Im Büro in der Industriellenvereinigung (IV) am Schwarzenbergplatz hängen auch Bilder von Georg Knills Schwager. Bei seiner Kritik an Leonore Gewesslers Energiemasterplan bleibt der IV-Chef.

STANDARD: Wie groß ist der Standortnachteil für Österreichs Industrie durch die gestiegenen Energiepreise?

Knill: Wir haben heute gegenüber dem deutschen Nachbarn etwa bei Strom einen Preisnachteil von gut 40 Euro je Megawattstunde. Das ist auf die Preiszonentrennung zurückzuführen, die mangels ausreichender Netzkapazitäten zwischen Österreich und Deutschland notwendig geworden ist.

STANDARD: Dafür hat Österreichs Industrie seit Beginn der Liberalisierung Anfang der 1990er-Jahre stark von den günstigen deutschen Tarifen profitiert, Folge des massiven Ausbaus erneuerbarer Energien ebendort.

Knill: Das ist Vergangenheit. Aktuell und was die Zukunft betrifft, haben wir einen mehr als deutlichen Standortnachteil innerhalb Europas. Wir haben auch höhere Energiekosten als unsere amerikanischen und vor allem asiatischen Mitbewerber.

STANDARD: Was soll Europa machen, um nicht noch mehr ins Hintertreffen zu geraten?

Knill: Das Feld der Dekarbonisierung wird derzeit mehr oder weniger nur von Europa bespielt. Europa emittiert zehn Prozent, es wird nicht ausreichen, wenn Europa allein in Vorleistung geht, um das Klimaziel zu erreichen. Wir müssen auch die großen Emittenten an Bord holen.

Ins Verweigerer-Eck in Sachen grünes Umsteuern will Knill die Industrie nicht gestellt wissen: "Wir brennen für die Transformation."
Regine Hendrich

STANDARD: In Österreich wird zumindest die CO2-Bepreisung, die manchen Ökonomen zu niedrig schien, verschoben. Gutes Lobbying Ihrerseits?

Knill: Es war für uns nicht primäres Ziel, die ökosoziale Steuerreform zu verschieben. Fakt ist, dass das Gesetz noch nicht fertig ist. Ein Gesetz, das am 1. Juli in Kraft treten soll und das 24 Richtlinien hat, die noch offen sind, ist schwierig umzusetzen. Der CO2-Preis ist mit knapp 85 Euro die Tonne ohnedies deutlich höher als antizipiert. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die hohe Inflation und den Teuerungsausgleich ist nachvollziehbar, dass man eine weitere Preissteigerungsmaßnahme verschiebt, die im gleichen Atemzug wieder kompensiert werden sollte. Drei Monate ist praktikabel. Die Erwartung ist, dass die Inflation dann den Höhepunkt überschritten hat.

STANDARD: Stichwort Höhepunkt: Ist Russland als Markt für die nächsten Jahrzehnte verloren?

Knill: Wir haben die nationalen und europäischen Sanktionen gegen Russland und Belarus klar unterstützt. Das hat Exporteinbußen im Wert von 1,6 Milliarden Euro zur Folge, davon 400 Millionen Ukraine-Anteil. Wir müssen davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren mit keinen weiteren Geschäftsaktivitäten in der Föderation zu rechnen ist.

STANDARD: War es ein Fehler, energiepolitisch so stark auf die russische Karte zu setzen?

Knill: Fakt ist, dass wir in Österreich beinahe 60 Jahre lang verlässlich und kostengünstig Energie bekommen haben. Der Aufbau Österreichs und der Wohlstand sind eng damit verknüpft. Es ist natürlich nicht sinnvoll, nur auf einen Lieferanten zu setzen. Wir haben in normalen Zeiten unsere Lieferketten optimiert. Mehr Lieferanten ist gleich mehr Kosten. Kurzfristig Alternativen aufzubauen ist mühsam. Das ist bei Energie nicht anders.

STANDARD: Hätten Ihre Mitgliedsbetriebe höhere Preise für Gas und wohl auch für Strom zugunsten breiterer Diversifizierung akzeptiert?

Knill: Ich sage Nein. Bei Wahlfreiheit werde ich immer das günstigere gleichwertige Produkt nehmen.

STANDARD: Abhängig ist Europa nicht nur bei Öl und Gas.

Knill: Wir haben eine massive Abhängigkeit bei Rohstoffen und Materialien, die wir für die Energiewende benötigen. 80 Prozent aller Solarmodule und Wechselrichter kommen heute aus China. Wenn die aus welchen Gründen immer sagen, wir liefern nicht mehr, können wir uns die Transformation in Europa aufzeichnen. Europa muss strategische Partnerschaften mit Ländern eingehen, die reichlich Zink, Kobalt, Nickel oder seltene Erden haben.

