Kremlchef Wladimir Putin wandte sich einmal mehr der Historie zu.

Foto: imago / Sputnik / Mikhail Klimentyev

Mit einer mehr als eigenwilligen Geschichtsinterpretation hat Wladimir Putin indirekt den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine gerechtfertigt: Zar Peter der Große (1672–1725) habe das Gebiet um die heutige Millionenmetropole Sankt Petersburg im Großen Nordischen Krieg von Schweden nicht erobert, sondern "zurückgewonnen". Tatsächlich wurde die Stadt 1703 auf Sumpfgelände nahe dem Meer gegründet, um den Anspruch Russlands auf Zugang zur Ostsee durchzusetzen. Das Baltikum war historisch nie slawisch, weshalb sein Vergleich mit der "Rückholung" der Ukraine gleich mehrfach fragwürdig scheint.

Nicht nach hinten, sondern in die Zukunft blickt derweil der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj: In einer Videobotschaft für einen Demokratiegipfel der Stiftung Alliance of Democracies in Kopenhagen forderte er am Freitag von der EU mehr Tempo beim Beitritt seines Landes. Wenn laut Umfragen 71 Prozent der Europäerinnen und Europäer die Ukraine als Teil der europäischen Familie erachteten, dann frage er sich, warum es immer noch skeptische Politiker gebe, die in dieser Hinsicht zögern.

Kiew im Wartezimmer

Die 27 Staats- und Regierungschefs werden sich Ende Juni bei ihrem Gipfeltreffen zum Stand des Beitrittsprozesses des Landes äußern. Österreich gehört mit Hinweis auf andere in Warteposition befindliche Balkanstaaten zu den Bremsern; Frankreich schlägt eine "Konföderation" jener Staaten vor, die – wie die Ukraine – sich an die EU annähern, ihr aber (noch) nicht beitreten könne oder wollen.

In eine möglicherweise entscheidende Phase traten am Freitag die Kämpfe in der Ostukraine rund um den Verkehrsknotenpunkt Bachmut: Die russischen Truppen versuchten, diesen einzunehmen, um den Nachschub für das ebenfalls heftig umkämpfte Verwaltungszentrum Sjewjerodonezk zu unterbinden. Die ukrainischen Verteidiger beklagten dort zuletzt einen "katastrophalen" Mangel an Artillerie-Geschützen. (gian, 10.6.2022)