2012 hat Michaela Hudecova-Königshofer in den Wiener Gürtelbögen Werkstatt wie Coworking-Plätze eröffnet.
Heribert Corn

Die Decke bebt, eine U-Bahn rauscht über der Werkstatt hinweg. Vor zehn Jahren hat sich Michaela Hudecova-Königshofer im sechsten Wiener Gemeindebezirk in den Gürtelbögen unter der U-Bahn-Trasse eingemietet. Nach und nach hat sie hier einen Maschinenpark aufgebaut. Knopflochmaschine, Fixierpresse, Coverstitch- und Stickmaschine, Transferpresse, alles da. Für Menschen vom Fach dürfte der Ort ein Paradies sein.

Wozu es das alles braucht? Was für eine Frage! Hudecova-Königshofer schüttelt den Kopf. Um ein T-Shirt wirklich hochwertig zu verarbeiten, benötige man drei Maschinen. Eine Industrienähmaschine und zwei Spezialteile wie eine Coverstichmaschine, erklärt die Unternehmerin und ausgebildete Schneiderin. Sie zeigt auf die Fixierpresse: Damit bringe man Einlagen dauerhaft auf den Oberstoff. Hier spricht eine, die vom Fach ist. Aber nicht nur das, die Gründerin ist mit Leidenschaft dabei. Die Idee für den "Schnittbogen" kam ihr, als sie nach der Modeschule "ausstattungsmäßig auf dem Trockenen saß".

Über diese Seite der Mode wird selten berichtet, zu unglamourös. Doch um Kleidung herzustellen, braucht es Gerätschaften. Die teuren Maschinen kann sich nicht jeder Modeschaffende leisten. So wie Hudecova-Königshofer vor etlichen Jahren. Nach ihrer Ausbildung durfte sie die Fixierpresse ihrer Ausbildungsstätte einige Monate lang benutzen, dann war Schluss. Sie beschloss: Es braucht in Wien einen Ort, der die niederschwellige Umsetzung von Entwürfen möglich macht.

Mehr als ein Maschinenpark

Der Schnittbogen ist allerdings mehr als nur Maschinenpark. Hudecova-Königshofer vermietet fünf Coworking-Plätze für Designerinnen und Designer. Die Plätze sind vergeben, davon zeugen die vollgestopften Papierschachteln einer Absolventin der Modeklasse und ein Korsett der Designerin Barbara Pesendorfer, sie hat in Marie Kreutzers Film Corsage die Mieder für die Hauptdarstellerin gestaltet, auch die Wiener Designerin Klara Neuber ist regelmäßig da.

Alles da im "Schnittbogen", von der Industrienähmaschine bis zur Fixierpresse. Allein um ein T-Shirt hochwertig zu verarbeiten, benötigt es drei Maschinen.
Heribert Corn

Die Möglichkeit, die vielen Maschinen nutzen zu können, macht den Arbeitsplatz attraktiv. Hudecova-Königshofer ist vor allem wichtig, dass die im Schnittbogen arbeitende Gruppe miteinander harmoniert. Das Prinzip "offene Werkstatt und Coworking-Space" sei nicht jedermanns Sache, das hat sich in den vergangenen Jahren herausgestellt.

Einer der Mieter steht am Freitagabend noch an der Bügelpresse. Goran Bugaric ist seit den Anfangstagen dabei. In seiner Arbeitskoje hängen die selbst entworfenen und gefertigten Kleider dicht an dicht auf der Stange, am nächsten Tag steht ein Abverkauf an. Bugaric ist eng verbunden mit Hudecova-Königshofers Projekt. Wenn er über den Schnittbogen redet, wird er emotional. "Wir sind eine Gemeinschaft, die gute wie schlechte Momente, Ressourcen wie Lieferanten miteinander teilt." Als er nach Wien gezogen sei, habe er die Sprache nicht beherrscht, die Werkstatt in den Gürtelbögen sei für ihn zu einem Zuhause geworden.

