Jahrzehntelang Krieg, und kein einziger Mensch musste deswegen sterben. Was in Anbetracht des russischen Angriffskrieges in der Ukraine wie eine Utopie wirkt, wird zwischen den einstigen Rivalen Kanada und Dänemark gerade Realität. Im Hohen Norden geht mit dem heutigen Tag nämlich die als "friedlichster Konflikt der Welt" oder auch als "Whiskykrieg" bekannte Auseinandersetzung um die Hans-Insel zu Ende – sofern die nationalen Parlamente der Streitbeilegung noch zustimmen, wovon aber auszugehen ist.

Es handle sich um ein "klares Signal, dass es möglich ist, Territorialstreitigkeiten friedlich zu lösen", sagte der dänische Außenminister Jeppe Kofod. Alle Parteien seien am Ende Profiteure der pragmatischen und friedvollen Konfliktlösung – gerade wenn es in Zeiten globaler Unruhe und Krieg geschehe.

Vermeintlich unbedeutend

Das dänische Wort für Insel lautet "Ø", und es beschreibt die aktuelle Konfliktlösung eigentlich ganz gut. Die 1,25 Quadratkilometer kleine, schroffe und großteils unbedeutende Insel, die 1.100 Kilometer südlich des Nordpols liegt, soll zweigeteilt werden – allerdings nicht halbe-halbe. Dadurch, dass der Grenzverlauf einer natürlichen Formation im Felsen folgt, erhält Dänemark ein etwas größeres Stück von der Insel als Kanada.

Neben einem gemeinschaftlich genutzten Gebiet, einem sogenannten Kondominium, wurde in der Vergangenheit auch vorgeschlagen, die Insel den indigenen Völkern beider Nationen zuzusprechen. Das passiert nun offenbar doch nicht. Worum aber ging es bei dem im wahrsten Sinne des Wortes lange eingefrorenen Konflikt?

Der Streit drehte sich um die kleinste von drei Inseln im eiskalten Wasser des Kennedy-Kanals entlang der Nares-Straße. Die anderen beiden Inseln, Franklin Ø und Crozier Ø, liegen jedoch deutlich näher am Festland Grönlands und waren stets relativ unbestritten dänisch, da Kopenhagen für die Außenbeziehungen der autonomen Region Grönland verantwortlich ist. Für die Dänen war Hans stets ein Teil des unbewohnten Inseltrios, Kanada hingegen sah die Hans-Insel als Ausläufer der riesigen Ellesmere-Insel vor seiner Ostküste.

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Sollte sich Grönland eines Tages für unabhängig von Dänemark erklären, würde es laut aktueller Streitbeilegung jedenfalls auch die Souveränität über die dänische Hälfte von Hans übernehmen. Auf Inuit heißt die Insel übrigens Tartupaluk, was sich auf deren Nierenform bezieht.

Geschönte Karten

Verschiedene alte Karten zeigten die Insel – wenig überraschend – jeweils etwas näher am eigenen Staatsgebiet, je nachdem, wer sie erstellt hatte, doch mit dem Zeitalter der Satellitenfotografie zeigte sich später deutlich, dass Hans Ø zwei Kilometer dichter an Dänemark dran ist. Entsprechend erkannte der Vorläufer des Internationalen Gerichtshofes die Insel bereits im Jahre 1933 den Dänen zu. Ein langjähriger Streitpunkt blieb die Insellage deshalb, weil die vereinbarte maritime Grenzlinie das Eiland quasi stets in der Mitte zerschnitten hätte. Als die beiden Staaten 1973 ihre Seegrenzen absteckten, ließ man die Hans-Insel deshalb außen vor und wollte sich später darum kümmern, weshalb auf Seekarten jahrzehntelang die Verbindungslinie zwischen den Grenzpunkten 122 und 123 fehlte – fast so, als hätte man beim "Malen nach Zahlen" die Hans-Insel einfach ausgespart.

Anfang der 2000er gab es zunächst einige undiplomatische Vorstöße, die Insel unter seine Herrschaft zu bekommen. Patriotische Aktivisten beider Seiten schalteten Werbeanzeigen auf Google, um Anspruch anzumelden. Kanada vergab seinerseits sogar Schürfrechte an Geologen, ohne dies mit Dänemark abzusprechen. Und sowohl kanadische und auch dänische Minister bereisten die Insel und echauffierten sich über die Besuche des jeweils anderen. Der Verteidigungsminister Kanadas, Bill Graham, soll 2005 sogar die dänische Flagge auf Hans Ø einkassiert und in einem Karton an die dänische Botschaft in Ottawa geschickt haben. Als die dänische Marine daraufhin ein Schiff in Richtung Hans-Insel entsendete, drohte der eingefrorene Konflikt erstmals heiß zu werden.

Man besann sich aber auf beiden Seiten des Atlantiks und beschloss, überhaupt keine Flaggen mehr auf der Insel zu hissen, sowie sämtliche kindischen Neckereien zu unterlassen. Die Sache sollte auf diplomatischem Wege geregelt werden. Erste positive Schritte waren etwa die die Errichtung einer gemeinsamen Wetterstation. Einen Gang vor den Internationalen Gerichtshof sparte man sich, wenngleich viele Völkerrechtsexperten Dänemark dort die besseren Chancen ausgerechnet hätten. Im Jahr 2018 begann schließlich eine trilaterale Arbeitsgruppe mit Delegationen aus Kanada, Dänemark und Grönland, über eine Lösung des Konflikts zu verhandeln. Im November vergangenen Jahres einigte man sich in der isländischen Hauptstadt Reykjavík auf die nun besiegelte Teilung der Insel. Nun sieht es also danach aus, als würden Kanada und Dänemark die Zahl ihrer Landgrenzen zu anderen Staaten von eins auf zwei verdoppeln.

Halbwahrheiten um Hochprozentiges

Medial wurde der Konflikt gerne auf eine einfache Formel reduziert, wonach die jeweiligen Militärs nach dem Austausch der Flagge stets eine Flasche kanadischen Whisky oder dänischen Schnaps hinterlassen hätten.

In Wahrheit stand für beide Staaten aber doch mehr als eine Flasche des dänischen Magenbitters Gammel Dansk und des kanadischen Whiskys Crown Royal auf dem Spiel. Und tatsächlich wurden sie gar nicht so regelmäßig auf der Insel hinterlassen, wie dies gerne erzählt wird. Die wenigen Mineralien im Meeresboden und auch die bescheidenen Fischvorkommen rund um die Insel waren auch vernachlässigbare Streitgründe, wenn man die riesige Küstenlänge beider Staaten bedenkt. Viel eher ging es um einen Art Präzedenzfall, da im Zuge des Klimawandels und milderer Sommer die Navigationsrechte in der Meeresstraße interessanter werden. Bisher war die Meeresstraße nur wenige Wochen im Jahr und nur mit Eisbrechern befahrbar.

Oft galt der Konflikt um die Hans-Insel aber auch als Vorbote für drohende Konflikte in der Arktis, wo es um weit mehr und lukrativere Ressourcen gehen könnte, sobald das schmelzende arktische Eis neue Inseln hervorbringt. Bleibt zu hoffen, dass die nordischen Staaten dann auch zur Diplomatie und nicht zum Kriegsbeil greifen. (Fabian Sommavilla, 14.6.2022)