Einen Ausweg sehen Juristen in der schriftlichen Antragsstellung – dann müsse die Behörde "unverzüglich" handeln, sagt etwa Fremdenrechtsanwalt Wilfried Embacher.

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Es hätte zeitlich nicht passender sein können: Seit Wochen kocht die Debatte rund um die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft und die damit zusammenhängenden hohen Hürden wieder hoch. Erleichterungen erteilte die ÖVP bislang eine Absage. Für einen großen Teil der Menschen sei die Einbürgerung ja nach sechs bis zehn Jahren möglich, sagte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) unlängst. Dass die Praxis nicht weiter davon entfernt sein könnte, zeigt sich dort, wo das Gesetz vollzogen wird. Konkret bei der zuständigen Wiener Behörde MA 35.

Zweierlei Probleme bei Einbürgerungen

Wie Kritiker monieren, spiele gerade diese Behörde eine entscheidende Rolle, wenn es um die restriktive Auslegung des Gesetzes geht – und um grobe Verfahrensverzögerungen. All das ist nicht neu: Bereits 2021 wurden Missstände bei der Behörde publik, die einen Reformprozess zur Folge hatten. Laut zuständigem Stadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) haben die ersten Reformen nach knapp einem Jahr schon gegriffen: Besonders stolz zeigte sich dieser über mehr abgeschlossene Verfahren im vergangenen Jahr.

Die MA 35 drückte aufs Tempo. Jetzt aber staut es schon wieder: Allein beim behördlichen Antragstermin für Einbürgerung, bei dem alle erforderten Dokumente eingereicht und infolge überprüft werden, müssen Antragsstellerinnen mindestens sechs Monate, also bis 2023, warten. Zum Vergleich: in Tirol liegt die Wartezeit bei drei Wochen, in der Steiermark derzeit bei dreieinhalb Monaten.

Hohe Nachfrage bei MA 35

Wie konnte es in Wien trotz des Reformprozesses und zusätzlicher Mitarbeiter wieder so weit kommen? Fragt man bei der MA 35 nach Gründen, so scheinen diese nachvollziehbar. Einerseits sei die Antragsnachfrage seit Beginn des Ukraine-Krieges wohl "wegen der dadurch ausgelösten Unsicherheit in Österreich" um 40 Prozent gestiegen, sagt eine Sprecherin. Zum anderen führte die MA 35 im ersten Quartal mehr als die Hälfte der österreichweiten Einbürgerungen durch, also etwa 2.500. Fast die Hälfte ging auf Nachkommen von Opfern des Nationalsozialismus zurück, die seit 2020 Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft haben.

Für diese Gruppe ist per Gesetz die Landesregierung Wien, also die MA 35, zuständig. Und diese Zahlen dienten der ÖVP im Zuge der Einbürgerungsdebatte als willkommenes – wenn auch irreführendes – Argument, um Erleichterungen etwa für Hiergeborene zu blockieren.

Allerdings steht die Begründung der MA 35 auf wackligen Beinen: Denn wie die Behörde bestätigt, wurde für die Anträge der Nachfahren ein eigenes Referat mit 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegründet. Dass die MA 35 die hohe Nachfrage – im Jahr 2021 gab es 6.427 Verleihungen – der im Ausland lebenden Nachkommen von NS-Opfern unterschätzt habe, verneint die Behörde ebenso. Angesichts dessen kann der "normale Betrieb" also gar nicht durch diese Anträge beeinträchtigt sein.

Kritik: Behörde schindet Zeit

Kein Verständnis für die erneut gestiegenen Wartezeiten – zuvor lagen sie bei zwei bis drei Monaten – hat der MA-erprobte Jurist Peter Marhold von der NGO Helping Hands: Denn eigentlich bräuchte es diese Antragstermine gar nicht. "Die MA 35 muss diese Anträge auch per Post annehmen", verweist Marhold auf die gesetzliche Möglichkeit, die erforderliche "persönliche Antragsstellung" nachzuholen. Das ist aber nicht im Interesse der Behörde, denn durch die jetzige Praxis ist sie klar im (zeitlichen) Vorteil: Erst wenn der Antrag bei der Behörde vorliegt, fängt ihre Frist an zu laufen. Die Behörde hat dann sechs Monate Zeit für die Bearbeitung. Schafft sie das nicht, kann eine Säumnisbeschwerde eingereicht werden.

Davor befinden sich die Antragssteller sozusagen im rechtefreien Raum. Es ist ein "übler Trick der Behörde, Zeit zu schinden", sagt Marhold, der auch konkret von "Fallen" im Antragsprozess spricht. Beispielsweise dann, wenn nach "Löchern im Lebenslauf" gesucht wird: Hält sich etwa eine Person für mehr als sechs Monate in einem anderen Land auf, wird prompt ein Strafregisterauszug von dort angefordert. All das kostet wieder viel Zeit. Im schlimmsten Fall wird der Person dann sogar die Einbürgerung verwehrt. All das führe dazu, dass "beim Verein Verfahren seit 2017 und 2018 hängen", sagt Marhold, der den Antragsstellerinnen empfiehlt, Akteneinsicht zu nehmen.

Auch laut Fremdenrechtsanwalt Wilfried Embacher hat die MA 35 zu viel Spielraum, wenn es darum geht, die Verfahrensdauer zu beeinflussen: "Eigentlich sollte die Behörde unverzüglich handeln", kritisiert Embacher. Mittels eines Antrags per Post könnte die MA 35 auch ihm zufolge dazu gebracht und an die Frist gebunden werden. Generell hält er im Gespräch mit dem STANDARD fest, dass sowohl Antragsstellung als auch Mängelbehebung schneller erfolgen müssen.

Bürgermeister schaltet sich ein

Auffallend zurückhaltend gab sich bis vor kurzem Wiens Oberhaupt, Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), zu den Vorgängen in seinen Amtsstuben. "Man müsste sich tiefgreifend ansehen, woran es liegt, dass manche Verfahren so lange dauern", äußerte er sich unlängst im Interview mit der "Kronen Zeitung". Die Behörde solle noch mehr Personal bekommen, und bürokratische Hindernisse müssten reduziert werden. Ludwig plädierte jedenfalls "für einen leichteren Zugang", gibt aber zu Bedenken, dass für die MA 35 der "Koalitionspartner Neos (also der zuständige Stadtrat Wiederkehr, Anm.) verantwortlich" sei. Dieser hatte die MA-35-Probleme von Ludwigs Parteikollegen geerbt. (Elisa Tomaselli, 13.6.2022)