Kritik übt er neuerlich am Masterplan Energie. Es fehlen Antworten, woher die benötigte Energie kommen soll, um den Bedarf zu decken.
Regine Hendrich

STANDARD: Auf EU-Ebene will man Chipbatterieproduktion nach Europa bringen. Wo liegen da die Chancen?

Knill: Wir haben heute mehr als 3.500 Unternehmen, die hauptsächlich mit Green-Tech-Produkten international erfolgreich sind. Wir werden sehr gerne in ein Verweigerer-Eck dieser Transformation gestellt. Wir brennen für diese Transformation, ich sehe sie als unheimliche Chance für die österreichische Wirtschaft und Industrie.

STANDARD: Hat die Green-Tech-Industrie mittlerweile entsprechendes Gewicht in der IV? Traditionelle Mitglieder wie die Voest und andere waren ja lange Zeit sehr skeptisch.

Knill: Gerade die Voest und andere sind Vorreiter in der Dekarbonisierung. Nicht umsonst sind wir die Besten in der Produktion, wenn es um C02-Ausstoß bei Stahl, Zement oder Papier geht.

STANDARD: Kann es sich nicht genau deswegen diese Industrie leisten, in die grüne Transformation zu investieren?

Knill: Das haben alle vor. Deswegen machen wir uns derart stark für eine vernünftige Transformation.

STANDARD: Sie verstehen offenbar etwas anderes darunter als Klimaschutzministerin Gewessler?

Knill: Wir haben das Ziel nie außer Frage gestellt. Es geht nur mit uns, weil wir im Sinne von Technologie und Impact einen wesentlichen Beitrag leisten, um dieses Ziel zu erreichen. Aber wir brauchen jetzt die Rahmenbedingungen und die alternativen Energiequellen, um diese Transformation darzustellen.

STANDARD: Steuern wir nicht auf die nächste Abhängigkeit zu bei gar nicht so neuen Energieträgern wie Wasserstoff? Europa allein wird es nicht schaffen, diese Mengen an Wasserstoff zu erzeugen. Wir werden große Mengen aus Nordafrika oder anderen Gebieten importieren müssen.

Knill: Das ist auch unsere Kritik an der Energieministerin für den Masterplan Energie. Wir haben einen Energiebedarf von 400 Terawattstunden (TWh) im Jahr, zwei Drittel davon aus fossilen Energieträgern. In Österreich haben wir das theoretische Potenzial, erneuerbare Energie von 120 TWh zu erzeugen. Woher bekommen wir die restlichen 270 bis 300 TWh? Diese Antwort gibt es nicht. Das macht uns höchst unzufrieden und nervös.

In Sachen Fachkräftemangel müsse noch viel nachgedacht werden, sagt der IV-Chef. Eine Debatte über das Pensionsantrittsalter würde er sich wünschen.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Was sind Ihre Ideen?

Knill: Der grüne Wirtschaftsminister Habeck zum Beispiel treibt jetzt in Deutschland gezielt Einzelmaßnahmen voran. Österreich verlässt sich zu sehr auf die Europäische Union. Wo sind unsere strategischen Energiepartnerschaften außerhalb des Kontinents? Was ist mit den Offshore-Windkapazitäten an der Nordsee, Ostsee? Warum beteiligen wir uns nicht an Konsortien, die diese Energie erzeugen?

STANDARD: Sie beklagen mangelnde Planbarkeit, auch was den Gasnotfall betrifft. Wissen Sie schon, was passiert, sollte es zu einem Lieferstopp aus Russland kommen?

Knill: Die E-Control hat einen Fragebogen an die 54 Großabnehmer ausgesandt, um die Möglichkeiten der Reduktion bis zum Runterfahren zu eruieren. Aufgrund unserer – wie ich glaube berechtigten – Kritik an der Energieministerin gab es als Konsequenz sogenannte Infopoints mit Experten des Ministeriums und der E-Control. Welche Unternehmen, welche Branchen in welcher Form im Energielenkungsfall betroffen sind, ist uns nicht bekannt.

STANDARD: Hat die Industrie eine Vorstellung, wie eine Energielenkung infolge einer Unterbrechung der Gaslieferung optimal laufen sollte?

