Das junge Kaiseradlerweibchen Artemisia war eine Schönheit.

Foto: Birdlife / Matthias Schmidt

Sie ist eine echte Berühmtheit gewesen. Und eine Schönheit sowieso. Vogelkundler gaben ihr, wie es üblich geworden ist in den vergangenen Jahren, sogar einen Namen. Artemisia nannten sie das junge Kaiseradlerweibchen, nachdem sie den Vogel beringt und mit einem kleinen Sender versehen hatten, sodass man sie auf Schritt, Tritt und Flügelschlag verfolgen konnte. Und das war einigermaßen spektakulär.

Tausende Kilometer ist Artemisia geflogen im vergangenen halben Jahr. Vom burgenländischen Zurndorf, dem Gebiet nordöstlich des Neusiedler Sees, bis Griechenland und wieder retour und weiter über Luxemburg bis Frankreich und wieder retour. Kaiseradler sind zwar Zugvögel. Noch nie aber war einer von ihnen, den aufs flache Steppenland spezialisierten östlichen Kaiseradlern, Aquilae heliacae, weiter im Westen gewesen.

Anfang Mai war dann die Adlerin wieder daheim. Dort, wo ihr Horst stand, in einem Nieder- und Federwildrevier auf dem Gemeindegebiet des burgenländischen Zurndorf, ist sie angeschossen worden. Beide Beine wurden zerschossen. Den Täter oder die Täterin kennt man noch nicht. Ein Wilderer? Ein schießgeiler Jäger? Übereinstimmend wird er von allen – von Jägern und Tierschützern gleichermaßen – als "a Trottl" beschrieben. Unlängst ist die weitgereiste Adlerin in der Eulen- und Greifvogelstation im niederösterreichischen Haringsee eingeschläfert worden.

Fragiler Bestand

Artemisia hatte auch einen Bruder, Johannes mit Namen. Der wurde am 12. Oktober des Vorjahres, zu jener Zeit, als die Schwester sich auf den weiten Weg gemacht hatte, im östlichen Weinviertel von einem Windradrotorblatt getroffen. Auch er überlebte sein erstes Jahr nicht.

Kaiseradler sind allerstrengstens geschützt. Mit 30 Brutpaaren ist ihr Bestand in Österreich immer noch "fragil", wie es Matthias Schmidt von der Vogelschutzorganisation Birdlife nennt. Das mag vielleicht auch die emotionale Reaktion von Wolfgang Spitzmüller, Burgenlands grünem Landtagsabgeordneten, erklären: "Die sinnlose Tat ist offenbar das Resultat von schießwütigen Killern aus reiner Lust am Töten. Hier geht es nur um Ballerei auf streng geschützte und einzigartige Tiere. Ich hoffe, dass die Täter gefasst und vor Gericht gestellt werden."

Am Bezirksgericht Mattersburg gab es vor einigen Jahren in der Tat einen einschlägigen Prozess. Der Täter, ein Jäger aus dem Bezirk, verteidigte sich damit, den Kaiseradler mit einem anderen Vogel verwechselt zu haben. Die Präparatorin, zu der er das also irrtümlich erlegte Tier zum Ausstopfen gebracht hatte, zeigte ihn an. Er wurde zu 3000 Euro verurteilt. Der Jagdverband sperrte, zeitlich begrenzt freilich, die Jagdkarte.

Erfolgsgeschichte

Leonhard Schneemann, der zuständige SPÖ-Landesrat, will den "Fall Artemisia" zwar nicht zum Anlass nehmen, gleich über mögliche legistische Verschärfungen nachzudenken. Es sei ja noch nicht klar, ob das überhaupt ein Jäger gewesen sei. "Ich bin gegen pauschale Vorverurteilungen."

Allerdings hinterfragt er den Umstand, dass der Entzug der Jagdkarte höchstens auf drei Jahre möglich ist und dass, anders als beim Führerscheinentzug, keine psychologische Überprüfung nötig ist. Ab nächstem Jahr übernimmt das Land die Agenden des Jagdverbandes. Das wird dann also wieder – oder, weil nunmehr auch politisch unterfüttert, verstärkt – zu einem Thema werden.

