Ein mechanisches Surren durchdringt das Auditorium der Universität für angewandte Kunst. Aus einer Ecke taucht eine junge Athletin auf, in ihrer Hand ein Reifen gefüllt mit Erdöl. Mechanisch und anmutig zugleich bewegt sie sich durch den Raum. Die von Kat Válastur choreografierte Performance Spinning Melancholy reflektiert das wirtschaftliche System und den Kreislauf des Erdöls.

Aus Rohöl entstehen dabei auch Kunstwerke, etwa wenn es auf Honig oder Wasser trifft.
Foto: Ernst Logar

"Die Art der Beziehung zwischen der Tänzerin und dem Ölreifen spiegelt den Grad der Abhängigkeit der Welt vom Erdöl wider", erklärt Válastur. Bei der Auftaktveranstaltung des internationalen Kolloquiums des künstlerischen Forschungsprojektes "Reflecting Oil" von Ernst Logar an der Universität für angewandte Kunst steht die Verflechtung sozioökonomischer und ökologischer Folgen des Erdölabbaus mit einer künstlerischen Auseinandersetzung im Mittelpunkt.

In drei Workshops mit einem jeweils künstlerischen, theoretischen oder narrativen Arbeitsansatz setzen sich 20 Teilnehmende aus Kunst und Wissenschaft mit der Betrachtungsweise des Themas Erdöl auseinander. Besonders der interdisziplinäre Austausch ist dem bildenden Künstler und Initiator der Veranstaltung dabei wichtig, denn "auch wir als Gesellschaft müssen einen Kompromiss finden", sagt Logar. Unterstützt wird die Veranstaltung vom Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste (PEEK) und vom Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung (FWF).

Vergiftetes Wasser

Erdöl bestimmt unseren Alltag – sei es an der Tankstelle, beim Heizen oder im Flieger auf dem Weg in den Urlaub. Die Auswirkungen der Erdölgewinnung auf Menschen und Natur sind hierzulande dagegen weniger offensichtlich. "Bei uns schadet die Ölförderung vor allem der indigenen Bevölkerung", sagt Cleo Reece, Umweltaktivistin und Filmemacherin der Cree-Métis-Red-Power Bewegung der indigenen Bevölkerung Nordamerikas.

In einem künstlerischen Forschungsprojekt arbeiten Kunstschaffende und Forschende die Wahrnehmung von Erdöl auf.
Foto: Ernst Logar

In ihrer Heimat, der Fort McMurray First Nation in der kanadischen Provinz Alberta, wird in großem Maße Ölsand gefördert. Die Athabasca-Ölsande im Westen Kanadas sind die größte der drei Ölsandlagerstätten in Alberta. Das im Ölsand enthaltene Bitumen, ein in der Natur vorkommendes sehr zähes Erdöl, wird im Tagebau durch In-situ-Wasserdampfinjektion gewonnen. 2,6 Millionen Barrel Bitumen werden täglich aus der Fort McMurray First Nation in die USA transportiert.

Nebenprodukt

"Für jedes verschiffte Barrel Bitumen fallen sechs bis zwölf Barrel Tailing an", sagt Reece, dabei handelt es sich um ein wässriges und ölhaltiges Nebenprodukt, das in großen Mengen durch Extraktion des Erdöls aus dem Sand entsteht. In sogenannten Tailing-Ponds, mehreren Absetzbecken der Ölsand-Aufbereitungsanlagen in Fort McMurray, werden diese Nebenprodukte gelagert. "Wasser ist ein heiliges Geschenk", sagt Reece, "dieses Geschenk wird von der Ölindustrie bedroht." So seien die Tailing-Ponds derart toxisch für Mensch und Natur, dass sie weiträumig eingezäunt werden müssen.

Signaltonanlagen sollen Vögel davon abhalten, dort zu landen. Reece berichtet auch von seltenen Krebsarten, an denen Mitglieder der Cee- und Tchipewyan-Indigenen ihrer Heimat erkranken würden. Vor allem in einer derart kleinen Community sei dies ungewöhnlich, sagt Reece, die durch die Erdölgewinnung vergiftetes Wasser und Fische dafür verantwortlich macht. Auch Logar hat während einer Residenz an der Alberta University in Kanada die Ölgewinnungsanlagen besichtigt: "Es sind sehr dystopische Orte, es sieht dort aus wie in der Wüste."

Abhängig von Öl

In seiner künstlerischen Forschung zur Erdölwende beschäftigt sich der Künstler mit der Abhängigkeit unserer Gesellschaft von der Ressource Öl. In Kooperation mit der Montanuniversität Leoben und mit internationalen Expertinnen und Experten werden in den Laboren des Department of Petroleum Engineering künstlerische Experimente durchgeführt. Der Künstler mischt kulturelle Substanzen wie Milch, Honig und Wasser mit Rohöl und beobachtet deren Zusammenspiel.

Zwischen zwei Glasplatten wird Rohöl und Wasser injiziert und beobachtet, wie sich die Substanzen zueinander verhalten.
Foto: Ernst Logar

So wird etwa zwischen zwei Glasplatten Rohöl und Wasser injiziert und beobachtet, wie sich die Substanzen zueinander verhalten. Gerade Wasser ist eine wichtige und knappe Ressource bei der Erdölgewinnung. "Ich will eine symbolische und politische Ebene einbringen und Fragen aufwerfen", sagt Logar zu seinem Forschungsprojekt, dessen Laufzeit bis Mitte 2024 geplant ist. Die unkonventionelle Manipulation des Materials Rohöl durch Künstler, Künstlerinnen und Fachfremde und der kreative Einsatz von technischen Geräten auf künstlerischer Ebene sollen den industriellen Laborraum gedanklich aufbrechen.

"Dabei können alle Beteiligten profitieren", sagt Logar. Durch den künstlerischen Impuls wurden bereits Experimente mit Rohöl durchgeführt, welche den theoretisch orientierten Ölforschenden neue Sichtweisen aufzeigten. Normalerweise würden Experimente nur mit kleinsten Mengen an Rohöl durchgeführt, sagt Logar. Als Ziel haben sich die Forschenden gesetzt, neue Darstellungsweisen und Narrative über Erdöl zu erzeugen, die zu öffentlicher Wahrnehmungsveränderung und neuen Perspektiven führen sollen. "Hier kollidieren die Welt der Kunst und die Welt der Wissenschaft", sagt Logar. (Lea Weinberg, 17.6.2022)