Bryan Ferry am Cover von "Roxy Music", dem Debüt seiner Band. Am selben Tag wie Bowies "Ziggy Stardust" erschienen, brachte es den Glam zurück in den Rock.

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Gemessen an dem, was folgen sollte, war David Bowie bis 1972 ein Flop gewesen. Nur die im Zuge der Mondlandung erschienene Single Space Oddity war ein Ausreißer nach oben. Sein Album Hunky Dory wurde zwar euphorisch besprochen, in Verkaufszahlen schlug sich das aber nicht nieder. Das änderte sich alles am 16. Juni 1972.

An dem Tag erschienen zwei Alben, die die Zukunft der Popmusik beeinflussten wie wenige andere. Parallel zu David Bowies The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars, von Fans gnädig auf ein alltagstaugliches Ziggy Stardust verkürzt, veröffentlichte die Band Roxy Music ihr namenloses Debüt – Arbeiten wie von einem fremden Planeten.

Die vor 50 Jahren veröffentlichten Alben brachten der sich damals überwiegend in Jeans und T-Shirts ergehenden Popkultur in den Nachwehen der Hippie-Ära die Aufregung zurück. Und zwar so hoch dosiert wie nie zuvor.

David Bowie am Beginn seiner Welteroberung als Ziggy Stardust.
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Pop war gewöhnlich geworden, Bowie und Roxy Music fanden das abstoßend, beide ergaben sich in ihrem Trotz der Extravaganz. Ziggy und Roxys Debüt markierten zugleich so etwas wie den künstlerischen Gipfel des Glamrock. Das war ein variantenreicher Stil, den T. Rex mit Electric Warrior schon ein Jahr zuvor angekündigt hatte und dessen Musik in Ziggy Stardust deutliche Echos generierte.

Steilvorlage für Bowie: T. Rex mit Cosmic Dancer.
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Glamrock begriff die Mode als wesentlichen Bestandteil der Musik. Das Image im Alltag wurde genauso gepflegt wie auf der Bühne: Niemand hat Roxy-Music-Sänger Bryan Ferry je im Trainingsanzug gesehen. Auch thematisch stieß die Musik in neue Gefilde vor. Bowies Konzeptalbum handelte von einem Rock- ’n’-Roll-Alien, Roxy Music beschworen Champagner-Gelage, ungesunde Verführung und die zeitlose Eleganz des alten Hollywood mit der Hommage To H.B. – an Humphrey Bogart.

Dekadenz statt Engagement

Statt Bürgerrechten und des Friedens in Vietnam widmete man sich Oscar Wilde oder der Pediküre. Dekadenz statt Engagement – zumindest vordergründig. Schließlich konnte man in Fummel und Stöckelschuhen schwer auf die Barrikaden steigen. Wasserwerfer und Kajalstift vertragen sich nicht. Die Herstellung eines blauen Auges überließ man nicht mehr der Staatsgewalt, dafür beschäftigte man jetzt einen Visagisten.

Ode an Humphrey Bogart: 2HB.
Roxy Music - Topic

Das sich daraus ergebende Spiel mit sexuellen Identitäten wurde erstmals auf die große Bühne und in den Mainstream gebracht: Die TV-Auftritte dieser Bands waren Tagesgespräch und sorgten für Headlines. Bowie verankerte die Androgynität endgültig in der Popkultur, und das mit Folgen: 1973 startete in England das Musical The Rocky Horror Picture Show, 1975 folgte der gleichnamige Erfolgsfilm.

Verspiegelte Plateaus

Acts wie Slade, Sweet, Gary Glitter wurden groß und überschritten in überirdischen Outfits und teils unterirdischer Musik die Grenzen zur Würdelosigkeit. Etwas, das David Bowie oder Roxy Music stets zu vermeiden wussten. Im weiteren Umfeld adaptierten Queen, Elton John und viele andere mehr den flamboyanten Stil.

Apropos flamboyant.
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Glamrock war hauptsächlich ein britisches Phänomen. Zwar schlug sich der Einfluss in den USA nieder, die Sparks gehören da ebenso erwähnt wie der erste offen schwule Musiker auf einem Major-Label Bruce Wayne Campbell alias Jobriath und natürlich Figuren und Acts wie die New York Dolls, Alice Cooper oder später Kiss auf verspiegelten Plateauschuhen. Und Lou Reed.

Lou Reed legte im November 1972 das Album Transformer nach.
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Dessen im Herbst ’72 erschienenes und von Bowie koproduziertes Album Transformer vervollständigte das Dreigestirn des Glamrock. Auch Transformer war voll mit Andeutungen auf sexuelle Vielfältigkeit, Prostitution, Identitätssuchen und Drogen – einmal die New Yorker 42. Straße rauf und wieder runter.

Sicherheitsnadel statt Glitzer

Es war der erste große Befreiungsschlag in den 1970ern. Mit Disco und Punk folgten zwei weitere, und zumindest Punk akzeptierte Glamrock als Wegbereiter, wenngleich er den Glamour gegen die Räudigkeit der Straße tauschte, den Glitzer gegen die Sicherheitsnadel.

Die Schnittmenge von Glamrock und Pop wurde über die Jahre größer. Jede Glitzerband, die Hair-Metal-Gruppen der 1980er, die Goldgehänge von Hip-Hoppern, jede Lady Gaga trägt heute ein wenig dieser Erbinformation in ihren Bühnenfiguren.

Ein Song als Manifest: Re-make / Re-model.
RoxyMusicVEVO

Sowohl Ferry als auch Bowie oder der bei Roxy Music bald aussteigende Brian Eno blieben sich treu. Wenn schon nicht mehr als stilbildende, dann als stilsichere Akteure des Pop. Die beiden Geburtstagsalben klingen immer noch unverschämt modern, vor allem der Opener von Roxy Music, der Song Re-make/Re-model hat von seiner manifesten Aussage nichts eingebüßt. Remakes und Neuschöpfungen, die Mischung aus Tradition und Progression, das ist es, was Pop weiterbringt. Mit oder ohne Lidstrich. (Karl Fluch, 14.6.2022)