Knapp die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher empfindet männliche Fruchtbarkeit als Tabuthema.

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Es steht nicht gut um die männliche Fruchtbarkeit: Weil die Spermien nicht mehr so schnell schwimmen, geht ihre Fähigkeit zur Befruchtung zurück (DER STANDARD berichtete). Kaum jemand spricht darüber, knapp die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher empfindet männliche Fruchtbarkeit als Tabuthema, zeigt eine vom Kinderwunschzentrum an der Wien in Auftrag gegebene Studie.

Wenn doch darüber gesprochen wird, dann mit "maßloser Überschätzung" vonseiten der Männer, warnen Fachleute. 70,1 Prozent der österreichischen Männer schätzen sich selbst als sehr fruchtbar ein. Doch die Realität sieht anders aus.

Fruchtbarkeit als Indikator für Männergesundheit

Ab einem Alter von 40 Jahren sinkt die Fruchtbarkeit bei Männern und nimmt Einfluss auf die Gesundheit eines potenziellen Kindes. Trotzdem denken insgesamt nur 8,3 Prozent aller Männer darüber nach, ihre Samenzellen untersuchen zu lassen. Für rund 90 Prozent aller Männer ist ihre eigene Fruchtbarkeit kein Thema, mit dem sie sich beschäftigen. Eine beunruhigende Bilanz, findet der Gründer und ärztliche Leiter des Kinderwunschzentrums an der Wien, Heinz Strohmer: "Die männliche Fruchtbarkeit ist ein guter Indikator dafür, wie es um die Männergesundheit generell steht – und diese bereitet uns große Sorgen."

Fruchtbarkeitsprobleme – das haben die anderen Männer, aber nicht man selbst, so scheint es. Während 90 Prozent der Frauen über ihre Fruchtbarkeit nachdenken, sind es bei Männern deutlich weniger. Ein Viertel aller Männer hat noch nie über die männliche Fruchtbarkeit nachgedacht, erkennt Unfruchtbarkeit nicht als ein persönliches Problem. Gleichzeitig gab jeder Sechste an, einen Mann mit Fruchtbarkeitsproblemen zu kennen.

Die Experten vom Kinderwunschzentrum sind von den Ergebnissen alarmiert und wollen mehr Aufklärungsarbeit leisten. Die Fachleute des neu gegründeten "Androzentrum", eines Kompetenzzentrums für Andrologie und Kinderwunsch, konzentrieren sich auf Fertilitätsstörungen bei Männern. Denn viele würden sich erst viel zu spät mit dem Thema befassen, sagt Strohmer: "Es passiert immer öfter, dass wir Männern mitteilen müssen, dass sie nahezu unfruchtbar sind. Mit dem Thema Fruchtbarkeit konfrontieren sich viele erst bei der Kinderwunschbehandlung, dabei sollten hier schon früh Maßnahmen gesetzt werden."

Fruchtbarkeit ist immer noch ein Frauenthema

Kommt ein ernüchternder Befund zur eigenen Fruchtbarkeit, nehmen das viele Männer als persönliche Kränkung wahr, berichtet Andreas Obruca, ebenfalls Gründer und ärztlicher Leiter des Kinderwunschzentrums an der Wien: "Viele wollen es nicht wahrhaben. Es dauert oft lange, bis sie bereit sind, das zu akzeptieren, weil immer noch viele die Fruchtbarkeit und Potenz mit Mannsein assoziieren."

Obwohl das Thema Fruchtbarkeit sowohl das männliche als auch das weibliche Geschlecht betrifft, wird Fruchtbarkeit von 28 Prozent der Männer ausschließlich mit Frauen in Verbindung gebracht. "Wir beobachten, dass noch nicht in den Köpfen drinnen ist, dass sich auch bei Männern die Fruchtbarkeit altersbedingt verschlechtert – wenngleich sicherlich nicht in einem Ausmaß, das mit der Frau zu vergleichen ist", sagt Reproduktionsmediziner Obruca. Fruchtbarkeit sei jedenfalls kein reines Frauenthema, das zeigen auch Zahlen: "Die Ursachen für ungewollte Kinderlosigkeit liegen zu 55,4 Prozent beim Mann, 14,9 Prozent bei der Frau und in 29,7 Prozent der Fälle an beiden Partnern", sagt Obruca.

