Die Belegschaft der Uni Linz hofft auf politischen Weitblick und eine Nachdenkpause für die geplante TU in der Landeshauptstadt. Weitblick gibt es auch vom "Somnium" (benannt nach einer Erzählung von Johannes Kepler) auf dem Dach des TNF-Turms der JKU.

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Den einen, Landeshauptmann Thomas Stelzer und der Industriellenvereinigung (IV) Oberösterreich, kann es nicht schnell genug gehen mit der "Universität für Digitalisierung und digitale Transformation" in Linz. Einem Versprechen aus dem politischen Nachlass des ehemaligen Kanzlers und ÖVP-Chefs Sebastian Kurz an seinen Parteifreund Stelzer. Dieser will den Scheck noch "vor dem Sommer" einlösen. Da soll die Technische Uni (TU) Linz nämlich beschlossen werden, kündigte Stelzer vergangene Woche an.

Vielen anderen geht das nicht nur viel zu schnell, sie halten das Projekt für schlecht geplant oder überhaupt für falsch. Im Begutachtungsprozess wurde die TU Linz regelrecht zerpflückt. Massiver Gegenwind kam nicht nur aus der Wissenschaftscommunity, auch der Rechnungshof übte scharfe Kritik am vorliegenden Konzept. Er kann etwa nicht nachvollziehen, warum für die TU Linz ein weiteres Regelungsregime außerhalb des Unigesetzes geschaffen wird, zudem seien wesentliche Entscheidungen zur Organisation und Finanzierung "ausständig oder nicht offengelegt".

Wissenschaftsfreiheit in Gefahr

Eine Kritik, wie sie auch die Universitätenkonferenz, die Dachorganisation aller staatlichen Unis, teilt. Zusätzlich erachtet sie – wie die Senatsvorsitzendenkonferenz (SVK) der Unis – die enge Anbindung an die Wirtschaft als höchst problematisch für eine Uni, die Universität sein will. Die SVK lehnt die Neugründung daher generell ab – "insbesondere die überzogene Industrienähe und die absehbare Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit".

Das deckt sich inhaltlich mit einer der potenziell größten Betroffenengruppen, dem Personal der Johannes-Kepler-Universität (JKU) Linz, auf deren Campus die TU Linz entstehen soll. 328 Wissenschafterinnen und Wissenschafter sowie andere Mitarbeitende haben eine der schärfsten Stellungnahmen zur Digital-Uni formuliert. Auf den vorgelegten Plan reagierten sie mit "Entsetzen", sagt Bernhard Jakoby im STANDARD-Gespräch. Er ist Vorstand des Instituts für Mikroelektronik und Mikrosensorik und Vorsitzender des Betriebsrats für das wissenschaftliche Universitätspersonal der JKU. Sein Urteil über das Projekt: "TU Linz – das Potemkin’sche Dorf. Das Konzept ist wirklich haarsträubend. Das ist keine TU, ja nicht mal eine Universität."

"Als würde man eine Uni für Weltfrieden gründen"

Warum nicht? Digitalisierung sei ein "zentrales Thema", das fast alle Disziplinen betreffe, und "kein wissenschaftliches Fach", heißt es in der Stellungnahme der 328. Oder, wie Jakoby es beschreibt: "Eine Uni zum Thema Digitalisierung ist etwa so, als würde man eine Uni für Weltfrieden gründen. Ein wichtiges Querschnittsthema, aber kein Fokus für eine spezialisierte Uni." Ebenso wenig wie das von Teilen der Industrie forcierte Profil der Uni in spe: "Das entspricht mehr einer Berufsschule mit illusionärem Harvard-Anspruch. Universität heißt aber exzellente Forschung und forschungsgeleitete Lehre."

Die wissenschaftliche Arbeit am geplanten Themenkomplex sei an den meisten Unis längst etabliert und im Gange – "nicht zuletzt an der Uni Linz, die mit ihrer starken Informatik und weiteren, interdisziplinär angelegten Forschungsschwerpunkten ein naheliegender, zentraler Player" sei, wenn man Forschung und Lehre in diesem Bereich in Österreich stärker fördern wolle, sagt Professor Jakoby.

"Filetstücke" der JKU herausschneiden?

Der Worst Case, der in der Scientific Community herumgeistert, ist, dass für die geplante TU quasi die Filetstücke aus der TNF, der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Linz, herausgelöst werden, um der neuen Uni etwas wissenschaftliche Substanz zu verschaffen. So eine Aushöhlung sei "nicht sinnvoll", warnt Jakoby: "Weil man in der Wissenschaft eine kritische Masse braucht, um konkurrenzfähig arbeiten zu können."

Würde der unausgegorene Plan also umgesetzt, wäre das "Verschwendung von Steuergeldern", sagt Jakoby. Denn die für den Vollausbau vorgesehenen 150 Millionen Euro Budget jährlich seien "für eine echte TU zu wenig und für eine Pseudo-TU zu viel, da anderweitig besser investiert." Auch würde man damit "die JKU Linz und die ohnehin schon stiefmütterlich behandelte gesamte österreichische Universitätslandschaft nachhaltig schädigen".

Notstoppschalter drücken

Was also tun? "Die Pausetaste drücken und in einem Kreis aus betroffenen Fachgebieten diskutieren, was man wirklich will", schlägt Jakoby vor. "Das Einfachste wäre natürlich der Ausbau der Uni Linz mit ihren erfolgreichen und digitalisierungsrelevanten Schwerpunkten wie etwa künstliche Intelligenz und Mechatronik. Somit ist Linz sicher ein guter Standort, wenn man Digitalisierung fördern will. Oder man gründet ein Verbundinstitut oder Kompetenzzentrum, an dem sich alle relevanten Unis beteiligen." (Lisa Nimmervoll, 13.6.2022)