Tauwürmer und Flachgräber graben die Felder um und versorgen sie mit Nährstoffen.

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Es ist ein absolutes Horrorszenario", sagt Lorenz Mayr. Der Landwirt steht mitten in einem seiner Äcker in Steinabrunn im Weinviertel. Der Mais reicht ihm fast bis zum Knie und gedeiht somit prächtig. Mayrs Horrorszenario bezieht sich auf eine Studie der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages).

Dieser zufolge könnte sich der Ertrag im niederösterreichischen Flach- und Hügelland in den kommenden 30 Jahren um bis zu 48 Prozent verringern, sollte der Klimawandel derart voranschreiten, sagt er. Gegen die Auslöser der Hiobsbotschaft – Dürre und Hitze – kommen Mais, Zuckerrüben, Erdäpfel, Weizen und Raps auf Dauer also nicht mit demselben Output an. Zumindest nicht, wenn alles so bleibt wie bisher.

Und das will Mayr jedenfalls verhindern. Daher greift der Bauer auf seinen hügeligen Äckern zu ungewöhnlichen Maßnahmen anstatt zum Pflug. Sein erklärtes Ziel: jeden Tropfen Wasser im Boden halten, um etwaigen Dürreperioden vorzubeugen. Dafür setzt er auf das Konzept der Direktsaat.

Begrünung statt Pflug

Dabei wird einerseits auf jegliche mechanische Bodenbearbeitung verzichtet – manche Felder habe Mayr schon seit 1996 nicht mehr umgegraben. Durch das Wenden des Bodens verdunstet das Wasser in der Erde, und wichtige Nützlinge wie etwa Regenwürmer überleben die Achterbahnfahrt häufig nicht. Die Folge: Regen kann nur bedingt in die ebene Fläche eindringen und Bodenerosionen verursachen.

Andererseits sind bei der Direktsaat die Felder ganzjährig begrünt. Schwarzer Ackerboden kommt somit nie zum Vorschein. Nachdem die Aussaat der Zwischenfrüchte wie etwa Buchweizen, Öllein und Senf auf- und abgeblüht sind, legen sie sich als Mulchdecke über die wertvolle Humusschicht.

Für Mayr überwiegen die Vorteile: Einerseits schützt die Begrünung den Boden vor Sonnenenergie und verhindert "unproduktive Verdunstung". Andererseits fängt sie Regen auf, der dann langsam im Boden versickert.

Das Zuckerrübenfeld von Lorenz Mayr, daneben Tochter Hannah, ist mit einer Mulchschicht bedeckt.
Foto: Julia Beirer

Hafer als Acker

Sind die Hänge zudem besonders steil, wie etwa auf Mayrs Erdäpfelacker, baut er kleine Dämme, um den Wasserstrom zu verlangsamen. Damit diese auch Starkregen aushalten, pflanzt der Landwirt darauf Hafer an. Dessen Wurzeln wirken wie ein Anker und stabilisieren die Erddämme.

Somit bleibe das Wasser auf und in seinen Feldern, anstatt in den Nachbaracker und später auf die Straße zu schwappen, wo der nährreiche Humus als brauner Dreck trocknet.

Auf dem Weg vom Mais zu den Zuckerrüben trocknen die Erdflecken auf der schmalen Straße. Daneben klaffen tiefe Narben im Erdboden. Am Vortag hat es geregnet, das hat vor allem gepflügten Äckern zu schaffen gemacht. Mayr leidet in seinen auf Hügeln gelegenen Feldern besonders unter der Bodenerosion.

Kann der Regen nicht versickern, gräbt er tiefe Narben in den Boden.
Foto: Julia Beirer

Daher liegt das Stroh zwischen den Zuckerrüben noch dichter. Aber nach der Ernte alles liegen lassen und nicht fein säuberlich pflügen und zusammenräumen, wie es sich eben gehört, das müsse man aushalten, sagt er, auf den ersten Blick "schaut das schon wild aus".

Dreimal mehr Regenwürmer

Mayr tüftelt nach wie vor an der passenden Mischung. Trotzdem ist sein Rezept nicht geheim. Er erzählt regelmäßig bei Workshops und Vorträgen davon. Auch im Verein Boden Leben, dem Mayr als Obmann vorsteht und der 500 Mitglieder zählt, tauscht man sich aus.

