten halben Jahrhunderts haben eine erstaunliche Gemeinsamkeit. Sie suggerieren eine Form von Unabhängigkeit, die es als Ideal hinstellt, vom anderen vollständig unabhängig und von daher möglichst absolut autonom zu sein. Auf diesem "sacro egoismo" basiert Stevie Winwoods Song von 1967 ebenso wie gegenwärtig viele autobiografische Formate des Feminismus.

Für den Pop-Barden sind Frauen Störenfriede, die ihn daran hindern, seine männlichen Dinge zu machen. Aber auch der feministische Grundton unserer Tage ist davon geprägt, dass Frau nur dann eine wahre, perfekte und "authentische" Person sein kann, wenn sie von "ihm" total "frei" und unabhängig ist. Robinson Crusoe als verdecktes, fatales Leitbild beider Geschlechter.

Wir sind indes Strohhalme im Wind, Wesen, die des anderen bedürfen, Mann wie Frau. Ihnen verdanken wir auf paradoxe Weise unser Selbstbewusstsein und die Entbindung unserer Fähigkeiten.

Im fragilen Leben der großen britischen Schriftstellerin Virginia Woolf gibt es einen liebenden Mann, der sich bis zum bitteren Ende verlässlich im Hintergrund hält. Angesichts einer aggressiven, nicht nur ökonomischen Ich-AG scheint es geboten, diese zwischengeschlechtliche Solidarität in Erinnerung zu rufen, zumal sie den Austrag von Konflikten nicht behindert, sondern eher erleichtert. (Wolfgang Müller-Funk, ALBUM, 12.6.2022)