Zusätzlich zur Gemüsackerdemie für Acht- bis Zwölfjährige läuft das Programm Ackerracker in Kindergärten.

Foto: Acker e. V. / Katharina Kühnel

Auf dem Acker in der Rzehakgasse herrscht Hochbetrieb.

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Die Unterrichtsstunde beginnt mit dem vielleicht ältesten Sketch der Welt. Julia Zins steht vor einer Gruppe Neunjähriger, vor ihr in der Wiese liegt ein Rechen. Dessen Krallen ragen in den Himmel, und Zins macht das, was sie auf keinen Fall tun sollte: Sie steigt auf die Zinken, gleichzeitig sagt sie: "Sicherheit geht vor." Der Rechen kommt ihrem Gesicht rasch näher, mit einem kontrollierten Handgriff blockt sie das Werkzeug ab. Sie deutet an, die Aktion hätte wortwörtlich ins Auge gehen können. Die Kinder lachen, verstehen aber gleichzeitig, worauf Zins hinauswill: "Mit dem Werkzeug müssen wir aufpassen. Die Zinken müssen nach unten schauen, es soll sich wirklich niemand verletzen."

Zins ist keine Kabarettistin, dafür Hobbygärtnerin. Deshalb teilt sie an einem sonnigen Vormittag Anfang Juni ihre Leidenschaft mit einer dritten Klasse der Volksschule Rzehakgasse in Wien-Simmering. Sie baut mit den Kindern Tomaten an und Kürbisse, Zuckermais und Bohnen. Während der Unterrichtszeit. Mitten im Schulhof.

Die Gemüseackerdemie hat Zins in die Rzehakgasse geschickt – ein Bildungsprogramm, bei dem Kinder lernen, woher das Gemüse aus dem Supermarkt eigentlich kommt und welcher Aufwand dahintersteckt. All das soll den Kindern nicht nur die Natur, sondern auch den Wert der Lebensmittel näherbringen.

DER STANDARD

Gleichzeitig kommen sie mit Klimathemen in Berührung, lernen etwa, was Trockenphasen mit Gemüsestauden machen. Gleich neben dem Scooterparkplatz der Volksschule beginnt der Schulgarten. In der Wiese ist ein Beet abgesteckt, fünf Schritte breit und zehn Schritte lang – Erwachsenenschritte, versteht sich. In einem Eck buddelt Nemanja, er ruft: "Ein goldener Tausendfüßler!" Valentina dreht sich zu ihm um, macht zwei Schritte in seine Richtung – und bestätigt: "Ah ja, der ist ja wirklich goldig!"

Zwei Pflanztermine

Zins lacht, ist aber zu beschäftigt für Würmer und Erdläufer. Vier Kinder hockeln bei ihr und heben jeweils ein kleines Loch aus. Obwohl Zins die Kinder nicht kennt und nur für zwei Stunden bei ihnen ist, hat sie die Gruppe im Griff. Ihr Vokabular springt zwischen Spaß und Information. Dabei braucht es gar nicht viel: Den Kindern gefällt das, sie sind begeistert und diszipliniert, zögern nicht, sich die Finger dreckig zu machen oder die Gießkanne zu tragen.

Im April tagte die Gemüseackerdemie schon einmal in der Rzehakgasse, für eine erste Anpflanzung. Kohlrabi, Mangold und Karotten posieren Anfang Juni schon aus der Erde wie Dancing Stars bei ihrer Schlusspose. Die Saat für kälteempfindlicheres Gemüse wie Zucchini, Gurken oder Lauch kommt nun beider zweiten Anpflanzung ins Beet.

Ein Bub setzt eine Zuckermaispflanze an.
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Das Bildungsprogramm ist die Idee von Acker, einem gemeinnützigen Unternehmen mit Wurzeln in Deutschland. In Österreich nehmen 14 Schulen am Kurs teil, 750 Kinder haben die Gemüseackerdemie schon absolviert. Das Bildungsprogramm wird von Partnern aus der Privatwirtschaft finanziert, derzeit fördert die Baumarktkette Obi das Bildungs-Start-up am intensivsten. Den Schulen bleibt ein kleiner Selbstbehalt, der sich nach ihren finanziellen Möglichkeiten richtet.

Acker liefert Saatgut und Jungpflanzen, stellt davor schon Materialien für den Unterricht auf einer digitalen Plattform online. Schon im Spätwinter besuchten Lehrerinnen und Lehrer eine Fortbildung, die Anpflanzungen selbst werden von Coaches wie Zins begleitet. Die Beete sind ressourcenschonend konzipiert, die Pflanzen robust, brauchen kaum künstliche Bewässerung, das hilft vor allem in der Ferienzeit. Für den Herbst plant die Schule ein Erntefest.

Gemüse naschen

Das Programm sieht vor, dass es Acker nach vier Jahren gar nicht mehr braucht: Dann soll das Lehrpersonal an den Schulen ausreichend qualifiziert sein, um das Projekt selbstständig weiterzuführen. Das langfristige Ziel des Unternehmens ist sportlich: Bis 2030 soll jedes Schulkind in Österreich zumindest einmal die Gemüseackerdemie durch laufen haben. Sie soll dazu beitragen, dass die Kinder später möglichst nachhaltige Konsumentscheidungen treffen.

Felix wirkt erschöpft, eine halbe Stunde schon hackt er mit schwerem Gerät in der Erde herum. Er lockert die kleinen Gehwege zwischen den Abschnitten im Beet auf. Viktoria bietet Felix eine Stärkung an, sie nascht am jungen Pflücksalat und an der Kresse. Felix lehnt dankend ab. Sie: "Schmeckt gut. Und scharf. Magst du kein scharf?" Er: "Oh ja! Sicher! Aber ... nein, danke."

Dass die Kinder das Gemüse gleich verkosten können, kommt besonders gut an, sagt eine Lehrerin. Sie stellen Fragen, haben fast keine Berührungsängste. Ein Mädchen fürchtet sich etwas vor Ameisen, gräbt aber gleich zeitig ein Loch für den Zuckermais.

In einem Beet der Gemüseackerdemie fallen viele schöne Sätze. Manche hochemotional: "Boah, da ist ein Feuerkäfer!" Andere zutiefst philosophisch: "Kohlrabi mag ich besonders, weil er schaut so aus, als hätte er ganz viele Arme."

Zum Schluss werden die kleinen Wege zwischen den Abschnitten im Beet plattgefahren.
Foto: luza

Zug durch das Beet

Der letzte Programmpunkt: die Wege zwischen den Abschnitten plätten, ein Riesenspaß. Zins startet einen Zug wie bei einer Polonaise, die Kinder bilden die Wagons. Sie schlängeln sich durch das Beet wie die Südbahn über den Semmering. Zum Schluss räumen die Kinder alle Werkzeuge weg. Nur nicht den Rechen, den trägt Zins lieber selbst in den Geräteschuppen. (Lukas Zahrer, 14.6.2022)