Im Gastblog beschreibt der Jurist und Mediator Ulrich Wanderer, welche Mechanismen zu Mobbing am Arbeitsplatz führen können und wie Mediation dabei helfen kann.

Mobbing! Sobald dieser Begriff fällt, ist nicht nur in der Chefetage Feuer am Dach. Wird die Alarmglocke überhört, so droht im schlimmsten Fall nicht nur der Verlust eines wertvollen Mitarbeiters oder eine saftige Schadenersatzzahlung aufgrund der Verletzung der Arbeitgeberschutzpflicht, sondern – und das stellt ja für viele Unternehmen den Worst Case dar – eine negative Schlagzeile. Was aber sind aus Sicht der Mediation die Faktoren, die Mobbing begünstigen, und vor allem: Wie kann rechtzeitig gegengesteuert werden?

Eine wahrscheinlich naive Grundannahme: Wohl kaum jemand mobbt aus Jux und Tollerei. Oder, anders: Jenen, die aus Lust an der Freude anderen Kollegen das Leben zur Hölle machen, ist dieser Text nicht gewidmet, ihnen werden Kolumnen aus dem Bereich des Arbeitsrechts und der Psychologie wohl eher gerecht werden können. Dieser Blogbeitrag beschäftigt sich auf Basis realer Fälle mit Mobbing, das durch starken Druck in der Arbeit entstanden ist.

Mobbing entsteht vielfach durch Druck in der Arbeit.
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Der Mediator wird gerufen

Wird man als Mediator von einem Arbeitgeber gerufen, so wurden wohl zu 90 Prozent bereits viele andere Wege erfolglos beschritten. Mitarbeitergespräche wurden im Sinne des "Aber jetzt vertragts euch halt" geführt, Krankenstände steigen, und Kundenaufträge bleiben unbearbeitet, weil das Unternehmen gerade andere Probleme zu haben scheint. Es ist eine bekannte Tatsache, dass ein guter Ruf zwar über Jahre hinweg aufgebaut werden muss, jedoch in wenigen Augenblicken vernichtet werden kann. Einige wenige unzufriedene Kunden, ein Medienkontakt, und schon leidet das Unternehmen in seiner Gesamtheit. Vor diesem Hintergrund spricht es für die Personalverantwortlichen der Unternehmen, sich entweder möglichst zeitnah allfälliger betriebsinterner Konfliktbeilegungsmechanismen zu bedienen oder eben externe Unterstützung beizuziehen, sobald ein Konflikt in der Belegschaft zu eskalieren droht.

Der Kostenfaktor

Auch die rein finanziellen Kosten von Mobbing können ein Unternehmen über die Maßen belasten. Die Wirtschaftskammer beziffert die Kosten eines Mobbingkonflikts im ersten Jahr, basierend auf einem Jahresgehalt von 21.800 Euro, mit unglaublichen 69.000 Euro, wobei hier folgende Faktoren in die Kalkulation einfließen:

  • Die Produktivität des Gemobbten sinkt auf die Hälfte
  • Die Mobber nehmen zehn Prozent der Arbeitszeit dafür in Anspruch.
  • Beanspruchung von Vorgesetzten, Personalabteilung, Betriebsarzt und vielen mehr
  • Aushilfen bei Krankenständen
  • gesunkene Motivation im Unternehmen, gesteigerte Fehlzeiten, Produktionsfehler

Die Arbeitgeberschutzpflicht und der Schadenersatz

Darüber hinaus droht auch, wie bereits erwähnt, eine Schadenersatzforderung des gemobbten Betroffenen, basierend auf der Verletzung der Arbeitgeberschutzpflicht (siehe dazu auch OGH 26.11.2012, 9 ObA 131/11x; siehe auch Weka, Schadenersatz bei Mobbing wegen Verletzung der Fürsorgepflicht, 7.1.2013)

Grundsätzlich jedoch wäre es freilich wünschenswert, würden sich die Arbeitgeber nicht primär aus Angst vor negativen Konsequenzen um das Wohl der Mitarbeiter kümmern, sondern würde die Unternehmenskultur bereits von vornherein ein Gesprächsklima schaffen, in welchem bereits den Ansätzen von Mobbing entgegengewirkt werden kann.

Vom Zweier- zum Vierersetting

Heikel ist freilich auch die Überlegung, dass theoretisch auch der Vorwurf des Mobbings bereits zum Mobbinggeschehen beitragen kann oder gar eine Mobbingtat darstellen kann. Die Rollen des Täters beziehungsweise der Täterin und des Opfers können so nicht immer klar festgemacht werden. Nachdem die Mediation aber ohnehin nicht eine Verurteilung des Schuldigen anstrebt, sondern vielmehr eine für alle Seiten tragbare und nachhaltige Lösung der Gesamtsituation im Fokus behalten sollte, hat sich das Wording der "Mobbingbetroffenen" bewährt.

So kann gedanklich von einem Vierersetting gesprochen werden: die beiden Parteien, die auf den ersten Blick "Mobberin oder Mobber" und "Gemobbte oder Gemobbter" sind, darüber hinaus das Gesamtsystem am Arbeitsplatz und vielleicht sogar das "Mobbing" an sich. Gelingt es, den konfrontativen Blick der Konfliktparteien weg von der anderen Partei auf das Mobbinggeschehen und die entsprechenden Mechanismen zu lenken, so kann es gelingen, den Parteien einen Ausweg aus dem gesamten System zu ermöglichen. Dies allerdings immer unter der Voraussetzung, dass sich beide Parteien auch unter voller Rückendeckung der Vorgesetzten auf den Mediationsprozess einlassen.

