Der neue Newsroom für 400 Menschen aus der ORF-Information bringt nun TV, Radio, Online zusammen.

Foto: ORF/Roman Zach-Kiesling

Wien – Diesen Donnerstag wird er offiziell besiedelt, der große neue Glaswürfel auf dem Küniglberg. Ein Newsroom für mehr als 400 Menschen, die erstmals über alle ORF-Kanäle zusammenarbeiten sollen. Radiodirektorin Ingrid Thurnher sorgte gerade mit ihrer Sicht des Newsrooms für heftige Irritationen in Hörfunkinformation und Betriebsrat.

"Freude und Begeisterung"

Ingrid Thurnher, die nach vielen Jahren im TV mit Jahresbeginn wieder zum Radio zurückkehrte, sprach von einem Umzug mit "Freude und Begeisterung" – während man (gerade noch) im Funkhaus von einer "Content-Legebatterie" auf dem Küniglberg hörte.

Der Befund einer Legebatterie stammt aus erster Anschauung von Mitarbeitern der Radioinformation, die mit dem STANDARD unter der Bedingung sprachen, dass sie nicht namentlich genannt werden. Wenige Tage vor dem Umzug wurden Radioredakteurinnen und Radioredakteure zum Probesitzen und Probearbeiten auf den Küniglberg geholt. Erste Eindrücke klingen nicht wirklich begeistert. Da ist die Rede von einem Quadratmeter Arbeitsplatz, vom Eindruck ob des Platzangebots erst vergessener, dann hineingezwickter Ressorts und Redaktionen – die Redaktion des "ZiB Magazin" etwa soll erst auf den letzten Metern noch dazugesetzt worden sein. Auch die "ZiB Zack Mini" fand Platz auf der Ressort-Ebene im ersten Stock.

"Da muss man noch nacharbeiten"

"Da muss man noch nacharbeiten", wollen manche beim Probesitzen eine Woche vor der Besiedelung gehört haben – darüber etwas erstaunt, wo der Newsroom doch seit 2014 geplant und besprochen wird. Arbeiten an Radiobeiträgen am Arbeitsplatz seien wegen der Akustik kaum möglich, sagen Info-Mitarbeiter – es könnte schon schwierig werden, wenn zwei Menschen nebeneinander telefonierten. Das tun sie künftig übrigens nur noch ohne klassisches Telefon via Skype Business. "Gutes und schnelles Arbeiten fürs Radio wird damit nicht leichter", sagt eine Redakteurin höflich.

Content-Füller und öffentlicher Auftrag

Stimmungsmacher aus dem Repertoire der Unternehmensberatung sorgten in der Radio-Information nicht nur für helle Freude, wie ein Mitarbeiter erzählt: "Ich brauche keine Pack-Party, Umzugsparty, Willkommensparty, ich brauche ein funktionierendes, motivierendes Arbeitsumfeld, um das zu machen, wofür wir und der ORF bezahlt werden: umfassende, vielfältige, rasche und geprüfte Information als zentraler Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags, für den die Menschen GIS zahlen. Wenn wir nur noch Content-Füller sind, erfüllen wir den Auftrag nicht mehr."

ORF-Radiodirektorin Thurnher sprach im Publikumsrat von der Aussicht der Radioleute auf den "sehr attraktiven neuen Arbeitsplatz" auf dem Küniglberg. Der Radio-Betriebsrat widersprach ihrem Befund von Begeisterung und Freude umgehend: "Die Kolleginnen und Kollegen des ORF-Radios sind gegenüber Neuem sehr aufgeschlossen, sehen jedoch das künftige Arbeitsumfeld im Großraumbüro äußerst kritisch, wie auch die angekündigte Arbeitsplatzverdichtung." Gemeint ist damit das Verhältnis von Mitarbeiterinnen zu Schreibtischen insbesondere im neuen Newsroom. Radio-Redakteure sprechen – höflich zusammengefasst – von Realitätsferne der Direktorin.

Thurnhers positive Wahrnehmung soll nach unbestätigten STANDARD-Informationen von zwei Probeläufen in der Abwicklung von Radiosendungen aus den neuen Studios auf dem Küniglberg kommen.

Dorn im Auge

Die vorfreudige Stimmung auf den neuen Newsroom nährt in der Radioinformation schon Interpretationen, nicht ideale Arbeitsbedingungen könnten durchaus ein Ziel verfolgen: Die Radio-"Journale" gelten lange schon als besonders regierungskritisch – sie seien heute damit vor allem der Kanzlerpartei ÖVP ein Dorn im Auge.

