Selbst Pandemien wie Covid-19 und sogar die Spanische Grippe verblassen im Vergleich zum Schwarzen Tod, der zur Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa und anderen Gegenden der Welt wütete. Allein in Europa fielen der Pest von 1347 bis 1351 geschätzte 25 Millionen Menschen zum Opfer – rund ein Drittel der damaligen Bevölkerung. Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts brach die Pest in Europa dann immer wieder aus, blieb freilich meist auf kleine Regionen beschränkt.

Die ansteckende Infektionskrankheit, die – wie man seit 1894 weiß – durch das Bakterium Yersinia pestis hervorgerufen wird, erreichte im Mittelalter über Handelsschiffe aus dem Schwarzen Meer den Mittelmeerraum und Städte wie Genua und Marseille. Diese Schiffe kamen aus den Siedlungsgebieten der sogenannten Goldenen Horde, einem Teil des Mongolenreichs.

Ost- oder doch Zentralasien?

Doch wo lag der Ursprung dieses Pestausbruchs, der beileibe nicht der erste, aber mit Abstand der schlimmste war? Eine der geläufigen Theorien besagt, dass das damalige Überspringen von Tier (vor allem Nagetiere) auf Mensch möglicherweise in Ostasien – konkret in China – passiert sein könnte.

Dieser Theorie stehen jedoch archäologische Funde aus Zentralasien entgegen, die aus einem Gebiet nahe des Yssykköl-Sees im heutigen Kirgisistan stammen, in den Ausläufern des Tian-Shan-Gebirges. In dieser Gegend gibt es auch heute immer wieder Pestfälle.

Karte des heutigen Kirgisistan mit dem Yssykköl ("heißer See", Issyk-Kul-See) und der Hauptstadt Bischkek. In unmittelbarer Nähe befinden sich die beiden Ausgrabungsstätten. Grau schraffiert sind Gebiete, in den das Pestbakterium unter Nagetieren verbreitet sein dürfte.

Bei Ausgrabungen vor fast 140 Jahren wurden dort nämlich Grabsteine gefunden, die darauf hindeuten, dass diese Menschen einer unbekannten Epidemie zum Opfer gefallen sind. Laut den Inschriften wütete diese Krankheit in den Jahren 1338 oder 1339 unter der christlichen Gemeinschaft der Assyrischen Kirche.

Ausgrabungen an der Kara-Djigach-Fundstätte im Tschu-Tal am Fuße des Tian-Shan-Gebirges in Kirgisistan. Die Ausgrabungsarbeiten fanden zwischen 1885 und 1892 statt.
Foto: A.S. Leybin, August 1886

Genetische und archäologische Analysen

Könnte es sein, dass die mittelalterliche Pest ihren Ursprung im heutigen Kirgisistan hat? Dieser Frage ging ein internationales Forscherteam um Erstautorin Maria Spyrou (Uni Tübingen) in einem aufwendigen interdisziplinären Forschungsprojekt nach. Um zu klären, ob die 1338 und 1339 verstorbenen Personen tatsächlich an der Pest starben, analysierten die Forschenden alte DNA von den Überresten dieser Skelette. Zudem wurden historische und archäologische Daten zweier Fundstätten, an denen Pest-Inschriften gefunden wurden, neu ausgewertet.

"Pest"-Inschrift aus der Tschu-Tal-Region in Kirgisistan. Übersetzt besagt diese: "Im Jahre 1649 [= 1338 n.u.Z.], im Jahr des Tigers. Dies ist die Grabstätte des Gläubigen Sanmaq. [Er] starb an der Pest."
Foto: A.S. Leybin, August 1886

Schon die ersten Ergebnisse waren ermutigend: Bei den im Jahr 1338 verstorbenen Personen wurde tatsächlich DNA des Pestbakteriums Yersinia pestis gefunden: "Wir konnten endlich nachweisen, dass die auf den Grabsteinen erwähnte Epidemie tatsächlich durch die Pest verursacht wurde", sagt der Historiker Phil Slavin (University of Stirling), einer der Hauptautoren der am Mittwoch im Fachblatt "Nature" erschienenen Studie.

"Urknall der Pestdiversität"

Aber hat man damit auch den Ursprungsort der Pandemie entdeckt? Bisher wurde der Ausbruch des Schwarzen Todes mit einer massiven Diversifizierung der Peststämme in Verbindung gebracht, einem sogenannten genetischen Urknall der Pestdiversität. Der Zeitpunkt dieses Ereignisses konnte jedoch nicht genau bestimmt werden – man ordnete ihn bisher zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert ein.

Dem Forschungsteam gelang es in einem weiteren Schritt, vollständige alte Pestgenome aus den Fundorten in Kirgisistan zusammenzusetzen und zu untersuchen, wie sie mit diesem hypothetischen Urknall-Ereignis zusammenhängen könnten. "Wir fanden heraus, dass sich die alten Stämme aus Kirgisistan genau am Knotenpunkt dieses massiven Diversifizierungsereignisses befinden. Es ist uns also tatsächlich gelungen, den Ursprungsstamm des Schwarzen Todes und seinen genauen Ausbruchszeitpunkt – das Jahr 1338 – zu bestimmen", sagt Erstautorin Maria Spyrou stolz.

Jurten am Yssykköl mit dem Tian-Shan-Gebirge im Hintergrund.
Foto: gemeinfrei

Eingeschleppt oder doch lokal entstanden?

Doch woher kam dieser Stamm? Entwickelte er sich lokal? Oder wurde er in die Region eingeschleppt und breitete sich dann aus? Die Pest ist keine Krankheit, die im Menschen ihren Ursprung hat: Das Bakterium Y. pestis überlebt in wilden Nagetierpopulationen auf der ganzen Welt – in sogenannten Pestreservoirs. Der alte zentralasiatische Stamm, der die Epidemie von 1338 bis 1339 am Yssykköl(-See) verursachte, muss also aus einem solchen Reservoir stammen.

Da es in der Region bis in die Gegenwart immer wieder zu vereinzelten Pestfällen bei Menschen kommt, die mit Nagern (besonders Murmeltieren) zu tun haben, haben die Forschenden die alten und modernen Pestgenome der Region verglichen. Das Ergebnis war eindeutig: Die modernen Stämme rund um das Tian-Shan-Gebirge sind mit dem alten Stamm die am engsten verwandten, erklärt Johannes Krause, Hauptautor der Studie und Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

Und das lässt eine ziemlich eindeutige, gleichwohl vorsichtig formulierte Schlussfolgerung zu: "Der Vorfahre des Schwarzen Todes scheint also in Zentralasien entstanden zu sein." (Klaus Taschwer, 15.6.2022)