Das ehemalige Kaufhaus Baresch – an der Hauptstraße in Attersee gelegen – wird zur Galerie im öffentlichen Raum.

Foto: Perspektiven

Die Dimensionen sind durchaus beachtlich: 1300 Quadratmeter Verkaufsfläche umfasst der neue, im November 2019 eröffnete Eurospar in Seewalchen am Attersee. Vor den automatischen Glasschiebetüren finden 135 Pkws einen Abstellplatz. Und die Erreichbarkeit mit dem Auto ist ebenfalls top. Der Supermarkt liegt direkt am A1-Autobahnanschluss Seewalchen und der B 151, der Attersee-Bundesstraße. Ergänzt mit weiteren Geschäften wie beispielsweise einer Sportartikelkette ist so quasi direkt im Autobahnkleeblatt Seewalchen ein neues kleines Einkaufszentrum entstanden.

Eine Entwicklung, die schon seit Jahrzehnten andauere und letztlich zu einer Verödung der Dorfzentren führe, wie der Bürgermeister der Gemeinde Attersee, Rudolf Hemetsberger (Grüne), im STANDARDGespräch mit Zahlen untermauert. Vor rund drei Jahrzehnten zählte man in der Gemeinde Attersee noch elf Gewerbebetriebe – Kaufhaus und Fleischhauer inklusive. Heute gebe es gerade noch drei Gewerbebetriebe und drei Gastronomiebetriebe im Ortszentrum, sagt Hemetsberger.

Sterbender Ortskern

Der überproportionale Anteil an Zweitwohnsitzen verschärft die Lage. Laut Hemetsberger gibt es mit Stand März dieses Jahres in Attersee 1824 Freizeitwohnsitze, aber nur 1643 Hauptwohnsitze. Das treibe die Immobilienpreise, "das ist völlig aus dem Ruder gelaufen", sagt der 2021 ins Amt gewählte Bürgermeister.

Wobei Attersee mit dem Problem des sterbenden Ortskernes nicht allein sei. Im benachbarten St. Georgen finde man ebenfalls an der Peripherie und in Autobahnnähe vom Supermarkt bis zur Apotheke alles in einem neuen Gewerbegebiet. "Da können sich die Pendler und Pendlerinnen nach der Arbeit auf dem Weg nach Hause universell versorgen."

Und selbst das Zentrum der Bezirkshauptstadt Vöcklabruck veröde, weil die Straße Vöcklabruck–Gmunden eine einzige "Gewerbemeile" geworden sei. Diese Entwicklung sei Ergebnis "einer vollkommen falschen Raumordnungspolitik", erklärt Hemetsberger.

Portal für zeitgenössische Kunst

"Es sind die Einkaufszentren, die alles ansaugen und zerstören", meint auch Stephan Wiesinger. Der im Zivilberuf auf 3D-Animationen spezialisierte Wiesinger ist einer der vier Kuratoren des Kunstfestivals "Perspektiven", das heuer über den gesamten Juli bereits das zwölfte Mal in Attersee über die Bühne geht. Aus kultureller Sicht verstehe sich das Festival "als Portal für zeitgenössische Kunst", das Urlauber und Urlauberinnen wie auch Einheimische mit zeitgenössischer Medienkunst konfrontiere.

Foto: Perspektiven

Das Logo, ein weißes "P" auf schwarzem Grund, wird im Rahmen des einmonatigen Festivals in Form einer Fahne mitgeführt. Es erinnert mit voller Absicht an eine Piratenfahne, man wolle die bekannten "kulturellen Gepflogenheiten" kapern, sagt Festivalkurator Wiesinger im STANDARD-Gespräch.

Low-Budget-Festival

Neben dem für ein mit gerade einmal 20.000 Euro Budget arbeitenden Festival sehr ambitionierten Programm – so wird beispielsweise eine Fotodokumentation von Stefan Oláh über das von Hans Hollein 1978 in Teheran umgebaute und eingerichtete Museum für Glas und Keramik gezeigt –, zeichnet die "Perspektiven" die kritische Auseinandersetzung mit dem Ort des Geschehens, also mit der Gemeinde Attersee und dem Salzkammergut, aus.

Wesentliche Teile der Ausstellungen, aber auch ein Modeatelier finden seit Beginn vor über einem Jahrzehnt in ehemaligen Geschäften oder auch in der ehemaligen Metzgerei von Attersee statt.

"Kunst statt Leerstand" könnte man das Motto nennen. Bürgermeister Hemetsberger ist jedenfalls sehr angetan von dem Projekt: "Das ist der künstlerische Ausdruck eines Problems" und trage zur Bewusstseinsbildung bei. (Thomas Neuhold, 14.6.2022)