Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hofft weiterhin auf eine Mehrheit in der Nationalversammlung.

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Sorgen bereitet Macron vor allem der Linke Jean-Luc Mélenchon.

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Zwei Parteien hatten in der ersten Runde der französischen Parlamentswahl am Sonntag gemeinsam die Nase vorn: Sowohl die Neue ökologische und soziale Volksunion (Nupes) von Jean-Luc Mélenchon wie auch die Allianz Ensemble von Emmanuel Macron erhielten laut diversen Hochrechnungen zwischen 25,2 und 26,1 Prozent der Stimmen.

Dieses Resultat bedeutet in erster Linie einen Erfolg für das Linksbündnis aus Sozialisten, Grünen, Kommunisten und Mélenchons Unbeugsamen. Sie waren in den Umfragen der letzten Wochen zurückgelegen; ihr Anführer sprach deshalb auch von einem "herrlichen Resultat".

Das Mehrheitswahlrecht bringt es allerdings mit sich, dass die linke Nupes in der Nationalversammlung nur etwa 180 bis 200 Sitze erobern dürfte, wenn die Berechnungen der Umfrageinstitute stimmen. Macrons Allianz werden demnach 260 bis 310 Sitze prophezeit. Damit könnte der Präsident eine zumindest relative, womöglich sogar absolute Mehrheit wahren.

Die Rechtspopulisten von Marine Le Pen kamen auf 19 Prozent der Stimmen – weniger als bei der Präsidentschaftswahl im April. Sie dürften im Parlament auf weniger als 25 Sitze kommen. Die konservativen Republikaner erhielten knapp 14 Prozent und werden in der Nationalversammlung mit 40 bis 80 Sitzen Vorlieb nehmen müssen. Da aber jeder der 577 Wahlkreise einzeln ausgerechnet wird, sind globale Vorhersagen kaum zu machen. Sicher ist eines: Macron wird in seiner zweiten Amtszeit ein noch härterer Widerstand erwachsen als im ersten Mandat, in dem er gegen die Gelbwestenkrise kämpfen musste.

Starker Gegenwind

Es gilt zwar als eher unwahrscheinlich, aber noch ist es nicht ausgeschlossen, dass Nupes bei der Stichwahl in einer Woche die Parlamentsmehrheit erringt. Dann kann das Bündnis die Regierung stellen. Das wäre dann eine sogenannte Cohabitation, bei der Präsident und Regierung unterschiedlichen Lagern angehören. Mélenchon erhebt darauf seit Wochen Anspruch. Würde er mit der Leitung der Regierungsgeschäfte betraut, dann wäre Macron im Unterschied zu seinem ersten Fünfjahresmandat nicht mehr der omnipotente Wahlmonarch: Er müsste eine oppositionelle Regierung dulden.

Aber auch wenn die Wähler Macron im zweiten Durchgang in einer Woche eine Mehrheit in der Nationalversammlung auf den Weg geben: In diesem Fall wird er den geballten Widerstand der breiten Nupes-Allianz zu spüren kommen – und zwar im Parlament wie auch auf der Straße. Und von rechts droht die Rechtspopulistin Le Pen.

Dass eine parlamentarische Mehrheit für Macron zudem keine politische Garantie ist, zeigte sich schon in seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2022: Die Macronisten verfügten in der Nationalversammlung über die absolute Mehrheit, das zentrale Anliegen einer Pensionsreform brachten sie aber nie durch. Schafft Macron seine wichtigste Reform in seiner zweiten Amtszeit, die bis 2027 laufen wird? Viele zweifeln daran.

Geschwächter Macron

Macron ist geschwächt. Obwohl er die Reform vereinfacht hat und sie auf die Erhöhung des Pensionsalters von 62 auf 65 Jahre beschränkt, muss er bereits Abstriche machen. Das Rentenalter 65 sei "kein Totem", ließ er verlauten; möglich sei auch ein Ruhestand mit 64. Das sagte er, noch bevor Mélenchons Allianz formiert war. Dessen Nupes will das Rentenalter gar auf 60 Jahre senken – und hat damit laut Umfragen 68 Prozent der Franzosen hinter sich.

Die Pensionsfrage ist längst nicht das einzige Thema, wo die Macronisten und die Mélenchonisten das pure Gegenteil wollen. Die Linke würde auch die Vermögenssteuer wiedereinführen, die Macron 2017 zu großen Teilen aufgehoben hat. Andere Steuern, die Macron gesenkt hat, will die Nupes durch zusätzliche Besteuerungsskalen erhöhen. Macrons erst wenige Jahre alten Sicherheitsgesetze zur Bekämpfung von Terrorismus und Islamismus will sie gleich abschaffen.

Diese Standpunkte sind so verschieden, dass kaum vorstellbar ist, wie sich ein Präsident Macron und ein Premier Mélenchon in einer Cohabitation zusammenraufen könnten. Blockaden wären unumgänglich. Dazu kommen sehr grundsätzliche Streitpunkte wie etwa Verfassung und Europa. Macron ist ein überzeugter Verfechter der europäischen Idee mit der deutsch-französischen Beziehung als Kern; Mélenchon lässt hingegen kein gutes Haar an der deutschen "Sparpolitik"; den europäischen Stabilitätspakt will er schlicht nicht mehr befolgen.

Interner Zwist

Bei näherem Hinschauen zeigt sich allerdings gerade beim Thema Europa, dass die Nupes-Partner selber gespalten sind. Mélenchons Unbeugsame wollen die EU-Verträge mit "Ungehorsam" strafen, also missachten; die proeuropäischen Sozialisten sprechen dagegen nur von einem "vorübergehenden Abweichen". Ähnlich in der Nato-Frage: Die Kommunisten wollen aus dem Nordatlantikpakt austreten; Premier Mélenchon würde hingegen nur dessen militärisches Kommando verlassen.

Im aktuellen Krieg lehnt der langjährige Putin-Versteher Sanktionen gegen Moskau und die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ab – während Sozialisten und Grüne dafür eintreten. Die 56 Atomreaktoren Frankreichs sind ebenfalls ein interner Zankapfel. Die Grünen und die Unbeugsamen wollen ganz aus der Atomkraft aussteigen. Die Kommunisten halten hingegen an ihr fest; und die Sozialisten wollen als Kompromiss die Laufzeiten verlängern.

Diese internen Meinungsunterschiede sind eine Chance für Macron: Wenn es ihm gelingt, die moderaten und die radikalen Nupes-Partner gegeneinander auszuspielen, kann er seine Positionen besser durchbringen.

Macrons zweite, laut Verfassung letzte Amtszeit wird jedenfalls noch turbulenter und umkämpfter als seine erste, die schon von der Gelbwestenkrise, der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine überschattet war. Die Annahme liegt nahe: Frankreich wird sich und Europa fünf unruhige Jahre bescheren. (Stefan Brändle aus Paris, 12.6.2022)