Am Landestheater in Bregenz tauchen Vivienne Causemann und Nico Raschner in den Sprachstrom Werner Schwabs ein.

Foto: Anja Köhler

Das Theater ist tot. Ein Leichentuch bedeckt den Zuschauerraum vom Rang hinunter bis über die erste Reihe. Stangen stecken unter dem Tuch, lassen es aufragen wie eine verwehte Schneelandschaft. Auf der Theaterbühne: ein Beisl – gut ein Dutzend dunkle Holztische, Stühle, Lampen hängen aus dem Schnürboden über den Tischen und werfen ein gemütlich warmes Licht. An der Brandmauer eine Bar, es gibt Bier und Wein und Saft. Das Publikum sitzt also auf der Bühne und trinkt Bier. Sogar einen Biergarten gibt’s auf der Lkw-Rampe. Nein, das Theater ist nicht tot.

Rauschhaftes Kunstwerk

Das Vorarlberger Landestheater Bregenz zeigt Werner Schwabs Abfall Bergland Cäsar, den einzigen größeren Prosatext des Grazer Autors, der zu seinen Lebzeiten erschienen war. Installationskünstlerin Stephanie Geiger und Klangberserker FM Einheit machen daraus ein durchkomponiertes und rauschhaftes Kunstwerk.

Die beiden haben in den 1990ern eng mit Schwab zusammengearbeitet. Sie hatten Abfall Bergland Cäsar mit Jennifer Minetti in Frankfurt auf die Bühne gebracht. Minetti wiederum hatte seinerzeit mit Schwab gearbeitet.

In der Jauche ersaufen

In Bregenz erscheinen Werner Schwab und Jennifer Minetti, beide inzwischen verstorben, in Video- und Toneinspielungen auf dem gebirgigen Leichentuch.

In seiner "Menschensammlung", wie das Werk im Untertitel heißt, dekonstruierte Schwab die Gesellschaft in einer Charaktertypologie von A bis Z – und vernichtet zugleich diese gesellschaftlich produzierten Menschentypen. Alle müssen sie dran glauben, werden aufgerissen, ersaufen in der Jauchegrube, zerstören sich selber. "Töten, töten, vergiften, erschießen", sagt Schwab in einer Toneinspielung. Und es klingt wie ein letzter Ausweg.

Die beiden Bregenzer Schauspieler Vivienne Causemann und Nico Raschner tauchen im Beisl wie in den Videoprojektionen in den Schwab’schen Sprachstrom ein. Sie wenden sich direkt ans Publikum, tanzen zwischen den Tischen – ihre Worte sind Klangrausch zu den Projektionen. Sie erzählen ganz pur, dann spielen sie groß auf, beleben Schwabs düstere Geschichte. Sätze bohren sich ins Herz.

Schwabs Abgrundfeuerwerk

Regisseurin Geiger hat neun Charaktertypologien aus Schwabs Text ausgesucht. Mit FM Einheit lässt sie einen treibenden Soundteppich erklingen und Videos auf dem Leichentuch aufleuchten: Wortstrom und Bilderstrom. Das Publikum sitzt im Beisl, geschützt von dessen Gemütlichkeit, und kann sich dieser theatralen Wucht doch nicht entziehen. Wirtshausheimeligkeit prallt auf Schwabs Abgrundfeuerwerk. Überall bricht das Innerste auf, Haut, Fleisch, Gedärme – Schwab legt die Abgründe offen.

Diese Abgründe manifestieren sich in Bild und Ton. Feuerstürme, Heuschreckenschwärme, Schlangenköpfe. Fließende Farben, zuckende Schatten, treibender Beat. Das Publikum weiß kaum, wo hinschauen, wo hinhören. Ein einziger Rausch – wie Schwabs Leben. Wie gut, dass man als Teil des Publikums im Beisl sitzt. Dem Autor hätte das gewiss gefallen.

(Julia Nehmiz, 11.6.2022)