Im Südosten Grönlands hat eine bisher unentdeckte Eisbären-Unterart die Robbenjagd neu erfunden. Die Beutegreifer nutzen eine Taktik, bei der sie nicht vom schwindenden Meereis abhängig sind.

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Geht es um die Verlierer des Klimawandels, kommt unweigerlich der Eisbär zur Sprache. Seit Dekaden schmelzen dem Ursus maritimus die zur Robbenjagd so wichtigen Eisschollen unter den mächtigen Pranken weg. Mit dem Meereis schrumpfen die Bestände des Raubtiers, das in der arktischen Nahrungskette ganz oben steht.

Doch selbst in einer zunehmend abschmelzenden Eiswelt gibt es ab und an erfreuliche Nachrichten zu vermelden: Im Südosten Grönlands entdeckten Forschende eine bisher unbekannte Eisbärenpopulation. Es handelt sich um die genetisch am stärksten isolierte Untergruppe der Tiere.

Sensationell ist die Entdeckung, da sich die Bären nicht nur im Erbgut von ihren Verwandten unterscheiden. Sie haben ihr Jagdverhalten an den zunehmend abtauenden Lebensraum angepasst, schreibt das Team im Fachblatt "Science". Anstatt Robben auf Eisschollen auf offenem Meer aufzulauern, stellen sie ihrer favorisierten Mahlzeit im Bereich der sogenannten Eismelange nach. Dabei handelt es sich um eine matschige Mischung aus Meereis, Süßwasserschnee und kleineren Eisbergen vor der grönländischen Gletscherfront.

Isolierte Stubenhocker

Die beschriebene Population umfasst ein paar hundert Exemplare, die ein isoliertes Habitat zwischen steilen Klippen, starken Meeresströmungen und schier unüberwindbaren Eisschilden bewohnen. Innerhalb der Eisbärenfamilie macht ihr Lebensraum sie zu wahren Stubenhockern. Während weibliche Eisbären im Nordosten Grönlands in vier Tagen rund 40 Kilometer marschieren, stapfen Weibchen der Südostregion im gleichen Zeitraum nur zehn Kilometer.

Faulpelze sollte man die isolierten Bären dennoch nicht schimpfen: Manchmal passiert es, dass ein als Jagdsitz genutztes Stück Gletschereis mit einer schnellen Strömung an der Küste gen Süden getrieben wird. Um wieder in ihren Heimatfjord zu gelangen, legen die abgedrifteten Bären ausnahmsweise etwa 190 Kilometer zurück.

Das Süßwassereis der Gletscher, die ins Meer münden, könnte als eine Art Klimarefugium dienen, heißt es seitens der Forschenden. So zeige ihre Studie, wie manche Bären den Klimawandel überleben könnten. Allerdings seien solche Gletscherhabitate außerhalb von Südostgrönland und der norwegischen Inselgruppe Svalbard enorm selten. Unterm Strich sind sie also kein Rettungsboot für alle Vertreter von Ursus maritimus. (Marlene Erhart, 17.6.2022)