Das untersuchte Medikament macht Darmkrebszellen sichtbarer, sodass das Immunsystem sie besser abtöten kann.

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Eigentlich hätten die Patientinnen und Patienten zuerst sechs Monate ein Medikament bekommen sollen, um später eine Strahlen- und Chemotherapie zu machen und am Ende den Krebs zu operieren. Aber so weit kam es gar nicht. Nach der sechsmonatigen Immuntherapie machten die Forscher und Forscherinnen am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York eine ungewöhnliche Beobachtung: Bei allen zwölf Patientinnen und Patienten waren die Tumore bereits nach der medikamentösen Behandlung verschwunden.

"Sehr überraschend", findet auch Matthias Preusser, Leiter der klinischen Abteilung für Onkologie der Med-Uni Wien. Es sei zwar in Fachkreisen schon bekannt, "dass PD1-Inhibitoren gut wirken, aber so gut wie in dieser Studie hat man das noch nie gesehen", sagt Preusser und meint damit das untersuchte Medikament.

Medikament macht Tumorzellen angreifbar

Das Mittel basierend auf dem Wirkstoff Dostarlimab wird alle drei Wochen per Infusion verabreicht und ist grundsätzlich nichts Neues für Expertinnen und Experten in der Krebsbehandlung: "Das ist ein sogenannter Immuncheckpoint-Inhibitor", sagt Preusser. Inhibitoren sind Hemmstoffe, die in der Medizin eingesetzt werden, um Prozesse zu verlangsamen oder zu verhindern – in dem Fall soll der Schutzmechanismus von Tumoren unterdrückt werden. Man kann sich das so vorstellen: "Tumorzellen spannen quasi einen Regenschirm auf, um gegenüber dem Immunsystem unsichtbar zu werden", erklärt der Onkologe. Das untersuchte Medikament blockiert diesen Regenschirm, spannt ihn ab: "Dadurch werden die Tumorzellen sichtbar, und das Immunsystem kann die Krebszellen angreifen und töten."

Viele Medikamente, die in der Onkologie seit Jahren in der täglichen Routine verwendet werden, haben einen ähnlichen Wirkungsmechanismus. Der Vorgang scheint im Rahmen der Studie bei Darmkrebszellen überraschend gut funktioniert zu haben. Es handelte sich dabei um Rektumkarzinom, auch Mastdarm- oder Enddarmkrebs genannt. Der Krebs entwickelt sich dabei im letzten Abschnitt des Dickdarms.

Jährlich erkranken in Österreich etwa 42.000 Menschen an Krebs, im Darm treten Tumore verhältnismäßig häufig auf. Darmkrebs ist sowohl bei Männern als auch Frauen jeweils die dritthäufigste Krebsart. Preusser rät zu einer Vorsorgeuntersuchung alle zehn Jahre ab dem 50. Lebensjahr. Ist das untersuchte Medikament also ein neuer Hoffnungsträger in der Behandlung? "Die Ergebnisse sind jedenfalls extrem positiv und stimmen optimistisch", sagt Preusser.

Studienteam warnt vor zu viel Euphorie

Trotz der überraschend positiven Ergebnisse warnt das Studienteam vor voreiligen Schlüssen. Die untersuchten Patientinnen und Patienten sind zwar seit der Immuntherapie alle krebsfrei, es sei aber noch zu früh, um von einer vollständigen Heilung auszugehen: "Dafür ist die Nachbeobachtungszeit zu kurz. Es ist nicht auszuschließen, dass sich irgendwo im Körper noch Tumorzellen verstecken und die Tumore irgendwann wiederkommen", sagt Preusser. Dazu kommt, dass die Studie nach wie vor läuft. Weil die Daten allerdings so überraschend sind, hat man die Zwischenergebnisse schon frühzeitig publiziert.

Zudem hatten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie eine Krebsart, die nur etwa fünf bis zehn Prozent aller Darmkrebsfälle ausmacht. Es ist noch unklar, ob die Therapie auch bei anderen Darmkrebsarten als solchen mit sogenannter Mismatch-Repair-Defizienz wirkt.

Davon spricht man, wenn eine bestimmte genetische Konstellation vorliegt. "Zellen tragen dann sehr viele genetische Mutationen in den Tumoren", erklärt Preusser. Das führe dazu, dass sie auf Immuntherapie besser ansprechen, weil sich die Tumorzellen durch die vielen Mutationen stärker von normalen Zellen des Körpers unterscheiden: "Daher werden sie vom Immunsystem besser als 'fremd' und 'böse' erkannt."

Kaum Nebenwirkungen

Üblicherweise sind bei Darmkrebs eine Behandlungskombination aus Strahlen- und Chemotherapie sowie Operationen Standard. "Das ist wirksam, aber auch eine große Belastung für den Patienten oder die Patientin", sagt Preusser. Manche haben mit zahlreichen Nebenwirkungen zu kämpfen: "Es kann etwa zu Inkontinenz, Störung von sexuellen Funktionen oder künstlichen Darmausgängen führen."

Das untersuchte Mittel mit dem Wirkstoff Dostarlimab war vergleichsweise gut verträglich. Preusser verwundert das nicht, man kenne diese Art von Medikamenten in der Onkologie gut: "Immuntherapien können natürlich auch Nebenwirkungen haben – etwa dass nicht nur der Tumor, sondern auch andere Organe im Körper angegriffen werden. Schwere Nebenwirkungen sind aber sehr selten."

Klinische Studien folgen

Das in der US-amerikanischen Studie untersuchte Mittel ist auch schon für die Behandlung einer anderen Krebsart zugelassen: dem Gebärmutterkarzinom – ebenso in Fällen, in denen die genetische Konstellation Mismatch-Repair-Defizienz vorliegt. "Jetzt ist die Hoffnung groß, dass es auch bei anderen Krebsarten mit Mismatch-Repair-Defizienz wirksam ist", sagt Preusser. Aktuell werde das Medikament auch in klinischen Studien als Mittel gegen Prostatakrebs, Magen- und Pankreaskarzinom untersucht, berichtet der Experte. (Jasmin Altrock, Magdalena Pötsch, 12.6.2022)