Erster Fall: Mediation bei Schichtwechsel in der Industrie

Ein besonders spannender Fall, welcher aber aufgrund der sonstigen Identifizierbarkeit der Personen nur in den Grundzügen beschrieben werden kann, begab sich in einem mittelständischen Industriebetrieb, welcher seit Generationen im Familienbesitz war. Um die Maschinen bestmöglich nutzen zu können, liefen diese rund um die Uhr und wurden von vier Arbeitern im Schichtbetrieb betreut. Nachdem es zwischen zwei Arbeitern zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen war, kündigte der attackierte Mitarbeiter an, das Unternehmen umgehend zu verlassen, da er sonst zum massiven Schaden seines Kontrahenten emotional überreagieren würde.

Um den Abgang des betreffenden Mitarbeiters zu verhindern, wurde der Mediator seitens der Geschäftsführung engagiert. Um die einleitenden Einzelgespräche führen zu können, traf der Mediator die vier Mitarbeiter erst im Rahmen ihrer Schichtübergaben und stellte so die Vertrauensbasis mit den handelnden Personen her. Einen wesentlichen Faktor stellten in den Gesprächen auch die unterschiedlichen Ethnien der Mitarbeiter dar, zumal diese die Konflikte ihrer Heimatländer teilweise auch mit in den Betrieb gebracht hatten.

Nach mehreren Gesprächsrunden konnte die Bereitschaft der beiden unmittelbar betroffenen Konfliktparteien erreicht werden, sich mit den beiden anderen im Schichtbetrieb arbeitenden Kollegen an einen Tisch zu setzen. Dieses Treffen fand abseits des Betriebs im Büro des Mediators statt, um die Distanz zum Betrieb und den dortigen Vorkommnissen auch auf diesem Weg zu symbolisieren. Im Rahmen dieses Treffens kam es zu einer Entschuldigung des ehemals attackierenden Mitarbeiters sowie auch zu einer Runde von Anliegen und Wünschen, die die vier gemeinsam an den Geschäftsführer richten wollten. Darüber hinaus einigten sich die Kollegen, anders als bisher auch gelegentlich nach der Arbeit auf ein Bier zu gehen, so es die Schichtübergabe ermöglichen würde.

Zweiter Fall: Angst um den Arbeitsplatz

Ein anderer Fall begab sich an einer großen österreichischen Universität. Mit den Worten "Wir zahlen den Leuten zwar nicht so besonders viel, aber dafür soll's ihnen wenigstens gut gehen" trat ein Abteilungsleiter an den Mediator heran. Ein Mitarbeiter hatte seine Befürchtungen ausgedrückt, von anderen von seinem Arbeitsplatz vertrieben zu werden, was psychisch bedingte Krankenstände und daher auch Auswirkungen auf die gesamte Abteilung zur Folge hatte. Der betroffene Mitarbeiter sowie die anderen beiden Mitarbeiter, die nach Meinung des Abteilungsleiters wie auch nach Aussage des erstbetroffenen Mitarbeiters in den Fall verwoben waren, stimmten der Mediation zu, und so kam es zu einer Reihe von Einzelgesprächen.

Nachdem der Abteilungsleiter dem Mediator glaubhaft versichert hatte, dass alle Betroffenen unverzichtbare Fixbestandteile des internen Systems waren, konnte die Befürchtung, ein Jobverlust könnte bevorstehen, ausgeräumt werden. Interessanterweise teilten auch die anderen Medianden diese Befürchtung, was die erst etwas gespannte Stimmung zu Beginn der Erstgespräche erklärte. Alle Beteiligten zeigten sich erleichtert und äußerten sich dahingehend, dass sie nun lieber ihre Aufmerksamkeit und Energie in die Lösung der beruflichen Aufgabenstellungen stecken wollten, anstatt diese im Kampf gegeneinander verpuffen zu lassen. Als besonders hilfreich erwies sich die Tatsache, dass der Abteilungsleiter dem Mediator und den Mitarbeitern recht freie Hand bis hin zur Neuordnung der Schreibtischanordnung ließ. So konnten auch bisher eingefahrene Blickwinkel geändert und neue Themen in den Fokus der Mitarbeiter gestellt werden.

Druck und Stress führen zum Teufelskreis

Die aktuellen Schlagzeilen über die wirtschaftlichen Aussichten, Inflation und Arbeitslosigkeit lassen den Druck auf jeden Einzelnen steigen. Dies bewirkt oftmals einen erhöhten Stress am Arbeitsplatz, was wiederum einen guten Nährboden für den Beginn von Mobbinghandlungen entstehen lassen kann. Informationen werden nicht sofort weitergegeben, um sich einen Vorteil im Vergleich zu Kollegen zu verschaffen, Kaffee- und Rauchpausen werden nur noch im kleineren Kreis abgehalten, und schon kann der Verdacht entstehen, dass über Kollegen nicht nur wohlwollend gesprochen wird.

In einer Vielzahl der Fälle steckt keine böse Absicht und schon gar nicht das Ziel der Schädigung der Kollegin beziehungsweise des Kollegen dahinter, doch kann sich eine fatale Eigendynamik entwickeln, der besser früher als später Einhalt geboten werden sollte. Ein offenes Gespräch, in welchem nicht der Job, sondern die Befindlichkeiten, Emotionen und Bedürfnisse der Mitarbeiter im Mittelpunkt stehen, kann bewirken, dass den Personen Stress, gesundheitliche Folgen und beruflicher Schaden sowie dem Betrieb durchaus immense Kosten erspart bleiben. (Ulrich Wanderer, 14.6.2022)