Beim Überholen von Radfahrenden muss künftig ein Abstand von 1,5 Metern eingehalten werden.

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Vor zwei Wochen ist die Begutachtungsfrist für die geplante 33. Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) zu Ende gegangen. Die neuen Straßenregeln sollen die Interessen der Radfahrer mehr als bisher berücksichtigen. Nach Durchsicht auch zahlreicher kritischer Stellungnahmen hat das Verkehrsministerium unter Leonore Gewessler (Grüne) aber zwei wesentliche Punkte des Vorhabens gestrichen: Das generelle Öffnen der Einbahnen für Radler ist etwa nicht mehr Teil der Novelle, wie der Mobilitätssprecher der Grünen, Lukas Hammer, dem STANDARD bestätigte.

So hatte sich etwa die Stadt Wien deutlich gegen das Vorhaben ausgesprochen, das Radeln gegen die Einbahn generell ab einer Straßenbreite von vier Metern zu ermöglichen. Die Stadt machte etwa Mehrkosten von rund 15 Millionen Euro für Bodenmarkierungen und Verkehrszeichen geltend, zudem müssten zahlreiche behördliche Verfahren durchgeführt werden. Wien verwies darauf, dass 42 Prozent des Einbahnstraßennetzes im Tempo-30-Bereich bereits zum Radeln gegen die Einbahn freigegeben sind.

Keine Neuerung beim Kreuzungsbereich

Eine weitere Regel, gegen die sich Wien gesträubt hat, kommt ebenfalls nicht: Ursprünglich war in der Novelle vorgesehen, bei Kreuzungen den freizuhaltenden Sichtbereich von fünf auf acht Meter zu erhöhen. Laut der rot-pinken Stadtregierung wären 5.500 Kreuzungen von Umbauarbeiten betroffen, 2.400 Bäume müssten gefällt werden – summa summarum sei mit Mehrkosten von 110 Millionen Euro zu rechnen.

Hammer sagte: "Das Verhalten der Wiener Stadtregierung ist enttäuschend." Die Blockade der beiden Vorhaben sei eine Retourkutsche dafür, dass Verkehrsministerin Gewessler das Projekt Lobautunnel auf Eis gelegt habe. Hätte Türkis-Grün auf beiden Punkten der StVO-Novelle beharrt, wäre es zu monatelangen Verhandlungen gekommen. Um die weiteren Punkte der neuen Straßenverkehrsregeln schnell umsetzen zu können, seien die zwei umstrittenen Vorhaben gestrichen worden, sagte Hammer.

Gewessler will nicht das ganze Land warten lassen

Die grüne Verkehrsministerin wollte am Mittwoch nach dem Beschluss der Novelle im Ministerrat nicht über die Motive der Stadt Wien spekulieren. Im Rathaus habe man einen rechtlichen Hebel, den sogenannten Konsultationsmechanismus, genutzt, um Einwände einzubringen, erklärte sie. Dieser Mechanismus könne die ganze Novelle aufhalten. Daher habe sie sich entschieden, die Novelle ohne diese beiden von der Stadt Wien kritisierten Punkte zu verabschieden. Das sei zwar nicht ideal, aber: "Ich möchte nicht, dass das ganze Land auf eine Lösung mit der Stadt Wien warten muss", sagte Gewessler.

Das Öffnen von Einbahnen habe die rot-pinke Stadtregierung jedenfalls im Wiener Koalitionsprogramm verankert, bemerkte die grüne Verkehrsministerin. Sie gehe daher davon aus, dass man eine gemeinsame Basis habe und sich einigen werde.

Rechtsabbiegen bei Rot wird erlaubt

Fixiert wurde hingegen Rechtsabbiegen bei Rot für Radfahrer – und zwar unter bestimmten Voraussetzungen. Dafür muss eine Zusatztafel mit grünem Pfeil die Möglichkeit zum Rechtsabbiegen bei Rot an Kreuzungen anzeigen. Und: Radler müssen vor dem Einbiegen anhalten.

Beim Überholen von Radlern müssen Autofahrer im gemischten Verkehr einen definierten Sicherheitsabstand einhalten: 1,5 Meter im Gemeindegebiet und zwei Meter außerorts. Grundsätzlich erlaubt wird, dass Eltern oder andere verantwortliche Erwachsene neben Kindern unter zwölf Jahren radeln dürfen – außer, es handelt sich um Schienenstraßen. Überall in Tempo-30-Zonen ist dies nunmehr zwei Radfahrenden unter bestimmten Voraussetzungen, außer auf Schienen- und Vorrangstraßen, erlaubt.

Das Hineinragen von Fahrzeugen in Rad- oder Fußgängerwege ist nicht erlaubt. Auf Gehsteigen mit 1,5 Meter Breite wird nur noch ein "Hineinragen in geringfügigem Ausmaß" toleriert – etwa mit einem Seitenspiegel oder der Stoßstange – sowie für "möglichst kurz zu haltende Ladetätigkeiten". Die Beurteilung, ob ein Hineinragen ein "geringfügiges Ausmaß" nicht überschreitet, wird laut den Erläuterungen zur Novelle aber auch von der Gesamtbreite des betroffenen Gehsteigs abhängen. Auf Verkehrsflächen für den Fußgängerverkehr ist aber jedenfalls "ein Querschnitt von 1,5 Meter freizuhalten".

Auch die Fußgänger-Sicherheit soll mit der Novelle erhöht werden: Im Haltestellenbereich müssen Fahrzeuge rechts von öffentlichen Verkehrsmitteln ausnahmslos stehenbleiben, solange Fahrgäste ein- und aussteigen. Kommen werden auch fußgängerfreundlichere Ampelschaltungen mit schnelleren und längeren Grünphasen sowie ein Hinderungs- und Gefährdungsverbot auf Gehsteigen.

Neu geregelt und klargestellt wird zudem, dass Fußgänger am Gehsteig immer Vorrang haben: "Bei Ein- und Ausfahrten von Garagen oder Parkplätzen dürfen sich Autofahrerinnen und Autofahrer nicht mehr vordrängeln.

Wer eine Straße überquert, soll auch weiterhin den Schutzweg benützen. Die Schutzweg-Benützungspflicht wiederum fällt. Diese hat bisher besagt, dass der Zebrastreifen zwingend verwendet werden muss, wenn einer im Umkreis von 25 Metern vorhanden ist. Ausgenommen sind Kreuzungen, die durch eine Ampel geregelt sind. Wenn es die Verkehrslage zweifellos zulässt und der Fahrzeugverkehr nicht behindert wird, muss künftig kein Umweg mehr über den Schutzweg gemacht werden.

Auch wird den Behörden die Einrichtung von "Schulstraßen" in der unmittelbaren Umgebung von Schulgebäuden via Verordnung ermöglicht. In Schulstraßen ist das Gehen auf der Fahrbahn gestattet, der Fahrzeugverkehr verboten. Ausgenommen vom Fahrverbot sind laut Entwurf der Fahrradverkehr, Krankentransporte und Schülertransporte. Erlaubt ist die Befahrung unter anderem auch mit Fahrzeugen des Straßendienstes, der Müllabfuhr, des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Feuerwehr; auch Öffis und Anrainerverkehr sind gestattet.

Auch eine bisher eher unbeachtete Stelle wurde in der Novelle nun berücksichtigt: Der Winterdienst muss künftig dafür sorgen, dass Baumscheiben und Grünflächen von der Salzstreuung ausgenommen werden, damit die Bäume nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.

Inkrafttreten sollen die Änderungen am 1. Oktober. (David Krutzler, 15.6.2022)