In laufenden Vergabeverfahren darf kein Zuschlag an russische Staatsangehörige und – praktisch relevanter – russische Unternehmen erteilt werden.

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Ein Grundgedanke des EU-Vergaberechts ist die Diskriminierungsfreiheit im Umgang mit den Anbietern. Diese bezog sich stets auf Unternehmen aus EU- bzw. EWR-Mitgliedsstaaten und einzelnen anderen Staaten, mit denen gesonderte Abkommen getroffen wurden.

Unternehmer aus sonstigen Drittstaaten dürfen dagegen diskriminiert und sogar von Vergaben ausgeschlossen werden. Das ist konsequent, verfolgt doch die Europäische Union vorrangig das Ziel der Stärkung des Binnenmarktes. Ohnehin ist schon das Recht eines südböhmischen Anbieters, an einer Ausschreibung einer Gemeinde im oberen Mühlviertel teilzunehmen, lokalpolitisch nicht leicht vermittelbar.

In manchen Fällen verlangt EU-Recht sogar die Diskriminierung von Drittstaatsangehörigen, aktuell etwa im Zusammenhang mit den Sanktionen gegen Russland wegen des Krieges in der Ukraine. Im April wurde eine EU-Verordnung (EU) 2022/576) veröffentlicht, die ein Zuschlagsverbot und ein Vertragserfüllungsverbot in Bezug auf russische Unternehmen enthält.

In laufenden Vergabeverfahren darf demnach kein Zuschlag an russische Staatsangehörige und – praktisch relevanter – russische Unternehmen erteilt werden. Bereits geschlossene Verträge dürfen nicht (weiter) erfüllt werden. Damit soll russischen Wirtschaftsteilnehmern der Zugang zu öffentlichen Aufträgen in der EU versperrt werden. Wie ernst es die EU damit meint, zeigt sich darin, dass das Verbot auch dann greift, wenn Subunternehmer oder sogar nur Lieferanten eines Anbieters aus Russland stammen.

EU geht hier weit

Mit diesem – in der breiten Diskussion wenig beachteten – Schritt geht die EU aus vergaberechtlicher Sicht ungewöhnlich weit. Der aus der politischen Logik erklärbare Anspruch, russische Unternehmen nicht von öffentlichen Aufträgen in der EU profitieren zu lassen, wirft in der Praxis jedoch Fragen auf.

Während nämlich relativ eindeutig ist, wer russische Staatsangehörige sind, ist das bei Unternehmen weniger klar. Die Richtlinie spricht von in Russland niedergelassenen Organisationen oder Einrichtungen, bezieht sich aber ausdrücklich auch auf nichtrussische Organisationen (also auch Unternehmen), die zu mehr als 50 Prozent von sanktionierten Personen oder Einrichtungen gehalten werden.

Wer unter die Sanktionen fällt, ist daher im Einzelfall durchaus nicht leicht festzumachen. Nicht ohne Grund haben bereits mache Unternehmen, die in der öffentlichen Wahrnehmung eher als österreichisch angesehen werden, Veränderungen in ihrer Eigentümerstruktur hinter sich.

Aufwand bei der Abwicklung

In jedem Fall wird die Abwicklung öffentlicher Ausschreibungen, die schon bisher als bürokratisch gerügt wurde, durch die neuen Regelungen nicht einfacher. Für Auftraggeber steigt der Prüfaufwand, insbesondere da sich die Regelungen auch auf Subunternehmer und Lieferanten beziehen. Für Bieter steigt der Dokumentationsaufwand und ist gerade bei Projekten mit vielen Subunternehmern oder in Arbeitsgemeinschaften die Rechtssicherheit gefährdet.

Eine pragmatische Erleichterung könnte es sein, die Restriktionen auf Vergaben mit besonders hohem Auftragsvolumen zu beschränken, die eine umfassende rechtliche Begleitung eher rechtfertigen. So erfreulich komplexe rechtliche Fragestellungen für spezialisierte Anwälte sind, sollte das Vergaberecht nicht zum Selbstzweck werden. (Manfred Essletzbichler, Johann Hwezda, 13.6.2022)