Eigentlich suchen wir ja – einen jungen Mann, bestens ausgebildet, loyal und vollzeitwillig. Wir erwarten uns zahlreiche Bewerbungen. So läuft das nicht mehr im Jobmarkt. Sondern umgekehrt. Wohin sich der Arbeitsmarkt gerade entwickelt, war Thema einer Fachdiskussion beim Weiterbildungsanbieter ARS in Wien, organisiert von der Personalvereinigung HR Circle und dem STANDARD.

Unternehmen bewerben sich bei Kandidatinnen sowie Kandidaten. Mittels neuer Angebote – Homeoffice, Zusatzleistungen, zusätzlichen Urlaubstagen, Viertagewochen. "Ich habe mir hunderte Kandidaten für meine Lehrstellen angesehen – leider war niemand brauchbar. Das geht auch nicht mehr", sagt Johannes Kopf, Vorstand des Arbeitsmarktservice AMS. Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass das Angebot so ist, und eben damit arbeiten, nachschulen, entwickeln. Das hätten noch nicht alle Unternehmen verstanden.

"Wohin entwickelt sich der Arbeitsmarkt?": der Chef des Arbeitsmarktservice AMS Johannes Kopf (rechts) neben Alfred Mahringer, Personalchef A1 Telekom Austria, und Sandra Ziffrein, Personalchefin im STANDARD. Karin Bauer hat die Fragen gestellt.
Foto: Heribert Corn

Üblicherweise, so Kopf, toure das AMS durchs Land und ersuche Organisationen um Stellen. In den vergangenen Wochen sei es allerdings um Beratungen in Sachen attraktive Arbeiter gegangen. (Das AMS zahlt dabei bis zu zehn Beratertagen.) Ein an Personalnot leidender Tourismusbetrieb sei solcherart etwa draufgekommen, die Kinderbetreuung für Gäste auch für Mitarbeitende zu öffnen, und konnte so Eltern in der Umgebung als Arbeitskräfte gewinnen.

Bei aller Faktenlage, nämlich einem Rekord an offenen Stellen (140.000 waren es zuletzt) bei gleichzeitigem Besetzungsrekord durch das AMS (45.000 im Vormonat) und derzeit weiter steigender Nachfrage nach Arbeits- und Fachkräften, gebe es doch noch einige Schrauben, je nach Aufstellung des Unternehmens, zu drehen.

Aufwachen in neuen Zeiten

Manche etwa holten sich Rat, wie man Frauen anspreche – bis jetzt war man verwöhnt, das war gar nicht nötig. Vor allem im Tourismus, so der AMS-Vorstand, sei man viele Jahre vor einem "schier unerschöpflichen" Arbeitskräfteangebot gestanden. An die nunmehrige Konkurrenz zu anderen Branchen (etwa ohne saisonale Freistellungen) müssten sich viele erst gewöhnen. Er sieht – einen Gasstopp nicht mitgedacht – die kommenden Monate am Arbeitsmarkt ausgesprochen positiv.

Wird die Arbeitswelt jetzt, mit der Wirkung der demografischen Kurve mit weniger Jungen und neuen Ansprüchen, also besser? STANDARD-Personalchefin Sandra Ziffrein gibt ein klares Ja: Es ergeben sich Chancen für uns alle, für beide Seiten. Allerdings müsse jetzt genau hingesehen werden, dass es weder zu einer Entgrenzung der Arbeit noch zu einer Spaltung in den Belegschaften komme. "Eigentlich gehen wir jetzt einen schönen Weg", sagt Ziffrein, "auch weil die Entscheidungen der Kandidatinnen und Kandidaten vielfach bewusster werden."

Mächtiger Hebel gegen Not

Alfred Mahringer, Personalchef der A1 Telekom Austria, ist ebenfalls eindeutig: Er vergleicht die notwendigen Umstellungen von Unternehmen hin zu Bedürfnissen, zu Lebensphasen Mitarbeitender mit einem "riesigen Fitnessprogramm". Habe man verstanden, worum es geht, dann könne man "es gut machen". Mahringer: "Mitarbeiter waren lange Kostenfaktoren. Jetzt sind sie wirklich ein Competitive Advantage." Allerdings, sei es nicht in allen Branchen und überall möglich, "Flexibilität hineinzuwerfen oder etwas besonders Cooles" anzubieten. Vor allem der Mittelstand und vor allem bestimmte Regionen lieferten Grund zur Besorgnis in ihrer Personalnot. Doppelt so viele offene Lehrstellen wie Suchende (im Westen), Salzburg und Oberösterreich mit mehr offenen Positionen als Arbeitssuchende – Johannes Kopf kann mit vielen Daten untermauern, warum Unternehmen jetzt ihre Hausaufgaben machen müssen.

Was wäre aus seiner Sicht die wirkungsmächtigste Maßnahme nebst etwa bereits laufender Anhebung des Regelpensionsalters für Frauen? Die Antwort kommt blitzschnell: "Flächendeckendes, qualitatives ganztägiges Betreuungsangebot für Kinder." Danach folgt eine Liste an Maßnahmen, ganz oben steht die Aus- und Weiterbildung – "reskilling und upskilling". (kbau, 14.6.2022)