Die erste Runde der Parlamentswahl in Frankreich ist geschlagen – das Rennen bleibt aber weiter offen.

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Rund sechs Wochen nach der Präsidentschaftswahl, die Amtsinhaber Emmanuel Macron eine zweite Amtszeit bescherte, ist am Sonntag der erste Durchgang der Parlamentswahlen in Frankreich über die Bühne gegangen.

Hochrechnungen nach Wahlschluss sahen das Lager des Präsidenten gleichauf mit beziehungsweise knapp hinter dem neuen links-grünen Bündnis Nupes um den Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon. Dazu gehören neben Mélenchons Partei La France Insoumise auch die Sozialisten, die Grünen und die Kommunisten.

Das Linksbündnis lag demnach mit 25,6 bis 26,1 Prozent in manchen Umfragen sogar leicht vor dem zentristischen Lager des Präsidenten mit 25,2 bis 25,6 Prozent. Auf Platz drei landete das Rassemblement National (RN) von der Rechtspopulistin Marine Le Pen.

Absolute Mehrheit für Macron wackelt – aber weiter in Reichweite

Die Prozentwerte haben aber nur geringe Aussagekraft, weil die 577 Parlamentsmandate nach dem Mehrheitswahlrecht besetzt werden. Das heißt: Bei der ersten Wahlrunde ziehen nur jene Kandidaten fix ins Parlament ein, die auf Anhieb mehr als 50 Prozent der Stimmen in ihrem Wahlkreis erhalten haben. Wo das nicht der Fall ist, müssen sich die stimmreichsten Kandidaten eine Woche später einem zweiten Wahlgang stellen.

Prognosen gehen bei der zweiten Runde von einer Mehrheit für das Macron-Lager aus. Dem Institut Harris Interactive zufolge könnte das Macron-Bündnis nach der Stichwahl etwa 260 bis 300 Mandate erreichen, die Linksallianz 150 bis 208 Mandate. Das Institut Ipsos sieht für das zentristische Macron-Bündnis Ensemble! (Gemeinsam, Anm.) 255 bis 295 Mandate in Reichweite, das Institut Ifop sogar 275 bis 310 Mandate.

Damit könnte der Präsident eine zumindest relative, womöglich sogar absolute Mehrheit wahren. Dafür sind insgesamt 289 Sitze nötig.

Der linkspopulistische Jean-Luc Mélenchon würde gerne Premier werden.
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Doch auch wenn dies dem Macron-Bündnis im zweiten Durchgang gelingt, stehen dem Präsidenten schwierige Zeiten bevor. Schon jetzt bekommt er starken Gegenwind von den oppositionellen Kräften zu spüren.

Bisher drehte sich in diesem Wahlkampf alles um die Inflation: Mélenchon, der das Linksbündnis aus Sozialisten und Grünen anführt, profitierte von der Verunsicherung vieler Bürger wegen der hohen Lebenshaltungskosten.

Hälfte der Wahlberechtigten wählte nicht

Ebenfalls bemerkenswert: Instituten zufolge betrug die Wahlbeteiligung am Sonntag nur etwa 47,7 Prozent – um 1,5 Prozent weniger als 2017. Die amtierende Premierministerin Élisabeth Borne sagte angesichts dessen: "Unsere erste gemeinsame Aufgabe ist es, das Fernbleiben zurückzudrängen". Nichtwähler rief sie dazu auf, in der zweiten Runde am kommenden Sonntag ihre Stimme abzugeben. In den ersten Ergebnissen sah sie dennoch auch einen klaren Erfolg: "Wir sind die einzige politische Kraft, die in der Lage ist, eine Mehrheit in der Nationalversammlung zu bekommen". Die Premierministerin warnte zudem indirekt vor einem weiteren Erstarken der Linken. "Wir können das Risiko von Instabilität nicht eingehen." Sie und das Mitte-Bündnis hingegen stünden für Kohärenz und würden im Kampf gegen die Extreme nichts unversucht lassen.

Aber auch Mélenchon wertete die Teilergebnisse als Sieg. "Die Wahrheit ist, dass die Präsidentschaftspartei in der ersten Runde geschlagen und besiegt ist", sagte er am Sonntagabend in Paris. Spitzenvertreter der Linksallianz wiesen darauf hin, dass das Rennen um die Mehrheit weiterhin offen sei.

"Angesichts dieses Ergebnisses und der außerordentlichen Gelegenheit, die sie für unsere persönlichen Leben und die Zukunft der gemeinsamen Heimat darstellt, rufe ich unser Volk auf, nächsten Sonntag auszuströmen, um natürlich die verhängnisvollen Vorhaben der Mehrheit von Herrn Macron definitiv zurückzuweisen", sagte Mélenchon mit Blick auf die Stichwahlen in einer Woche. (Flora Mory. 12.6.2022)