Die Behörden machten ein europaweites Netzwerk von IS-Anhängern aus.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Wien – Der Verfassungsschutz hat mithilfe von in- und ausländischen Behörden eine mutmaßliche Zelle des IS in Österreich identifiziert, die mit Anschlagsplänen in Zusammenhang mit europäischen Großveranstaltungen in Verbindung gebracht wird. Besonders in Hinblick auf den Vienna City Marathon Ende April wurde die Bedrohung von den Verfassungsschützern sehr ernst genommen, auch wenn die Veranstaltung nicht konkret im Blickpunkt des Terrornetzwerks stand.

Marathon-Veranstalter überrascht

Der Veranstalter des Wien-Marathons (VCM) mit heuer mehr als 30.000 Teilnehmern zeigte sich in einer ersten Stellungnahme überrascht: Man habe in der Marathonwoche bei der jährlich üblichen Behörden-Vorbesprechung, an der auch die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) teilgenommen hätte, keine Information über ein konkretes Anschlagsszenario und keine organisatorischen Auflagen oder Vorkehrungsmaßnahmen in diesem Zusammenhang erhalten.

"Beim vergangenen VCM gab es keinen Anhaltspunkt in diese Richtung und wir hoffen, dass dies auch in Zukunft so bleibt", betonte das langjährige Veranstalterteam um Wolfgang Konrad. Die Bewerbe seien vielmehr ohne Änderungen im Ablaufplan in Zusammenarbeit mit den Behörden, der Wiener Verkehrspolizei und privaten Sicherheitsdiensten durchgeführt worden. "Die Veranstaltung fand in positiver Atmosphäre und ohne Zwischenfälle statt", hieß es.

Man habe aber selbstverständlich ein Sicherheitskonzept parat, mit auf außergewöhnliche Ereignisse in Abstimmung mit der Exekutive rasch und verantwortungsbewusst reagiert und beispielsweise das Rennen abgebrochen werden könne.

Nähe zum IS

Bei den in Österreich festgestellten IS-Anhängern handelt es sich laut Innenministerium um Personen aus dem Irak, die in der Hochzeit des IS führende Rollen eingenommen haben sollen und nun für die Durchführung der Aufträge zu neuerlichen Anschlägen der obersten IS-Führung in Europa rekrutiert wurden. Sie haben unterschiedlichen fremdenpolizeilichen Aufenthaltsstatus aus unterschiedlichen europäischen Ländern.

"Keine Festnahme in Österreich"

Ein Sprecher des Innenministeriums sagte dem STANDARD, dass "mindestens eine Person in Österreich" von den Ermittlungen betroffen ist. Noch habe es aber "keine Festnahme in Österreich" gegeben. Nach dem Terroranschlag in Wien Anfang November 2020 hätten Verfassungsschützer einen deutlichen Rückgang von IS-Tätigkeiten in Österreich registriert. Nach dem Tod des damaligen IS-Anführers Abu Ibrahim al-Hashimi im Februar 2022 habe man aber wieder mehr Aufrufe zu Racheakten festgestellt. Es gebe europaweit "ein latentes, aber kein konkretes Bedrohungsszenario", wie es aus dem Innenministerium hieß.

Wie festgestellt wurde, befinden sich weitere Mitglieder des Netzwerks in anderen europäischen Ländern und reisen gezielt für konspirative Treffen kurzfristig innerhalb Europas. Die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) musste daher aufgrund der Vergangenheit der Personen von umfassenden Kenntnissen in der Durchführung terroristischer Anschläge und sehr konspirativem Vorgehen der mutmaßlichen Terroranhänger ausgehen.

Aufgrund der dargestellten Bedrohungssituation wurden vom Verfassungsschutz umgehend entsprechende Sensibilisierungs- beziehungsweise Schutzmaßnahmen in Bezug auf die genannte Sportveranstaltung und intensive Ermittlungshandlungen zur Gefahrenabwehr und Aufklärung des Netzwerkes gesetzt. Dabei stellte sich heraus, dass die in Österreich aufhältigen und dem IS zuzurechnenden Personen zur gemeinsamen Kommunikation ausschließlich Verschlüsselungstechnologie verwenden und persönliche Treffen sehr konspirativ beziehungsweise. so weit wie möglich geheim abhalten. So wurde beispielsweise festgestellt, dass das Netzwerk unter anderem Chatfunktionen einzelner Videospiele auf Spielkonsolen verwendete.

Verbotene Terrorfinanzierung

Die Aufklärungsarbeit der DSN im Zusammenhang mit den möglichen Anschlagsplanungen und der Offenlegung des Zellennetzwerkes dauert aktuell noch an. Bisher zeigte sich im Rahmen der Ermittlungen auch, dass das Netzwerk von Österreich aus die Terrororganisation Islamischer Staat finanziert. In dem Kontext werden von der DSN ebenfalls Ermittlungshandlungen wegen verbotener Terrorfinanzierung gesetzt.

Nach dem islamistischen Terroranschlag im November 2020 in Wien und eines in Folge der Ermittlungen wahrnehmbaren Rückgangs der Tätigkeiten islamistischer Terrornetzwerke in Österreich, ist aufgrund der geopolitischen Situation und des genannten Aufrufs der IS-Führung, aktuell eine Zunahme terroristischer oder islamistisch-extremistischer Intentionen in Österreich feststellbar.

Nach der Tötung des ehemaligen Anführers des sogenannten Islamischen Staates (IS), Abu Ibrahim Al-Hashemi Al-Quraishi, wurde im Irak vom IS-Sprecher Abu Omar Al-Muhajir zu Vergeltungsschlägen in ganz Europa aufgerufen. Insbesondere große Menschenansammlungen in Europa sollten im Auftrag des IS für die Verübung terroristischer Anschläge ausgewählt werden. Diese Bedrohung führte in Österreich unter anderem zu einem verstärkten Ressourceneinsatz in der DSN im Bereich des islamistischen Extremismus.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sah den Erfolg der DSN als Beweis, "dass es nach der Neuaufstellung gelungen ist, das internationale Vertrauen in den Österreichischen Staatsschutz wiederherzustellen". (krud, APA, 14.6.2022)