Muss Netflix bald Zahlungen an Netzbetreiber leisten?

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Internetkonzerne wie Google, Netflix und Facebook haben Millionen, teils Milliarden Nutzerinnen und Nutzer, die für einen riesigen Teil des Datenverkehrs verantwortlich sind. Schon mehrmals ließen Telekomunternehmen deshalb anklingen, dass sie einen Teil der Netzkosten tragen sollten. Ein Wunsch, den die EU die längste Zeit abwies. Das scheint sich nun zu ändern.

Nach einer Beschwerde europäischer Telekombetreiber kündigte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager im Mai an, dass die größten Konzerne einen Teil der Kosten für europäische Netze übernehmen sollen. Dadurch solle sichergestellt werden, dass sie nicht nur profitieren, sondern "dazu beitragen, diesen Datenverkehr zu ermöglichen". Wenig später schlossen sich diesem Standpunkt auch die EU-Mitgliedsstaaten an. Es sei die "soziale Verantwortung" von Netflix und Co, sich an den Kosten des Netzausbaus zu beteiligen.

Rascher Vorstoß

Wie das "Handelsblatt" berichtet, scheint die EU-Kommission mit der Umsetzung des Vorhabens deutlich schneller zu sein als erwartet. Schon 2023 könne eine solche Internetmaut demnach Realität werden, ein Konzept für die Umsetzung wolle man noch dieses Jahr vorlegen.

Für Erstaunen bei Datenschützern sorgt Vestagers Vorstoß unter anderem deshalb, weil ihm eine Studie der Telekom-Lobbygruppe ETNO vorausging. Diese behauptet, dass mehr als 55 Prozent des globalen Datenverkehrs vergangenes Jahr auf Meta, Alphabet und Netflix zurückgingen. Da diese jedoch keinen finanziellen Beitrag für die Aufrechterhaltung der Netze leisten, sei es Telekomunternehmen nicht möglich, die Kosten zu decken. Allein Big Tech soll demnach jährliche Netzkosten in Höhe von mindestens 36 Milliarden Euro verursachen.

Im selben Zug wird in der Studie aufgeworfen, dass ein jährlicher Beitrag in Höhe von 20 Milliarden Euro einen Wirtschaftsschub von 72 Milliarden Dollar bis 2025 bedeute. Aber nicht nur das: 840.000 Arbeitsplätze sollen dadurch geschaffen werden und der CO2-Fußabdruck der Branche um bis zu 94 Prozent verkleinert werden.

"Kniefall"

Gegenüber Netzpolitik.org bezeichnete der Datenschützer Thomas Lohninger die Idee Vestagers hingegen als "Kniefall vor der Telekomindustrie". Diese bitte nun einerseits ihre Kundinnen und Kunden zur Kasse, andererseits die Plattformbetreiber, damit sie ebendiese überhaupt erreichen können. Das biete Telekomunternehmen also die Möglichkeit, doppelt abzukassieren.

Die Verhandlungen mit der EU-Kommission scheinen dennoch fortzuschreiten. Gegenüber dem "Handelsblatt" sagte der stellvertretende Direktor von ETNO, dass diese in einer "heißen Phase" seien und die Kommission "auffällig spezifisch in ihren Äußerungen" gewesen sei.

Netzneutralität

Alldem können die betroffenen Konzerne laut den Berichterstattern derzeit noch das Argument der Netzneutralität entgegenhalten. Sollte es wirklich so weit kommen, dass bestimmte Services ohne die Bezahlung entsprechender Abgaben nicht mehr erreichbar sind, würde das eine Verletzung ebendieser darstellen. Die Netzneutralität soll sicherstellen, dass alle Daten im Internet gleichbehandelt werden. Wie das fertige Regulatorium im Detail aussehen könnte, ist derzeit also noch unklar. (mick, 14.6.2022)