Knill: Sollte es jetzt zu dieser Jahreszeit zu einem Abschalten des Gases kommen, könnte man eine Gasversorgung von vielleicht fünf Monaten unter den jetzigen Abnehmern garantieren. Um Alternativen zu russischem Gas aufzubauen, hat die Bundesregierung einen Plan vorgelegt, wie wir bis 2027 aus dieser Abhängigkeit rauskommen. Dann haben wir von Dezember 2022 bis bestenfalls 2027 die Frage: Woher bekommen wir die Energie? Die ist völlig ungelöst. Private Haushalte brauchen sich am wenigsten sorgen, sorgen sollten sich alle Leute um ihren Job. Die Frage ist, was passiert im Ernstfall, bis wir Alternativen haben?

Georg Knill ist auch Jäger. Was er erlegt, landet bei ihm im Kochtopf. Bis vor kurzem auch im eigenen Gasthaus in Pischelsdorf in der Steiermark.
Regine Hendrich

STANDARD: Was wäre das Worstcase-Szenario?

Knill: Ein Gasstopp würde direkt 340.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Österreich betreffen und minus zehn Prozent beim BIP bedeuten. Nicht berücksichtigt sind die Folgewirkungen entlang der Wertschöpfungsketten – kein Stahl, kein Papier, keine Lebensmittel. Wir hätten ein massives soziales Thema, die Auswirkungen wären fatal.

STANDARD: Energie ist im Moment das gravierendste Problem. Mittelfristig gehen die Mitarbeiter aus. Lindert die Arbeitsmarktreform das Problem?

Knill: In Summe ist es eine gute und wichtige Maßnahme, die Minister Martin Kocher vorbereitet. Man muss die Erwartungshaltung, was so ein Paket auslösen kann, insofern einschränken, als man daraus wahrscheinlich 20.000 bis 30.000 Menschen in den Arbeitsmarkt bringen kann. Aber jeder einzelne ist wichtig. Dazu kommen Vereinbarkeitsthemen, die Ausbildung der jungen Damen Richtung Mint, die Rot-Weiß-Rot-Karte, Anreizsysteme, länger zu arbeiten, all das ist wichtig, um das Arbeitsmarktpotenzial zu erhöhen. Gleichzeitig müssen wir noch ganz intensiv arbeiten, wie wir Wachstum ohne Mitarbeiteraufbau generieren können, Stichwort Digitalisierung.

STANDARD: Es heißt immer, dass Ältere länger am Arbeitsmarkt bleiben sollen. Dabei haben über 50-Jähriger ja kaum eine Chance, wenn sie sich bewerben. Hapert es da am Willen der Arbeitgeber?

Knill: Ich sehe zwei Stellschrauben. Das eine ist das Senioritätsprinzip, das mit den Biennalsprüngen automatisch eine Arbeitskraft mit zunehmendem Alter teurer macht. Auf der anderen Seite muss es auch ein Umdenken in den Unternehmen geben. Ich muss heute in Lehrlingsausbildung investieren, um meine Fachkräfte von morgen zu haben und gleichzeitig Möglichkeiten und attraktive Angebote für ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schaffen. Da muss auch das Pensionsthema reinspielen. Ich darf ja nicht bestraft werden in meiner Pension, wenn ich länger arbeite. In Skandinavien wird mit Bonus-Malus-Systemen zusätzlich insentiviert. In Deutschland diskutiert man gerade wieder über eine Anhebung des Pensionsalters. Aber das Pensionsthema – das weiß ich – wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr politisch diskutiert.

Knill hat das Abenteuer Gastronomie wieder beendet: Der Koch ist ihm abhandengekommen.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Was zumindest angesichts der Krisenkosten wieder leise diskutiert wird, ist eine moderate Erbschaftssteuer – wie sie die CDU in Deutschland umgesetzt hat.

Knill: In Zeiten wie diesen, wo die Staatseinnahmen durch hohe Steuereinnahmen aus Lohnsteuer, Mehrwertsteuer, KöSt, KESt sprudeln wie selten, braucht der Staat nicht über mangelnde Einnahmen klagen. Mit 200 Millionen werden wir den Staatshaushalt auch nicht sanieren.

STANDARD: Es braucht da wohl noch Findigkeit. Hier hängen Bilder Ihres Schwagers. Sind Sie auch kreativ?

Knill: Wenn Sie kochen als kreativ ansehen ... (lacht)

STANDARD: Kochen nach Zahlen?

Knill: Nein, kein Kochbuch, nix. Ich schaue, was gibt es im Kühlschrank, und dann mache ich ein Menü draus für die Family. (Regina Bruckner, Günther Strobl, 11.6.2022)