Bei Ministertreffen oder EU-Gipfeln kommt Präsidenten und Ministern das Wort "historisch" oft und gerne über die Lippen. Verständlich. Wer nach Monaten, nicht selten sogar Jahren frustrierender Verhandlungen wenigstens irgendeinen Kompromiss findet, spürt ein Glücksgefühl.

Grenzübergang zwischen Polen und Belarus.
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Wenig überraschend also, dass Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin in Luxemburg eine angeblich "historische Einigung" zur Verteilung von Asylwerbern zwischen EU-Staaten bejubelte. Er führt den EU-Vorsitz. Seine Partei bangt bei den Wahlen am Sonntag um ihre Mehrheit im Parlament. Ein Erfolg im Kreis der EU-Innenminister musste her.

In der Substanz jedoch ist "der Entwurf einer Erklärung", die ein Dutzend Staaten mit Frankreich und Deutschland an der Spitze vereinbart haben, mehr als dürftig. Demnach soll es ein System von "flexibler Solidarität" geben, in dem Länder auf freiwilliger Basis andere Länder, die unter starkem Migrationsdruck stehen, unterstützen. Sie können Asylwerber übernehmen oder sonst wie helfen, etwa zahlen.

Jeder kann, keiner muss. Es gibt keine fix vereinbarte Zahl an Flüchtlingen, die solidarisch auf alle aufgeteilt werden, wie die EU-Kommission vorschlug, und auch keine Rechtsverbindlichkeit. So weit war man in Wahrheit schon vor fünf Jahren.

Die jüngste Vereinbarung ist daher eher alt als historisch, eher Alibi als Lösung. Dass Österreich sich daran nicht mal symbolisch beteiligt, macht die Sache nicht besser. (Thomas Mayer, 10.6.2022)