Der Arbeitsmarkt befindet sich im Wandel. Wir alle kennen noch die Zeit, als Arbeitnehmer viel Arbeit in Lebensläufe und Anschreiben gesteckt haben, um bei den Unternehmen anschließend demütig um Vorstellungsgespräche zu bitten. Die Firmen konnten sich die besten Talente aussuchen, während Kandidaten von einem Gespräch zum nächsten tingelten. Diesen Zeiten sind vorbei – aus dem Arbeitgebermarkt ist ein Arbeitnehmermarkt geworden.

Längst stehen die Jobsuchenden nicht mehr Schlange zum Gespräch, Fachkräfte sind rar, und Unternehmen suchen nach neuen Wegen, um ihre offenen Stellen zu besetzen. Und so durchkämmen immer mehr Recruiter die Märkte auf der Suche nach geeigneten Kandidaten. Das bringt neue Herausforderungen mit sich – für die Firmen, aber auch für die Arbeitnehmer.

Denn während Arbeitnehmer früher eher im Hintergrund agierten und zum Vorstellungsgespräch die Vita etwas aufmotzten, geht es heute um die dauerhafte Profilbildung und um öffentliche Sichtbarkeit. Das bedeutet, dass neue Qualitäten und Fähigkeiten gefragt sind, um von den richtigen Unternehmen gefunden zu werden.

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Längst stehen die Jobsuchenden nicht mehr Schlange zum Gespräch, Fachkräfte sind rar, und Unternehmen suchen nach neuen Wegen, um ihre offenen Stellen zu besetzen.
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Öffentliches Profil statt Anschreiben

Mit Blick auf die Bewerbungen, die über unsere Recruiting-Software abgewickelt werden, kommen mehr als 60 Prozent der Bewerber von Linkedin. Das Netzwerk ist mit Abstand die wichtigste Quelle für Unternehmen, um Bewerber zu finden.

Für Arbeitnehmer heißt das im Umkehrschluss: Wer auf Linkedin nicht sichtbar ist, hat weniger Chancen, für eine offene und passende Stelle in Betracht gezogen zu werden. Aus demselben Grund gilt es, das Profil aktuell zu halten und klar zu zeigen, wer man ist, in welchem Bereich man tätig ist und wo die eigenen Stärken liegen. Linkedin ist allerdings mehr als ein moderner Lebenslauf, denn über das Netzwerken, also das Posten von Neuigkeiten aus dem eigenen Jobumfeld und dem thematischen Austausch mit anderen Fachkräften, bilden Arbeitnehmer für Recruiter gut sichtbare Expertenprofile.

Arbeitnehmer sollten sich bei der Selbstdarstellung in die Sichtweise der Personalverantwortlichen eindenken, denn die lesen viel lieber über Erfolge als über tägliche To-Dos. Und wer weiß, wie man eigene Erfolge darstellt und sich dafür Anerkennung aus dem Netzwerk abholt, baut ganz nebenbei auch ein gesundes Selbstbewusstsein für das nächste Einstellungsgespräch oder die Gehaltsverhandlung auf.

Kommunikation als Schlüsselfähigkeit

Heute gibt rund jeder siebte Kandidat an, eine neue Stelle durch die Direktansprache von einem Unternehmen erhalten zu haben. Im Vergleich: Nur jede zwanzigste Stelle wird über Anzeigen in Printmedien oder auf der Unternehmenswebseite vermittelt. Dabei verläuft der Austausch nicht immer problemlos, denn dass sie von Recruitern angesprochen werden, ist für viele Arbeitnehmer neu.

Aber auch die Recruiter sind nicht immer optimal aufgestellt. Unpassende oder gar penetrante Angebote gehören zur Tagesordnung. Gerade bei der Masse an Anfragen fällt es Kandidaten häufig schwer, sich einen Überblick und einen realistischen Eindruck von möglichen neuen Arbeitgebern zu verschaffen. Um für Recruiter attraktiv zu bleiben, ist eine professionelle Kommunikation eine Schlüsselfähigkeit, selbst wenn Angebote unpassend sind oder sich Arbeitnehmer gerade überhaupt nicht nach einer neuen Stelle umsehen.

Wer spricht mich da eigentlich an?

Arbeitnehmer sollten zwischen den verschiedenen Personen und Institutionen unterscheiden können, die auf sie zukommen. Häufig setzen Unternehmen Personalvermittlungsagenturen für die Suche ein. Das hat für die Kandidaten einen großen Nachteil: Der Personalvermittler – und nicht der Kandidat selbst – muss das Unternehmen überzeugen, dass dieser die richtige Person für die Stelle ist. Gleichzeitig verfolgen Personalvermittler bei der Einstellung einen Verkaufsansatz. Wenn sie die Stelle nicht besetzen können, werden sie nicht (oder schlechter) bezahlt.

Daneben gibt es die internen Personalvermittler, die direkt für das einstellende Unternehmen arbeiten. Diese arbeiten oft direkt mit den einstellenden Teams zusammen und sind an der Entscheidungsfindung beteiligt. Meist verfügen sie über sehr gute Kenntnisse über die offene Stelle, die Unternehmenskultur und die Zusammensetzung des Teams. Ihr Ziel ist qualitativer als das von Personalvermittlern, denn sie wollen sicherstellen, dass es auch kulturell und menschlich wirklich passt.

Wie man richtig reagiert

Die Frage, die uns oft gestellt wird: Wie reagiere ich, wenn ich kontaktiert werde? Der Rat klingt einfach, ist es aber meist nicht: Seien Sie Sie selbst. Kandidaten sollten von Beginn an ehrlich sein und zum Beispiel sagen, wenn sie nervös sind. Denn damit sind sie nicht allein: Rund 93 Prozent der Bewerber haben Angst vor Vorstellungsgesprächen. Der wirkt man am besten entgegen, indem man sich vorbereitet, Stellenbeschreibungen genau durchliest, sich über das Unternehmen informiert und während Gesprächen Notizen macht.

Auf Basis der Gespräche und der öffentlich zugänglichen Informationen lernen Kandidaten, die Qualität eines Angebots schnell zu beurteilen. Je mehr Details, desto besser. Denn mit einer guten Informationsgrundlage lassen sich bessere Entscheidungen treffen. Gleichzeitig sollte man auch selbst Fragen stellen, denn ein Einstellungsprozess ist immer eine Zweibahnstraße: Auch die Bewerber müssen beurteilen, ob die Stelle, das Unternehmen sowie Team und Kultur zu ihnen passen. Nur auf diese Weise führen Bewerbungsgespräche zu einer Win-win-Situation, an der sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer langfristig Freude haben. (Karim Gharsallah, 17.6.2022)