Männer überschätzen die eigene Fruchtbarkeit

Das Bewusstsein für diese Zahlen fehle vor allem bei Männern. Der Großteil der österreichischen Männer jeden Alters schätzt sich als sehr fruchtbar ein. Frauen hingegen sehen das anders, nur 28 Prozent der Frauen über 50 beurteilen ihre Partner als fruchtbar: "Die Realität zeigt, dass Männer ihre Fruchtbarkeit maßlos überschätzen – und dies ist gefährlich. Untersuchungen zeigen, dass die Samenzellen von 45-jährigen im Vergleich zu unter 35-jährigen Männern weniger beweglich sind. Wir empfehlen deshalb, den Kinderwunsch nach Möglichkeit in jüngeren Jahren zu verwirklichen", so Obruca.

Aber auch – oder gerade – in jungen Jahren ist die männliche Fruchtbarkeit ein Tabuthema, über das nicht gesprochen wird, vor allem bei Personen zwischen 30 und 39 Jahren: "Dieses Ergebnis hat uns besonders erschreckt, da in diesem Alter der Kinderwunsch oft am größten ist. Wenn es nicht funktioniert, auf natürlichem Weg schwanger zu werden, werden die Probleme oft zuerst bei der Frau gesucht. Dabei kann ein einfaches Spermiogramm schon für wichtige Erkenntnisse sorgen", sagt Strohmer.

Allerdings wissen nur 17 Prozent aller Männer, was das überhaupt ist: Bei einem Spermiogramm wird die Zeugungsfähigkeit der Samenzellen des Mannes überprüft. Dabei werden drei Hauptparameter gemessen: die Konzentration, also die Anzahl der Samenfäden pro Millimeter. "Bei guten Samen von Samenspendern etwa sind das zwischen 80 und 120 Millionen", sagt Obruca. Die zweite Frage ist, wie viele Samenzellen sich bewegen. "Das sollten 40 Prozent sein, die Hälfte davon sollte schnell beweglich sein. Das sind dann die, die als Erstes den Weg zur Eizelle finden", erklärt der Experte. Beim dritten Faktor geht es um die Morphologie, also das Aussehen der Samenzellen. Manchmal sei der Schwanz der Samenzelle geknickt oder der Kopf zu klein, zu groß oder deformiert. Dass solche Samenzellen zu Behinderungen bei Kindern führen würden, sei unbedingt zu entkräften, betont Obruca: "Es sind die normal geformten, die es in die Eihülle schaffen. Nicht normschöne sind dementsprechend nicht befruchtungsfähig, aber nichtsdestotrotz: Das äußere Vehikel, also das Aussehen der Samenzelle, hat mit großer Wahrscheinlichkeit nichts mit dem drinnen sitzenden Erbgut zu tun." Zudem sei ein Spermiogramm immer eine Momentaufnahme: "Ein eingeschränkter Befund heißt erst einmal noch gar nichts."

Das Spermiogramm sei aktuell ein wichtiges, das einzige, aber längst kein optimales Tool, weil es laut Obruca "viele Zusatzfaktoren wie etwa die altersbedingten Prozesse nicht messen kann". Dementsprechend schwierig sei die Definition von Normwerten in den Ergebnissen: "Man kann nicht sagen, unter einem gewissen Wert ist man unfruchtbar und darüber ist man fruchtbar – das stimmt so nicht. Es geht um Wahrscheinlichkeiten. Je niedriger etwa ein Wert ist, desto unwahrscheinlicher ist eine Spontanschwangerschaft", stellt Obruca klar.

Entscheidend für die Spermienqualität sei zudem auch der Lebensstil: "Besonders wichtig ist das Nichtrauchen, ein normales Körpergewicht, ausreichend Sport und körperliche Bewegung sowie der Verzicht auf Anabolika oder Hormonpräparate im Fitnessbereich", meint Strohmer. Eine gesunde Ernährung spiele ebenso eine bedeutende Rolle, aber am Ende gebe es immer mehrere Gründe, warum es beim unerfüllten Kinderwunsch bleibt: "Die männliche Fruchtbarkeit ist komplex." (poem, 16.6.2022)