Carla Sands' Behauptung über Dänemark ist mit der Realität nicht kompatibel.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Wenn man vier Jahre lang in einem Land gelebt hat, sollte man über selbiges wohl einigermaßen Bescheid wissen. Insbesondere wenn man als Botschafterin die Beziehungen der eigenen Nation zum Gaststaat pflegen soll. Carla Sands war von 2017 bis 2021 oberste US-Diplomatin in Dänemark. Mit einem Tweet handelte sie sich nun einige Kritik und Spott ein – nicht nur aus der nordeuropäischen Nation.

Sands teilte auf Twitter einen Beitrag von CNN, der sich mit dem steigenden Benzinpreis in den USA befasst. "Ich habe das schon einmal gesehen", kommentierte sie dazu an ihre Follower. "In Dänemark können sich Bürger aus der Mittelklasse nicht leisten, mit dem Auto zu fahren. Sie haben ein Rad und nehmen den Zug für längere Reisen. Mein Fahrer radelte eine Stunde durch den Schnee, um in die Arbeit zu kommen. Das ist die Zukunft, die Team Biden für die Amerikaner möchte. Ist das auch, was du willst?"

Botschafterin unter Trump

Den Tweet muss man freilich auch im Kontext der Politik in den USA verstehen. Sands, die 2015 nach dem Tod ihres Ehemanns CEO der zuvor von ihm geführten Vintage Capital Group wurde, ist eine glühende Anhängerin von Donald Trump. 2016 unterstützte sie bereits seinen Wahlkampf als Wirtschaftsberaterin und mit einer Spende von einer Viertelmillion Dollar sowie mehreren Fundraisern.

Nach Trumps Einzug ins Weiße Haus setzte Trump sie als Botschafterin in Dänemark ein. 2021 wurde sie vom neuen Präsidenten Joe Biden abberufen. Sie ging auch im Streit mit der Regierung, die ihr vorwarf, gegen den Hatch Act zu verstoßen, weil sie in ihrer Rolle als Botschafterin Werbung für Trump gemacht, Kritik an Biden geübt und Verschwörungserzählungen über die heutige Vizepräsidentin Kamala Harris weiter verbreitet hatte. Heuer bewarb sich Sands um die Kandidatur für den Senat, scheiterte in den Vorwahlen in Pennsylvania aber am direkt von Trump unterstützten Fernsehstar Mehmet Öz, der sich die republikanische Nominierung sicherte.

Korrekturen und Sarkasmus

Eine Korrektur ihrer Behauptung über Dänemark liefert unter anderem Benny Engelbrecht, der für die Sozialdemokraten im dänischen Parlament sitzt und von 2019 bis vergangenen Februar als Verkehrsminister tätig war. "Ich kann ihnen versichern, dass die Nutzung von Rädern für den Stadtverkehr für die meisten Dänen eine freie Wahl ist und keine wirtschaftliche Frage." Dazu postete er ein Foto aus seiner Zeit im Ministeramt, das ihn mit einem Rad zeigt. "Und keine Sorge, wir könnten uns ein Auto leisten."

"Offenbar ist unsere Königsfamilie Teil der Mittelklasse", merkt eine andere Nutzerin sarkastisch an und stellt ebenfalls ein Foto bei, das Kronprinz Frederik mit zwei Kindern auf einem Rad zeigt. "Das ist unser Kronprinz, als er vor ein paar Jahren seine Kinder aus dem Kindergarten heim gebracht hat. Ich bin mir sicher, diese Familie hat ein Auto. Oder zwei. Oder eine ganze Sammlung."

Ein anderer User macht augenzwinkernd auf die Verhältnisse in den nicht weit entfernten Niederlanden aufmerksam. Dort sei es "noch schlimmer". "Nicht einmal König und Königin können sich ein Auto leisten!". Ein anderer Twitterant ergänzt in einer Reaktion ein Foto des britischen Premiers Boris Johnson, der bekannt für seine Vorliebe für den Drahtesel ist. Sein Kommentar dazu: "In Großbritannien konnten wir uns vor dem Brexit noch Autos leisten :("

Tief in die Klischeekiste greift schließlich eine Nutzerin bei der Beschreibung ihres Arbeitsweges. "Ich bin Dänin und [was Sands behauptet] ist wahr! Während wir in den ständigen Schneestürmen in die Arbeit radeln, müssen wir mindestens zehn Eisbären und wütende Jotun-Mobs abwehren" (Anm. d. Red.: Jotun ist ein Göttergeschlecht aus der nordischen Mythologie). Wir müssen unsere Zahnbürste mit dem ganzen Dorf teilen und dürfen nur staatlich ausgegebene Kohl-Rationen essen."

In dieser Tonalität ziehen sich viele Antworten durch. Dazu gesellen sich manche zustimmende Postings aus Sands politischem Spektrum, aber auch einige Rügen darüber, dass sie als Ex-Botschafterin doch besser Bescheid wissen sollte über Dänemark.

Behauptung hält Faktencheck nicht stand

Daten zeigen, dass Sands Behauptung schlicht nicht aufrecht zu erhalten ist. Dänemark ist laut Eurostat (Stand 2020) das Land mit dem im Schnitt (Median) zweithöchsten Nettoeinkommen pro Kopf unter den 27 EU-Staaten. Davor liegt nur Luxemburg. Allerdings liegen die Preise für Verbrauchsgüter und Dienstleistungen (Stand 2020) auch 40 Prozent über dem EU-Schnitt. Der EU-Preisniveauindex korrespondiert weitestgehend mit der Einkommenshöhe.

Geht es um Autobesitz, dann liegen die Dänen im unteren EU-Drittel. 2019 kamen auf 1.000 Däninnen und Dänen 455 Fahrzeuge für den Personentransport. Zum Vergleich: In Deutschland, Sitz mehrer großer Autohersteller, waren es 574. Österreich (Stand 2018) liegt mit 562 auf einem ähnlichen Niveau.

Hinzu kommt, dass Dänemarks Radinfrastruktur zu den besten der Welt gezählt wird. Und die Politik setzt weiter auf ihren Ausbau. 2021 wurde ein rund 70 Millionen Euro schweres Investitionspaket dafür auf den Weg gebracht.

Nicht die erste Falschbehauptung

Es ist nicht das erste Mal, dass Sands es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Nach den US-Präsidentschaftswahlen 2020 schrieb sie, dass sie sich als Wählerin "entrechtet" fühle, weil ihre Briefwahlstimme in Pennsylvania nicht berücksichtig worden sei. Die "New York Times" forschte nach und fand heraus, dass ihr Wahlzettel ordnungsgemäß eingelangt und gezählt worden war.

Auch der ehemalige US-Präsident selber fiel mehrfach mit eigenartigen Behauptungen über andere Länder auf. So erklärte er etwa in Zusammenhang mit schweren Waldbränden in Kalifornien, dass in Finnland die Menschen den Wald kehren würden, um Feuer zu vermeiden. Über Österreich verbreitete er, dass viele Menschen in "Waldstädten" lebten. Dennoch käme es seltener zu Bränden, obwohl es in der Alpenrepublik "explosivere Bäume" gebe. (gpi, 12.6.22)