Dass sich der Schnittbogen auch zu einem Ort der Begegnung entwickeln würde, war nicht von Anfang an klar. Als Hudecova-Königshofer die Prototypenwerkstatt 2012 eröffnete, musste sie oft erst einmal ausholen. "Ich habe viel Zeit am Telefon verbracht, um zu erklären, was ich anbiete." Hudecova-Königshofer und ihr Team beraten Designerinnen und Designer beim Erstellen von Schnitten, Prototypen und Mustern. Kleine Produktserien werden in der Wiener Werkstatt gefertigt, größere Produktionen ins In- und Ausland vermittelt. Die 47-Jährige verbringt viel Zeit an ihrem Schreibtisch, der in einer Ecke der Werkstatt steht. Sie koordiniert und kommuniziert, hat stets ein offenes Ohr für die Bedürfnisse derer, die bei ihr anklopfen.

Polster bis Hundegeschirr

Heute kann die Unternehmerin guten Gewissens behaupten, ihre Werkstatt als Schnittstelle zwischen den Modeschaffenden etabliert zu haben. Rund 600 Kundinnen und Kunden, überschlägt sie auf die Schnelle im Kopf, hatte sie in den vergangenen zehn Jahren. Darunter hauptsächlich Modedesignerinnen und -designer, "Leute, die aus textilen Flächen etwas machen".

Fünf Coworking-Plätze gibt es im "Schnittbogen" derzeit.
Heribert Corn

Das Wiener Label Kids of the Diaspora beispielsweise arbeitet mit dem Schnittbogen im sechsten Bezirk zusammen, doch nicht nur Modeentwürfe werden umgesetzt. Ob Taschen, Bekleidung, Hundegeschirr, Polster oder Babywickelunterlagen, es gebe kaum etwas, was in der Werkstatt noch nicht realisiert wurde, erklärt Hudecova-Königshofer. Ob ihr gefällt, was hier entwickelt und produziert wird, spielt keine Rolle: "Für mich gibt es kein schön oder schiach, ich gehe objektiv an die Aufträge ran."

Die Unternehmerin ist nah dran an den Wiener Modeschaffenden. "Viele schimpfen, in Wien gebe es keine Modeszene. Das stimmt so nicht. Es wird nur über die Immergleichen berichtet." Viele Unternehmerinnen und Unternehmer, die erfolgreich eine Klientel vor Ort bedienten, meinten nach wie vor, sich rechtfertigen zu müssen, nicht im Ausland zu verkaufen: "Da schwingt oft ein ,Ich hab’s nicht geschafft‘ mit", bedauert die Gründerin. Sie würde gerne allen mitgeben: "Wer seine Kundschaft gefunden hat, hat’s sehr wohl geschafft."

Gemeinsam arbeiten

Ambitionen, selbst Gewand zu entwerfen und zu fertigen, hat die ausgebildete Schneiderin nicht. Ihrem Unternehmen kommt diese Entscheidung zugute, die Kundschaft versteht sie nicht als Konkurrenz. Überhaupt macht Hudecova-Königshofer Dinge anders. Sie will dem ewigen Konkurrenzdenken in der Branche ein "Miteinander" entgegensetzen. Sie glaubt: "Man muss nicht unbedingt die Ellenbogen ausfahren. Man kann auch gemeinsam an Dingen arbeiten, sich gegenseitig inspirieren."

Diese Haltung hat sich auch in der Corona-Zeit ausgezahlt. Der "Schnittbogen" hat zu Beginn der Pandemie schnell auf die anfängliche Nachfrage nach Stoffmasken reagiert. Und sich mit Unternehmerinnen wie Stephka Klaura vom Label Fabric Fabric zusammengetan. "Ich habe in der Zeit zwar mehr Umsatz gemacht, aber das hat sich als Einjahresfliege entpuppt", sagt Hudecova-Königshofer heute. Dafür habe sie Know-how und Lieferanten gewonnen. Es gilt schließlich, langfristig zu denken. (Anne Feldkamp, 13.6.2022)