Slávka Zámečníková (als Euridice) und Georg Nigl (Orfeo)

Pöhn

Wir freuen uns auf euch", schallt es durch die Staatsoper. "Nur noch zehn Minuten bis zum Beginn der Feierlichkeiten!", verspricht eine euphorisierte Stimme, während die Figuren von Claudio Monteverdis L’Orfeo durch den Zuschauerraum stolzieren. How lovely! Mit Unterweltkönigin Proserpina smalltalkt man vielleicht darüber, wie sie ihren Gemahl Plutone später bitten wird, Euridice an Orfeo zurückzugeben. Mancher gönnt sich auch ein Selfie mit Fährmann Caronte (Wolfgang Bankl), der Tote in jene Sphäre bringt, von der aus es keine Rückkehr gibt. Nice to meet you!

Es herrscht also schon vorab ausgelassene Stimmung in der ganzen Staatsoper, deren Zuschauerraum sich – live gefilmt – im Bühnenbild spiegelt. Ist okay. Wenn es schon keinen Opernball gab, feiern zumindest Orfeo und Euridice im Haus am Ring ihre Liebesverbindung, an der auch der Dirigent teilnimmt. Was für ein Auftritt! Pablo Heras-Casado wandert – vom Trommelklang geleitet – durch die Zuschauerreihen zum Arbeitsplatz.

Man trägt Wollknäuelskulpturen

Regisseur Tom Morris hat sich das alles lebendig und nett ausgedacht; auch die Partygesellschaft ist in ihrer märchenhaft-surrealen Farbpracht eine schrille Augenweide (Bühne und Kostüme: Anna Fleischle). Man trägt Wollknäuelskulpturen auf dem Kopf, man ist behörnt, als wäre man Menschentier. Man sieht einen Mix aus Shakespeares Sommernachtstraum, der sicham Fluch der Karibik orientiert, Satyrspiel und Bacchanal, bis mitten im Fest Orfeo einen Schwächeanfall erleidet und die tanzende Euridice tot umfällt. Party zu Ende. Der Rest der Oper gilt, wie seit Jahrhunderten bekannt, Orfeos melancholisch wütender Trauerarbeit.

Wiederkehrender Schmerz

Da nützt Morris die Chance zum optischen Effekt: Wie es in die Welt der Toten hinabgeht, hebt sich zu wildem Lärm die festliche Tanzplattform. Der Blick wird frei auf eine Art "Untererde" mit wildem Wurzelwerk, um das herum Orfeo nicht nur Proserpina, Plutone (Andreas Mastroni) und dem Fährmann mit dem Segelschiff auf dem Kopf begegnet. Vielmehr ist die ganze Feiergesellschaft wieder zugegen, nun allerdings düster wirkend und leidend. Morris inszeniert mit ihr Szenen ständig wiederkehrenden Schmerzes, wieder und wieder werden Wunden zugefügt. Es ist ein Karussell des vertanzten Grauens.

Langsam, aber sicher schleicht sich danach das Gefühl ein, die Regie würde sich damit begnügen, konventionell zu erzählen und Statik originell zu dekorieren. Und wenn schließlich Orfeo zum Schluss hin in den Himmel aufsteigt, ist zur Gewissheit geworden, dass von den munteren Anfangsmomenten leider nur wenig in szenische Substanz verwandelt wurde. Da stand etwa der impulsive Georg Nigl doch sehr oft leicht verloren an der Rampe. Wenn man bedenkt, über welch schauspielerische Möglichkeiten er an sich verfügt, wirkte er als Orfeo szenisch nicht ausgelastet.

Bei hoher Intensität

Vokal findet Nigl im Elegischen immer wieder zu klaren sanften Linien. In der Höhe klingt es allerdings – bei hoher Intensität – oft nach Mühe. Slávka Zámečníková (als Euridice) ist dagegen mit Leichtigkeit und delikater Linienführung unterwegs in das Totenreich, wo sie noch inniger zu lyrischer Intimität findet. Bis zur Pause schienen seltsamerweise alle mit vokalen Problemen zu kämpfen; ab dem vierten Akt wurde es besser.

So konnte Christina Bock (als Botin und Proserpina) ihren kostbaren Klang doch noch entfalten. Und auch Kate Lindseys Stimme (als Musik, Hoffnung und Echo) rundete sich und fand intonationssicher zur gewohnten Ausstrahlung, die gut in den edlen Sound des Concentus Musicus eingebettet schien.

Nur Begeisterung

Der traditionsreiche Concentus, der von Nikolaus Harnoncourt gegründet wurde und einst mit seinem Züricher Monteverdi-Zyklus Rezeptionsgeschichte schrieb, bot mit Dirigent Pablo Heras-Casado historisch Informiertes zwischen Klangfülle und pointierten Interventionen. Davon profitierte das etwas unausgewogen klingende Ensemble ebenso wie der respektable Hiroshi Amako als Apollo, der versuchte, Orfeo zur Himmelfahrt zu überreden. Nach den teils heftigen Buhrufen bei Calixto Bieitos Tristan und Isolde- Premiere im April nun eindeutig Begeisterung – für einen szenisch soliden Abend.

(Ljubiša Tošić,12.6.2022)