Er ist Österreichs Charity-Zampano. 26 Jahre lang veranstaltete Gery Keszler mit dem Life Ball die weltweit größte Aids-Spendengala. Mit der heimischen Lesben- und Schwulenbewegung focht er immer wieder Kämpfe aus. Heute ist die Bewegung um viele Untergruppen gewachsen und setzt sich gegen die Diskriminierung von Personen unterschiedlichster sexueller Orientierungen ein.

Gery Keszler organisierte 26 Jahre lang den Life-Ball.
Foto: Raphael Lugassy

Wie sieht Keszler die LGBTQI+-Bewegung? Und was denkt er über die Regenbogenparade, die heute, Samstag, wieder um den Wiener Ring ziehen wird? Wir trafen Keszler, der im September zum zweiten Mal die Spendengala Austria for Life ausrichten wird, im Parkhotel Schönbrunn zum StandART-Gespräch.

STANDARD: 1996 fand die erste Regenbogenparade statt, organisiert vom Lesben- und Schwulenforum. Heute vereint die Parade viele unterschiedliche Interessen, ist bunter und queerer geworden. Gut so?

Gery Keszler: Es wäre eigenartig, wenn sich in einem Vierteljahrhundert nichts ändern würde. Alles, was populär wird, wird auch kommerzieller. 1996 wussten wir nicht einmal, dass die Parade auf den Christopher Street Day zurückgeht. Ein Jahr nach dem Aufstand von 1969 fand sie in New York das erste Mal statt. In Österreich orientierte man sich später an der Love Parade, man entschied aber, "andersrum" über den Ring zu ziehen. Ein Aktionismus, wie ich ihn liebe.

STANDARD: Wie war die erste Parade?

Keszler: Erstaunlicherweise war sie gar nicht so klein. Es gab sicher weniger Publikum, heute geht man ja Parade schauen, man will das kunterbunte Spektakel sehen. Man musste um einiges mutiger sein, auf die Straße zu gehen. Man hat die verhaltenen Reaktionen der Passanten gesehen, obwohl man damals weniger provoziert hat als später. Der Life Ball hatte damals den größten Truck, da war eine über 20 Meter lange Cruise-Missile in Lila und Rosa drauf. Wir haben sehr militant ausgesehen, haben uns aber nicht so gefühlt.

STANDARD: Ist Ihnen die Kommerzialisierung des Events ein Dorn im Auge?

Keszler: Durchaus nicht, auch der Life Ball musste sich diesen Regeln unterwerfen. Alles, was erfolgreich ist, muss das nächste Mal noch erfolgreicher sein. In diese Spirale wird jeder Organisator reingezogen, und nachdem man ja Geld braucht, öffnet man die Tore für kommerzielle Interessen. Problematischer finde ich die Politisierung, also dass man Unterschiede macht, wer mitfahren darf und wer nicht.

DER STANDARD

STANDARD: Wer darf nicht mitfahren?

Keszler: Zum Beispiel die Junge ÖVP. Ich finde, ein Event, der gegen Ausgrenzung stattfindet, sollte nicht selbst ausgrenzen. Auch bei den ersten Life-Bällen war es so, dass ein sehr angespanntes Verhältnis zwischen der Gay-Szene und der ÖVP bzw. der Kirche bestand. Die linken Parteien haben sich wohlwollend gezeigt. Es war eine Schlacht gegen die Rechten und Reaktionären vor dem Hintergrund von Aids und HIV. Ich war trotzdem immer offen für einen Brückenschlag.

STANDARD: In der LGBTQI+-Szene versucht man, viele Interessen unter einen Hut zu bringen. Dabei hat es auch in der Schwulen- und Lesbenszene immer Ausgrenzungen gegeben, etwa gegen Transgender-Personen. Sind diese Geschichte?

Keszler: Es gibt den bekannten Spruch: Minderheiten neigen am leichtesten dazu, auszugrenzen. Das ist leider wahr. Schauen Sie sich allein die Parade an: Jeder mag die halbnackten Muscleboys und die Dragqueens. Aber dann gibt es Gruppen, die weniger glamourös sind, aber vielleicht viel mehr Berechtigung haben, mitzugehen, weil die Selbstverständlichkeit, dass sie dabei sind, wichtig ist.