Die Geschichte des Kaiseradlers – und seiner unmittelbaren Verwandtschaft, des Seeadlers – lässt sich eigentlich auch als eine Erfolgsgeschichte erzählen. Beide waren lange Zeit aus Österreich verschwunden. Der Kaiseradler hatte sich auf ein paar Brutinseln in der Slowakei und Ungarn zurückgezogen. Dort begann schon in den 1970er-Jahren die Hege. 1999 brütete – erstmals seit mehr als 100 Jahren – wieder ein Kaiseradlerpaar. Heute sind es 30. Mehr als 50 Jungvögel kamen im vergangenen Jahr bis zum Flüggewerden.

Trottel allerorten

Einige von ihnen – im Vorjahr eben das Mädchen Artemisia und der Bub Johannes aus Zurndorf – werden dabei von Ornithologen von Birdlife mit solarbetriebenen Sendern ausgestattet. "Wichtig ist dabei, das richtige Alter abzuwarten, damit die Vögel fast ausgewachsen, aber noch nicht vom Horst abspringen oder gar flugfähig sind", erklärt Johannes Hohenegger von Birdlife, Baumkletterer steigen mittels Seilklettertechnik auf. Die Jungen werden eingepackt und über ein zweites Seil zu Boden gelassen. Die Störung ist im Regelfall rasch wieder beendet.

Im Vorjahr wurden Artemisia und Johannes (oben) beringt und besendert.
Foto: Matthias Schmidt

Im gesamten Karpatenbecken sind heuer 628 Kaiseradler gezählt worden. Angesichts der von Birdlife und anderen Organisationen erhobenen Daten über den Aktionsradius der Vögel ist das nicht wenig. Allerdings warten Trottel allerorten. Ein Drittel der toten Kaiseradler, sagt Hohenegger, sei "durch sichere oder höchstwahrscheinliche Verfolgung zu Tode gekommen". Zudem habe man von den 36 toten Kaiseradlern in den vergangenen Jahren "sieben Windkraftopfer, fünf Kollisionen mit Zügen und drei Fälle von Stromschlag dokumentiert".

Viele dieser Unfälle ließen sich freilich auch direkt auf die Jagd zurückführen. Hans Frey, Leiter der Greifvogelstation im Marchfeld, erzählt: "Bei vielen Tieren haben wir eine hohe Bleikonzentration nachgewiesen." Die Jagd mit Bleischrot hinterlasse einen wahren Giftcocktail. Angeschossene Tiere verenden oder werden zur leichten Beute der Greifvögel.

"Blei aber reichert sich im Körper an. Und irgendwann wird die Wahrnehmung der Vögel gestört. Blei ist ein starkes Nervengift." In Nieder- und Federwildrevieren, wo im Herbst die großen Treibjagden auf Hasen, Fasane oder Rebhühner abgehalten werden, ist dies ein echtes Problem. Zumal im Winter auch die jagenden Greifer auf Kadaver angewiesen sind.

Bleimunition

Seit langem fordern nicht nur Vogelschützer ein Verbot von Bleimunition, wie es bei der Jagd auf Wasservögel bereits gilt. "Auch aus humanmedizinischen Gründen." Es sei verrückt, echauffiert sich Frey, "dass wir Wildpret als gesündestes Fleisch bewerben, aber absichtlich mit Blei vergiften. In Deutschland wurde österreichisches Wildfleisch deshalb schon zuweilen aus dem Verkehr gezogen."

Wolfgang Spitzmüller, der grüne Abgeordnete im Eisenstädter Landtag, fordert seit Jahr und Tag ein Verbot von Bleimunition. "Den illegalen Abschuss wird man schwer verhindern können, schießwütige Idioten gibt es halt. Aber die Bleimunition zu verbieten wäre einfach. Und das ist sowieso das größere Problem." Spitzmüller wird, sagt er, diesbezüglich nicht lockerlassen.

Auf Leonhard Schneemann, den roten Landesrat, kommen im nächsten Jahr, wenn das Land den Jagdverband unter seine Fittiche nimmt, spannende Zeiten zu. Denn dann ist er nicht nur exekutiv Zuständiger für jagdliche Angelegenheiten. Sondern auch oberster Lobbyist. In Sachen Bleimunition darf er dann mit sich selbst streiten. (Wolfgang Weisgram, 12.6.2022)