STANDARD: Herr Haberl, wir tragen beide das Hemd weit offen. Meine Fleischkrawatte soll Ihrer These widersprechen, wonach das offene Hemd den Druck symbolisiere, der auf Männern laste. Ich finde, es schaut einfach gut aus!

Tobias Haberl: Diese Passage im Buch war natürlich nicht ganz ernst gemeint, aber Sie haben es aufmerksam gelesen, das freut mich. Das Hemd bis oben zu – nur in der Oper!

STANDARD: Wir werden es heute eh niemandem recht machen können, also reden wir einfach über Fußball. Am Wochenende spielten die DFB-Damen ihr Pokalfinale und die Herren ihr Champions-League Finale. Was haben Sie mittelalter weißer Mann sich angeschaut?

"Klar besteht die Gefahr, dass man am Ende alle gegen sich hat, dass man für die einen zu weichgespült und für die anderen ein reaktionäres Arschloch ist": Tobias Haberl.
Foto: Olaf Unverzart

Haberl: Ich finde gut, dass Frauen Fußball spielen, aber es interessiert mich nicht besonders. Und weil sicher gleich wieder einige Frauenfeindlichkeit wittern: Das muss doch erlaubt sein, sich für etwas nicht zu interessieren, mich interessiert ja auch Volleyball der Herren nicht. Ich habe das CL-Finale mit meinem fast 80-jährigen Vater angeschaut, das Zusammensein mit ihm war mindestens so wichtig wie das Spiel.

STANDARD: Beide Mannschaften haben einen auf ihre Art sehr männlichen Trainer. Welchen Typ bevorzugen Sie?

Haberl: Ich mag Typen wie Ancelloti, astreiner Anzug gepaart mit italienischer Lässigkeit, ein Stil, der sich nicht aufdrängt. Er ist mir näher als Klopp, der als Trainer großartig ist, dessen Zähne mir aber einen Tick zu weiß sind, wenn Sie verstehen, was ich meine.

STANDARD: Wie halten Sie es mit der jungen Trainergeneration?

Haberl: Die irritiert mich, Nagelsmann oder Tedesco sind top ausgebildet und rhetorisch geschult, sicher können sie ein Dutzend Systeme rückwärts furzen, wie Mehmet Scholl mal gesagt hat. Was mich stört, ist die inszenierte Lässigkeit ihres Auftretens, mit der sie ihre Verbissenheit tarnen. Manchmal denke ich wehmütig daran zurück, wie Rudi Assauer Jens Lehmann vor dem Uefa-Cup-Finale 1997 mit Zigarre im Mund warmgeschossen hat.

STANDARD: Zu enge Jeans, ständig weiße Sneakers, Longsleeves.

Haberl: Immer agil, immer sportiv, immer ambitioniert. Diesem Zeitgeist gegenüber bin ich skeptisch.

STANDARD: Das Gegenteil betont männlicher Fußballer sind vielleicht Studentinnen an amerikanischen Universitäten. Sie beschreiben, wie am Wellesley College die Beseitigung einer Skulptur des Künstlers Tony Matelli, die einen Mann in Unterhosen zeigt, gefordert wird, weil er bei Studentinnen "unbilligen Stress" triggert.

Haberl: Da sagen jetzt natürlich sofort einige, dass ich mich als Mann nicht in die komplexe Gefühlslage von Frauen hineinversetzen kann, aber ich riskiere es jetzt mal: Ich finde das lächerlich, ein absurder Auswuchs des hypersensiblen Zeitgeists. Das Problem ist, dass sich heute alle diskriminiert fühlen wollen, weil man als Opfer die meiste Aufmerksamkeit bekommt. Eine sehr narzisstische Perspektive. Inzwischen fordern sogar manche, dass man das Maskottchen des 1. FC Köln, den Geißbock Hennes, nach 72 Jahren durch eine Ziege ersetzen soll. Ich glaube nicht, dass Frauen dadurch weniger belästigt werden oder leichter in Führungspositionen kommen.

STANDARD: Was sagt man im Bayerischen Wald, wo Sie auch leben, zu solchen "Auswüchsen"?