STANDARD: Die Gleichstellung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Braucht es einen Pride Month oder eine Parade überhaupt noch?

Keszler: Um diese zu erhalten, braucht es diese Events. Man muss wach bleiben. Das ist auch in einer Demokratie sehr wichtig. Zu hinterfragen sind aber die Stilmittel. Provozieren ist gut, wenn die Provokation begriffen wird. Wenn die Message aber nicht mehr ankommt, dann hat man sein Ziel nicht erreicht, sondern nur andere vor den Kopf gestoßen. Um drei Uhr am Nachmittag gehen Familien spazieren, denen muss man nicht alles zeigen. Auch was alles konsumiert wird, ist mir zu heftig.

STANDARD: Auch der Life Ball war diesbezüglich keine Kinderveranstaltung. Seit 2019 ist dieser Geschichte. Wie viel Bitternis verspüren Sie über sein nicht gerade rühmliches Ende?

Keszler: Der Ball ist in einem gänzlich anderen Umfeld entstanden. Aids und HIV waren allgegenwärtig in unseren Leben, Freunde und Bekannte sind gestorben, drei Monate nach dem ersten Ball übrigens auch mein Mitbegründer. Mit dem Erfolg der medizinischen Forschung hat sich vieles verändert, auch wenn die Schlacht noch nicht zu Ende ist. Der CEO von Amfar (Aids-Stiftung, Anm.) hat erst unlängst zu mir gesagt, dass wir Opfer unseres Erfolgs geworden sind. Man glaubt, HIV als chronische Krankheit abtun zu können. Das mag für uns gelten, nicht aber für ärmere Regionen auf dieser Welt. HIV und Aids bräuchten noch einmal richtig viel Aufmerksamkeit, damit die Zielsetzung, die Krankheit bis 2030 zu besiegen, realistisch ist.

STANDARD: Geht Ihnen der Ball ab?

Keszler: Er geht mir jeden Tag ab. Aber wir erleben gerade eine Zeitenwende. Gerade junge Menschen spüren, dass in Sachen Klimaschutz zu wenig gemacht wird. Nach der Pandemie sind wir jetzt mit einem Krieg konfrontiert. Rambazamba-Veranstaltungen wie der Life Ball müssen sich nach Covid einer neuen Sprache bedienen, sie brauchen andere Ausdrucksformen. Wir haben jedes Jahr mit einem Flugzeug der AUA die Stars von Los Angeles oder New York nach Wien geflogen. So etwas würde ich heute nicht mehr machen.

STANDARD: Sie haben mit Austria for Life ein neues Charityprojekt aufgezogen, am 10. September wird es zum zweiten Mal stattfinden. Welche "neue Sprache" haben Sie dafür gefunden?

Keszler: Ich will weiterhin ein Zeichen fürs Leben setzen. Mich belastet die Stimmung in der Bevölkerung. Im letzten Jahr haben wir mit unserem Konzept ins Schwarze getroffen, wir haben die sechs großen Hilfsorganisationen mit ihrer Marke "Österreich hilft Österreich" unterstützt. Viele Jugendliche brauchen Hilfe, Familien sind durch Corona oder die Teuerung in Not geraten.

STANDARD: Auch Austria for Life ist ein typisches Keszler-Event, eine pompöse Zeitreise in die Vergangenheit.

Keszler: Es ist sogar noch typischer. Dieser Keszler war eine Kunstfigur, die ich nicht selbst kreiert habe, sondern zu der ich gemacht wurde. In Wahrheit liebe ich Natur, Tiere, Geschichte, die Oper. All das konnte ich beim Life Ball nur limitiert ausdrücken. Jetzt schauen wir in die Vergangenheit, sehen, wie unsere Vorfahren mit Krisen umgegangen sind und was wir daraus für die Gegenwart lernen können.

STANDARD: Das Barocke und Theatralische war doch immer schon Ihres!

Keszler: Das stimmt. Mein Motto ist: Schlichtheit ist Feigheit. (Stephan Hilpold, 11.6.2022)