Laut Landwirtschaftskammer sind derzeit elf Prozent der Ackerflächen mit Mulch- und Direktsaat begrünt. Diese Flächen sind im Laufe des gesamten Jahres nur für höchstens vier Wochen zwischen der Ernte der Vorkultur und Anbau der Folgekultur nicht begrünt.

Dass die Aufklärungsarbeit gerade erst begonnen hat, weiß auch Pia Euteneuer. Die Agrarwissenschafterin hat erst vor wenigen Wochen auf Mayrs Direktsaatfläche Regenwürmer gezählt.

Das Ergebnis: bis zu 150 Stück pro Quadratmeter und damit dreimal mehr als auf gepflügten Flächen. Zudem könnte sich die Anzahl der Würmer bis Herbst sogar vervierfachen, ist die Forscherin überzeugt.

Mehr Bodenbearbeitung, weniger Regenwürmer

Euteneuer vergleicht im Rahmen des Forschungsprojekts "Pioneer Farming" in den kommenden drei Jahren die Auswirkungen der Direktsaat mit den des herkömmlichen Pflugs. Ihr bisheriges Fazit: Je intensiver Landwirte den Boden bearbeiten, desto weniger Regenwürmer gibt es dort.

Vor allem der besonders nützliche Tauwurm werde durch die Bearbeitung mit dem Pflug zurückgedrängt. Er ernährt sich von der Mulchdecke und setzt die Nährstoffe in der darunterliegenden Erde frei. Dadurch bekommen die Pflanzen mehr Stickstoff und Phosphor. Der Tauwurm gräbt zudem vertikale Röhren, in denen auch Starkregenergüsse schnell versickern können und somit vor Bodenerosion schützen.

Überall, wo sich der Tauwurm ausbreitet, finden sich laut Euteneuer auch Flachgräber, eine andere Regenwurmgruppe. Sie bewegen sich nur horizontal und in den ersten 30 Zentimetern des Bodens. An die Oberfläche kommen sie nie. Die Flachgräber bedienen sich am Stroh in den Röhren des Tauwurms "wie in einem Supermarkt", produzieren nützliche Nährstoffe, formen den Boden und verteilen das Regenwasser Richtung Pflanzenwurzel.

Dass sich der Pflug auf österreichischen Feldern trotzdem hartnäckig hält, hat laut Mayr zwei Gründe. Die speziellen Maschinen kostet um rund ein Drittel mehr als andere Geräte. Der zweite Nachteil: Wer den Boden komplett unberührt lassen will, wird Pestizide einsetzen müssen, um die Begrünung einzudämmen, sobald sie überhandnimmt und der Hauptpflanze das Wasser abgräbt.

Der Haken

"Herbizide sind für mich die ökologischere Variante", sagt Mayr. Unkräuter und Begrünung müsse er regulieren, sie seien immer schneller als die Kulturpflanze. "Wenn ich das mechanisch mache, lockert der Boden auf und rinnt beim nächsten Regen weg. Somit geht die für mich wichtigste Ressource verloren." Da nur die oberste Humusschicht fruchtbar ist, wolle er dies vermeiden.

Einige Kilometer weiter in Stockerau versucht es Biobauer Stefan Schmied trotzdem mechanisch. Er arbeitet nicht mit Direkt-, sondern Mulchsaat, wobei das Wachstum der Begrünung nicht chemisch, sondern durch Jäten und Hacken reguliert wird.

"Jede Bodenbearbeitung ist eine Störung", sagt Schmied. Da er aber auf eine chemische Behandlung verzichten wolle, gehe es nicht anders. "All unsere Maßnahmen haben Konsequenzen im System, und jeder Acker wäre lieber eine Wiese geblieben", sagt Schmied. Das wäre wohl auch den Regenwürmern lieber gewesen. Mayr und Schmied setzen nun auf deren Hilfe, um sich gegen Horrorszenarien, Dürre und Ertragsverluste zu wappnen. (Julia Beirer, 12.6.2022)