Nadals linker Fuß macht gröbere Probleme.

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Nichtsdestotrotz will der spanische Sandplatzgott weiter seiner Leidenschaft frönen.

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David Müller von der Nada sieht Nadals Umgang mit Schmerzmitteln durchaus kritisch.

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Auf dem Weg zum 14. French-Open-Titel hat Rafael Nadal nicht etwa nur seinen serbischen Dauerrivalen Novak Djokovic, den Pechvogel Alexander Zverev und im Finale den Norweger Casper Ruud bezwungen. Sondern er hat vor allem auch Schmerzen in seinem linken Fuß. Französische Radprofis brachten Nadal, der sich regelmäßig fitspritzen ließ, mit Doping in Verbindung. Auch Ärzte und Wissenschafter kritisieren das Ausmaß, in dem Nadal sein körperliches Wohl aufs Spiel setzt. David Müller von der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) mit Sitz in Wien hat für die Kritik Verständnis und "eine gewisse Sympathie".

STANDARD: Im Radsport gilt eine No-Needle-Policy, der Einsatz von Spritzen ist verboten. Wieso darf der Tennisstar Rafael Nadal, was die Radprofis nicht dürfen?

Müller: Das Fitspritzen ist im Tennis oder in Teamsportarten, aber auch zum Beispiel im alpinen Skisport seit jeher weit weniger verpönt als etwa im Radsport. Ein österreichischer Skifahrer hat einmal halb im Scherz gesagt, dass es zum Frühstück Voltaren statt Müsli gibt. Ich verstehe Radfahrer, die sich darüber wundern, in welchem Ausmaß Nadal während der French Open zu Schmerzmitteln gegriffen hat. Es gibt erlaubte Schmerzmittel, und es gibt verbotene, aber auch für diese kann man medizinische Ausnahmegenehmigungen bekommen.

STANDARD: Wieso stehen Mittel überhaupt auf der Dopingliste, wenn dann mit Ausnahmegenehmigungen quasi eine Hintertür aufgeht?

Müller: Wir führen hier eigentlich eine medizinisch-ethische Diskussion. Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada vertritt den Standpunkt, dass du Cortison auch als Normalsterblicher kriegen würdest. Und dass es beim Einsatz von Schmerzmitteln ja nicht darum geht, deine Leistung zu steigern, sondern darum, deinen körperlichen Normalzustand wiederherzustellen.

STANDARD: Ich könnte aber argumentieren, Nadal habe seinen Körper jahrelang so geschunden, dass nun eben die Schmerzen gewissermaßen Normalzustand sind.

Müller: Das könnten Sie.

Schon 2005 wurde Rafael Nadal mit der Diagnose Müller-Weiss-Syndrom konfrontiert, es handelt sich um eine degenerative Erkrankung des Kahnbeins, sie hat eine Deformierung des Mittelfußknochens zur Folge. Die Belastung der Gelenke beschleunigt die Krankheit, befeuert den Schmerz. Nadal hilft sich seit Jahren mit Schmerzmitteln. Heuer waren die Schmerzen besonders groß, Nadal hat sich in jedem seiner sieben Paris-Spiele mit Schmerzmitteln geholfen, auch nach dem Finale sagte er: "Ich habe ohne Gefühl im Fuß und mit einer Spritze in den Nerv gespielt. Der Fuß war dann wie taub!" Das hat nicht nur Bewunderung, sondern auch Verwunderung hervorgerufen. Die französischen Radprofis Guillaume Martin und Thibaut Pinot zogen Vergleiche, und sie zogen in L’Equipe über Nadal her. Martin sagte da, dass ein Radfahrer, wenn er sich wie Nadal fitspritzen lassen würde, "als gedopt" zu gelten habe.

STANDARD: Wie kritisch sehen Sie persönlich Nadals Umgang mit Schmerzmitteln?

Müller: Ambivalent. Es ist legitim zu sagen, dass sich Nadal einen Vorteil verschafft gegenüber denjenigen, die besser auf ihren Körper schauen, auf ihre Gesundheit achten. Aber es ist auch so, dass es im Spitzensport prinzipiell nicht um Gesundheit geht, sondern um Leistung. Es ist spitzensportimmanent, dass er nicht zwangsläufig gesund ist. Man kann auch argumentieren, dass Nadal seine Leistung nicht steigert, weil er ja über seine natürlichen Möglichkeiten nicht hinauskommt.

STANDARD: Die Frage ist letztlich, wie der "Normalzustand des Körpers" zu definieren ist.

Müller: Ist dieser Normalzustand ein absoluter Wert oder ein relativer Wert – genau darum geht es. Wenn Nadal beispielsweise wirklich nur unter Schmerzen und mit Schmerzmitteln trainieren und spielen kann, schreit ja sein Körper förmlich schon: Hör auf!

Dieser Aussage schließt sich der Wiener Sportmediziner Robert Fritz an. Er sagt dem STANDARD: "Über Nadals Leistung brauchen wir nicht diskutieren. Sie ist sensationell. Aber taugt er uneingeschränkt als Vorbild? Das kann und muss man hinterfragen. Schließlich sind auch im Hobbybereich viele mit Schmerzmitteln unterwegs, und das ist eine falsche und oftmals richtig blöde Herangehensweise. Viele nehmen sogar prophylaktisch etwas, weil sie Angst haben, dass sie Schmerzen bekommen könnten. Und den meisten ist nicht bewusst, welche Nebenwirkungen das haben kann." Nadal ist klarerweise medizinisch hervorragend betreut, besser als jeder Hobbyist. Und er will, wie sein Onkel Toni kürzlich bekanntgegeben hat, trotz der permanenten Schmerzen auch jetzt nicht pausieren, sondern sich ab heute in seiner Heimat Mallorca auf Wimbledon vorbereiten. Dort hat er ebenso wie in Australien "erst" zwei Titel gewonnen, zu denen vier US-Open-Erfolge und die 14 Paris-Triumphe kommen. Mit 22 Grand-Slam-Titeln liegt Nadal vor Djokovic und Roger Federer (je 20).

STANDARD: Würden Sie meinen, man sollte dem Umgang von Spitzensportlern mit Schmerzmitteln einen Riegel vorschieben? Wie könnte der Riegel aussehen?

Müller: Theoretisch ist es natürlich möglich, eine Regel aufzustellen, nach der bei einem Wettkampf oder auch in den Tagen davor keine Schmerzmittel mehr eingenommen werden dürfen. Aber auch damit wird man nicht alles in den Griff bekommen. Das größere Problem sehe ich prinzipiell im Breitensport, allein schon aufgrund der viel größeren Anzahl der Aktiven. (Fritz Neumann, 13.6.2022)