Personalfragen

Die Redaktionen von TV, Radio und Online ziehen vorerst in ihren alten Strukturen ein, gemeinsame Ressortleitungen werden nun doch erst nach dem Bezug ausgeschrieben. Bisher kolportierte Favoriten: Hans Bürger (Innenpolitik), Hartmut Fiedler (Ausland), Barbara Battisti (Wirtschaft) und Claudia Lahnsteiner (Chronik). Der Newsdesk wurde drei Wochen vor Besiedelung ausgeschrieben, aber, Stand Ende voriger Woche, noch nicht besetzt– eine zentrale Schaltstelle im neuen Mega-Newsroom auf dem Küniglberg. Die drei Redaktionen ziehen unter ihren bisherigen Chefredakteuren Matthias Schrom, Hannes Aigelsreiter und Christian Staudinger in den Newsroom ein, die dort die Führung künftig gleichberechtigt übernehmen sollen.

Erst Info, dann Ö1 und Ö3

Kommenden Montag, 13. Juni, ist der erste reguläre Sendetag für die ORF-Radionews aus dem neuen Newscenter. Im August soll Ö1 auf den Küniglberg folgen – in einen eigenen Bauteil, im September Ö3 als Nachbar im Newscenter-Komplex des ORF-Zentrums.

Die TV-Kultur soll nach bisherigen Infos in das Ö1-Haus einziehen, was dort für Irritationen sorgte. Radiodirektorin Thurnher dazu optimistisch: "Stellen Sie sich vor, Kulturredakteurinnen und Kulturredakteure von Ö1 sind plötzlich in räumlicher Nähe ihrer Kollegen vom Fernsehen." Sie könnten sich dann austauschen darüber, was sie gerade beschäftigt und begeistert. Thurnhers Schluss: "Das kann gar nicht anders sein, als gute Auswirkungen zu haben."

Das Team Gnesda und der ORF

Die Passagen über die Tätigkeit der Beratungsfirma Team Gnesda wurden nach Erscheinen überarbeitet und sind nun hier gebündelt:

Beim vor dem Abschluss stehenden Großprojekt der Sanierung und Neugestaltung des ORF-Zentrums unterstützt den ORF die ÖVP-nahe Unternehmensberatung Team Gnesda, die aber betont, dass sie nicht am multimedialen Newsroom arbeitet. Team Gnesda berät nach Angaben aus dem ORF dabei, "eine moderne Arbeitswelt zu gestalten".

Das Unternehmen hat den ORF bereits vor Jahren unter Generaldirektor Alexander Wrabetz bei der Gestaltung des Haupttraktes auf dem Küniglberg beraten. Nach Angaben aus dem ORF vom Sonntag ist Team Gnesda auch bei Ö1 und Ö3 tätig. Die beiden Radiosender werden in den nächsten Monaten aus dem Funkhaus beziehungsweise dem Ö3-Haus in Wien 19 auf den Küniglberg übersiedeln.

Team Gnesda sei auf Wunsch des Betriebsrates für den ORF tätig, erklärte ein ORF-Sprecher.

Die Vorgeschichte: Im Mai, einen Monat vor dem ersten Umzugsschritt der ORF-Radios auf den Küniglberg, wurde bekannt, dass Radiobetriebsrätin Gudrun Stindl ihre Funktion als Change-Beraterin für die Übersiedelung wieder abgegeben hat. "Ich sehe, dass es jetzt wichtig ist, mit ganzer Kraft Belegschaftsvertreterin zu sein und als Betriebsrätin für die Radiomitarbeiter da zu sein", erklärte sie damals.

Der ORF betonte damals zu diesem Rückzug, es begleite ein darauf spezialisiertes Beratungsunternehmen den ORF bei den Themen Umzug, Arbeitsplatzgestaltung und Change-Kommunikation. Dieses Beratungsunternehmen: Team Gnesda.

Das insbesondere auf solche Prozesse spezialisierte Beratungsunternehmen hat einige Bezugspunkte zur ÖVP. CEO und Eigentümer Andreas Gnesda ist als "begeisterter Unternehmer" auch Vorstandsmitglied der ÖVP-Parteiakademie, Mitglieder seiner Familie sind im Kabinett von Ministerin Karoline Edtstadler und waren im Kabinett des früheren Ministers Gernot Blümel tätig.

Der ORF unterliegt nach eigenen Angaben nicht dem öffentlichen Vergaberecht und hat den Auftrag nicht ausgeschrieben. Dieser Beratungsauftrag liegt nach Infos aus dem ORF unter 100.000 Euro, ab dem der ORF Aufträge üblicherweise "konkurrenziert" – also quasi ausschreibt. (fid, 12.6.2022)