Haberl: Ach, die meisten kriegen sie gar nicht mit. Die Netzfeministinnen wirken vor allem in ihr Milieu hinein, akademisch, jung, urban. Viele haben gar keinen Kontakt zu Frauen auf dem Land, die sie doch eigentlich befreien wollen. Das ist schade, weil so ein Austausch für beide Seiten wertvoll sein könnte: Auf dem Land könnten eingefahrene Strukturen aufbrechen, und der Feminismus könnte weniger ideologisch, pragmatischer und lebensnäher werden. Sie sehen, ich bin zerrissen: In der Stadt ist mir die Debatte zu hysterisch, auf dem Land zu wenig angekommen.

STANDARD: Für Ihr Porträt der Feministin Margarete Stokowski haben Sie sich selbst eine aufgeregte Twitter-Debatte eingefangen.

Haberl: Na ja, Dieter Nuhr hätte den Shitstorm als laues Lüftchen empfunden, aber ich war schockiert: Hunderte Hasskommentare, primitive Beleidigungen, selbstentlarvende Niveaulosigkeiten – für einen ausgewogenen Text, halb Kritik, halb Würdigung. Einer schrieb, ich sei ein "untervögeltes Weißmännlein, das seine Wut außerhalb der Gesellschaft zu stehen, beidhändig in Hochglanzmagazine wichst". Dabei bin ich gar nicht untervögelt. Inzwischen ist mir der Hass im Netz vollkommen egal, er schwächt sich selbst, die Mechanismen sind zu durchschaubar. Ich ignoriere ihn und sage weiter meine Meinung.

STANDARD: Die "starke Frau" Veronika beschreibt Sie in Ihrem Buch als Mann, der "von allem ein bisserl was ist", oder: nicht männlich genug für ihre Ansprüche. Auch auf Tinder-Profilen findet man immer noch häufiger den Satz "Sei ein Mann!" als "Sei ein einfühlsamer Krankenpfleger!".

Haberl: Diese Veronika, der ich bei einem Abendessen begegnet bin, war ganz anders als die Frauen, die den medialen Diskus bestimmen. Als Mann neige ja auch ich mittlerweile dazu, meine virile Seite runterzudimmen, aber die wollte halt mal keinen, der im Ringelshirt im Café Schneewittchen über Kita-Gebühren plaudert. Interessante Erfahrung. Auch auf den Partnermärkten im Netz reüssieren nach wie vor Männer mit gutem Einkommen, geiler Wohnung und bitte über 1,80 Meter groß. Es geht immer noch um Statussymbole, wenn überhaupt, dann haben sich nur die Vorzeichen geändert: Aus dem Porsche ist ein Tesla geworden.

STANDARD: Thema Frauen und Macht?

Haberl: Ich bin dafür, dass das Patriarchat aufhört. Dass Frauen mehr Macht und Mitsprache bekommen. Aber ich merke, dass manche Frauen eine naive Vorstellung von Macht haben. Sie sehen nur die Vorteile, nicht aber den Preis, der dafür zu zahlen ist: Einsamkeit, Druck, kaum Freizeit, Zwänge und Pressionen. Die Politik kann die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern, die Widersprüche aber nie vollständig auflösen. Das Problem ist: Der moderne Mensch will alles auf einmal, das geht aber nicht.

STANDARD: Für das SZ-Magazin-Interview mit Mötley-Crüe-Drummer Tommy Lee überlegten Sie lange hin und her, ob Sie das Foto, auf dem er mit den Händen seinen mächtigen Penis darstellt, bringen sollten. Genau dieses Foto war doch das beste!

Haberl: Das ist ein gutes Beispiel für die Zerrissenheit, in die man als reflektierter Mann heutzutage gerät. Einerseits will man einmal kindisch, unvernünftig und machohaft sein, andererseits hat man den Schuss schon gehört. Ich sah dieses Bild, fand es lustig und gleichzeitig dachte ich: Finden Frauen es auch lustig? Ich war unsicher: Soll ich den Typen Rockstar sein lassen oder ihn vor den Feministinnen in Schutz nehmen? Die Genderdebatte hat mich sensibler werden lassen, trotzdem möchte ich mich von unerbittlichen Sprach- und Korrektheitsaposteln nicht völlig glattbügeln lassen. Und das Foto ist dann ja erschienen.

