Die Ukraine verteidige mit ihrem Widerstand ganz Europa.

Foto: APA/HANS PUNZ
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Medien wurde geraten, früh zu kommen. Als Ruslan Stefantschuk, der Präsident der Werchowna Rada – des ukrainischen Parlaments –, mit seiner Delegation in den Saal tritt, bilden die Abgeordneten eine Menschentraube um ihn. Der Nationalrat ist gut gefüllt – zumindest in den Reihen der Zusehenden, wie sich zeigt, als sich die Abgeordneten setzen. Die FPÖ hat Stefantschuks Besuch boykottiert.

Die Sitzplätze wenige Meter vor dem Rednerpult bleiben trotzdem nicht leer. Auf Herbert Kickls Platz nimmt die Neos-Abgeordnete Henrike Brandstötter Platz, neben sie setzen sich Parteikollegen und Abgeordnete anderer Fraktionen. Standing Ovations. Stefantschuk dankt Österreich für die Aufnahme von 70.000 Vertriebenen und die Hilfe in Not. "Wir werden das niemals vergessen", übersetzt eine Dolmetscherin. Auf der Regierungsbank hören Vizekanzler Werner Kogler und Sozialminister Johannes Rauch (beide Grüne) sowie Europaministerin Karoline Edtstadler, Innenminister Gerhard Karner und Staatsekretärin Claudia Plakolm (alle ÖVP) der Rede zu.

"Neutralität bietet keinen Schutz"

Die Ukraine verteidige mit ihrem Widerstand ganz Europa, sagt der ukrainische Parlamentspräsident. Neutrale Staaten wie Schweden und Finnland würden nun ihre Neutralität überdenken, denn: "Diese bietet keinen Schutz vor den Bestrebungen Russlands, alles an sich zu reißen." Jeder Tag bedeute zahlreiche Tote und Verletzte. "Wer glaubt, der Krieg ist weit weg, irrt sich", sagt Stefantschuk. Russlands Kriege hätten mehrere Phasen. Sie begännen mit Propaganda und der Schaffung einer finanziellen Abhängigkeit, etwa durch Energieträger, sagt er. Dann kämen die Panzer. Europa befinde sich noch in der vorhergehenden Phase, die Ukraine hingegen bereits im fortgeschrittenen Krieg.

Stefantschuk plädiert zudem für die Anerkennung der Ukraine als Beitrittskandidatin beim EU-Gipfel am 23. und 24. Juli. Die Entscheidung sei eine "wichtige historische und politische Message". Sie sei wichtig für den Widerstand der ukrainischen Soldaten. Russland habe mit seinem Angriff auch ganz Europa attackiert. Der Gipfel könne eine würdige Antwort darauf geben, während eine negative Entscheidung Putin bestärken würde.

Stefantschuk bei seiner Rede im Nationalrat.
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Lopatka: "Militärisch neutral, aber politisch nicht"

Dann treten die Fraktionen ans Rednerpult. Sie zeigen sich betroffen, geben aber keine eindeutigen Zusicherungen. ÖVP-Außenpolitiksprecher Reinhold Lopatka zitiert zunächst aus dem Alten Testament, das Töten habe seine Zeit, und Russland habe mit seinem Einbruch in die Ukraine eine blutige Zeit eingeleitet. Österreich sei "militärisch neutral, aber politisch nicht", weswegen man die EU-Bestrebungen der Ukraine unterstütze. Dennoch sei eine Abkürzung oder Sonderregelung nicht möglich.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner betont, dass Krieg kein legitimes Instrument sei und diplomatische Lösungen keine Alternative hätten. "Sanktionen und Waffen werden den Krieg mittelfristig nicht beenden", sagt sie. Letztlich stehe die Sicherheit Europas auf dem Spiel.

Solidaritätsbekundungen

Sigrid Maurer, Klubobfrau der Grünen, versichert der Ukraine ihrer Solidarität, ihre Partei habe schon länger vor der Abhängigkeit von Diktaturen bei der Energieversorgung gewarnt. Der EU-Beitritt der Ukraine werde Zeit brauchen, aber es werde Wege einer Beschleunigung geben, zeigt sie sich optimistisch. "Die Ukraine hat alles Recht, ihren Weg selbstbestimmt einzuschlagen, und wir werden sie dabei unterstützen", sagt Maurer.

Beate Meinl-Reisinger beschwört eine Vision der Ukraine als einem freien Land in einem freien Europa ohne Grenzen. "Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen", betont die Neos-Chefin. Sie hoffe, dass die Beitrittsbestrebungen am 24. Juni "ganz konkret" würden.

FPÖ bleibt fern

Damit endet die Veranstaltung, die FPÖ ist ihr ferngeblieben. Parteichef Kickl kritisiert über ein Medienstatement, dass "das Parlament keine Bühne für propagandistische Auftritte von Kriegsparteien" sein dürfe. Später trifft Stefantschuk noch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen. (Muzayen Al-Youssef, 14.6.2022)