STANDARD: "Halbseidene Typen, die mit der Kippe im Mund an der Straßenecke stehen", oder Männer wie Charles Schumann – wäre es nicht schade, wenn die für immer verschwinden?

Haberl: Sehr schade. Eine Gesellschaft braucht solche Typen, auch Frauen, um ihre Lebendigkeit zu bewahren, sonst können wir ja gleich den Algorithmen die Macht überlassen. Gleichzeitig weiß ich, dass viele Rockstars, die ich mit 16 toll fand, unmoralische Arschlöcher waren. Natürlich haben die mit minderjährigen Frauen geschlafen, das Problem war, es hat niemanden interessiert. Das ist heute Gott sei Dank anders. Trotzdem leide ich am heutigen Zeitgeist, der sich nur noch um Sicherheit und Gesundheit kümmert und jede Eventualität mit einer App berechnen will. Ich liebe Lebendigkeit, Abenteuer, Nächte, von denen man nicht weiß, wie und wo sie enden. Leider wollen viele nur noch ihre Körperdaten überwachen oder an der perfekten Müslimischung arbeiten.

STANDARD: Die, wie ich finde, großartige Lisa Eckart sagte über den "alten weißen Mann", dass dieser ja meist kein Manager gewesen sei, sondern oft ein Arbeiter, und dass der gar nicht wisse, welche Privilegien er nun verlieren solle, weil er sie nie gehabt habe.

Haberl: Ja, Lisa Eckart ist eine Schwester im Geiste. Wir führen symbolische Elitedebatten, und die Menschen, die darauf angewiesen wären, dass wir uns um sie kümmern – nicht durch Gendersternchen, sondern durch bessere Bezahlung –, werden davon ausgeschlossen. Ehemalige Bergarbeiter werden von Fridays for Future als "Kohlenazis" beschimpft, das muss man sich mal vorstellen. Junge Aktivisten entwerten diese Männer, deren Lebensleistung sie nicht mal ahnen.

STANDARD: Verständlich also, dass manche wütend werden?

Tobias Haberl, "Der gekränkte Mann. Verteidigung eines Auslaufmodells". 22,70 Euro / 256 Seiten. Piper, München 2022
Cover: Piper

Haberl: Die einen werden wütend, die anderen resignieren oder rücken nach rechts. Diese Männer fühlen sich zu wenig respektiert, ja überflüssig in einer Welt, die sie immer weniger verstehen. Man muss auch ihren Veränderungsschmerz bedenken. Natürlich muss man diese Generation auf ihre Fehler und Versäumnisse aufmerksam machen, aber bitte mit Empathie. Wir wollen doch eine gerechte Gesellschaft und keine verletzten Seelen.

STANDARD: Sie sind ja eher der Honigschaumtyp, der seine Ambivalenz im Buch sehr ehrlich beschreibt. Hat Ihnen Eva Menasse, die das Buch gelesen hat, nicht gesagt, dass ein Mann auch ein paar Geheimnisse behalten muss?

Haberl: Rührend, dass Sie denken, ich hätte alles ausgeplaudert. Ich wollte ein radikal aufrichtiges Buch schreiben, weil ich alles auf einmal bin: einsichtig, aber auch sauer. Ich möchte diese ideologische und wahnsinnig eitle Debatte aufbrechen, indem ich mir das Hemd noch weiter aufreiße als eh schon und sage: Schaut her! Diese tausend Herzen schlagen in meiner Brust! Ich kann euch alle irgendwie verstehen, also lasst uns uns zusammensetzen und reden, miteinander und in echt, nicht übereinander auf Twitter. Klar besteht die Gefahr, dass man am Ende alle gegen sich hat, dass man für die einen zu weichgespült und für die anderen ein reaktionäres Arschloch ist, aber das ist mir egal. Eva Menasse fand’s super – das bedeutet mir viel. (Manfred Rebhandl, ALBUM, 12.6.2022)